Wednesday, January 29, 2025
„Wann bringt ihr unser Land wieder in Ordnung?“
WELT
„Wann bringt ihr unser Land wieder in Ordnung?“
Wolfgang Büscher • 16 Mio. • 5 Minuten Lesezeit
Andrea Lindholz erzählt, wie der Anschlag in Aschaffenburg die Migrationspolitik Deutschland prägt – und erklärt, wie die Politik darauf reagieren muss. Sie lobt Friedrich Merz und hat eine klare Meinung zur Brandmauer gegen die AfD. Die Zukunft der Union sieht sie optimistisch.
Judith Gerlach (l.) und Andrea Lindholz (beide CSU) bei einer Kranzniederlegung nach dem tödlichen Angriff in Aschaffenburg
Wie die Tat von Aschaffenburg Deutschland verändert und Friedrich Merz und die Union zu bislang unerreichter Klarheit treibt, weiß Andrea Lindholz, denn sie vertritt den Wahlkreis Aschaffenburg im Bundestag. Beim Gespräch in ihrem Berliner Büro steht die CSU-Abgeordnete und Vizechefin der Unionsfraktion erkennbar unter dem Eindruck des tödlichen Anschlags in ihrer Heimatstadt. Die Ängste, die Wut und die verzweifelten Fragen der Menschen dort bringt sie mit in den Berliner politischen Betrieb.
WELT: Mannheim, Solingen und kein Ende – Deutschland erlebt eine regelrechte Serie von Anschlägen durch Asylbewerber. Aber erst Aschaffenburg erschüttert das Land so sehr, dass ein Weiter-so in der Migrationspolitik undenkbar erscheint. Warum ist das so?
Andrea Lindholz: Dieser grausame, brutale Mord an einem zweijährigen Kind und einem zu Hilfe eilenden Mann lässt niemanden kalt. Stellen Sie sich das einmal vor: Kleine Kinder werden in einem Bollerwagen durch einen Park gefahren, von zwei Erzieherinnen. Ein 28-jähriger Afghane reißt einem Kind Mütze und Schal herab und sticht zu, bis das Kind tot ist. Er sticht auf ein weiteres Kind ein, auch dieses wäre wohl tot, hätte nicht ein couragierter Familienvater vom Bollerwagen abgelenkt. Der Angreifer ersticht auch ihn – sein zweijähriges Kind muss alles mitansehen. Der Täter flieht, Passanten folgen ihm, er kommt nicht weit, nach zwölf Minuten hat ihn die Polizei. Diese zwölf Minuten haben Aschaffenburg tief getroffen und verändert, die ganze Stadt ist in einer Art Schockzustand. Das sind Tränen, Wut, Fassungslosigkeit. Und Fragen: Warum war der noch hier? Er hätte längst abgeschoben sein sollen. Wann hört das auf? Sind unsere Kinder noch sicher?
WELT: Sie wirken aufgewühlt – was hören Sie von Ihren Mitbürgern?
Lindholz: Ich habe Polizisten mit Tränen in den Augen gesehen. Die Frau eines Polizisten sagte mir: „Was macht das alles mit unseren Männern? Wenn mein Mann vom Dienst kommt, sehe ich ihm schon an, was wieder los war.“ Am Infostand erzählte mir ein Vater, er habe jetzt Angst, seine Kinder in die Krippe zu bringen, was natürlich falsch sei, aber er fühle so. Eine Lehrerin berichtete von verängstigten Schülern. Unsere Strukturen in den Behörden und Organisationen sind am Limit. Eine ehrenamtliche Helferin erklärte, dass sie bedroht worden sei, weil sie Migrantinnen Sprachkurse gibt. Eine andere Frau kam zu mir und sagte: „Wann bringt ihr unser Land wieder in Ordnung?“ Das drückt die Stimmung sehr gut aus.
WELT: Ihr – damit ist auch Ihre Partei gemeint. Was macht Aschaffenburg mit der Union?
Lindholz: Ich bin sehr froh, dass Friedrich Merz jetzt in die Offensive gegangen ist. Für ihn war Aschaffenburg der Punkt zu sagen: Das kann und darf nicht die neue deutsche Realität sein, wir werden handeln, vom ersten Tag an, wenn wir regieren. Ohne Wenn und Aber. Wer mit uns regieren will, muss das akzeptieren. Und wir haben schon in der Opposition unser Möglichstes getan. Die Grenzkontrollen an den deutschen Binnengrenzen hat Frau Faeser im Herbst 2023 nur auf Druck der Union eingeführt. Nach dem Anschlag in Solingen haben wir den Entwurf eines Zustrombegrenzungsgesetzes eingebracht, der sollte schon vor Weihnachten durchs Parlament, das scheiterte aber am Ampel-Aus. Aber ja, diese Klarheit jetzt in der Union ist neu. Und ich spüre eine große Geschlossenheit, die durch CDU und CSU geht.
WELT: Was genau wollen Sie mit diesem Gesetz erreichen?
Lindholz: Erstens, das ausdrückliche Ziel der Begrenzung der Migration muss wieder ins Gesetz. Zweitens, die Bundespolizei muss die Befugnis bekommen, selbst Abschiebungshaft für Ausreisepflichtige beantragen zu dürfen, die sie antrifft. Und drittens, der Familiennachzug für subsidiär Schutzsuchende muss gestoppt werden. Das sind erste wichtige Maßnahmen, um die illegale Zuwanderung nach Deutschland zu stoppen.
WELT: Und die umfassenden Zurückweisungen an deutschen Grenzen?
Lindholz: Das ist eine exekutive Maßnahme, die kann die Bundesinnenministerin oder per Richtlinienkompetenz der Kanzler anordnen. Die anderen Punkte bedürfen einer gesetzlichen Grundlage.
WELT: Hat sich Deutschland durch die grenzenlose Migration verändert?
Lindholz: Ja. Schon länger erzählen mir junge Frauen, dass sie bestimmte Orte in meiner Stadt meiden, bestimmte Bahnen nach Frankfurt abends nicht mehr nehmen. Wo ich als junge Frau bedenkenlos hinging, da gehen viele heute nicht mehr hin. Das ist für die einzelnen nicht gut, aber auch nicht für uns als Gesellschaft. Ich will das nicht, das ist furchtbar. Und dann höre ich eine afghanische Elfjährige bei einer Gedenkveranstaltung nach dem Mord sagen: „Ich bin nicht böse, wir alle sind nicht böse, nur manche sind böse.“ Das ist genauso furchtbar.
WELT: Merz und die Union stehen nun unter scharfer Beobachtung, was die sogenannte Brandmauer zur AfD angeht – wie erleben Sie das?
Lindholz: Friedrich Merz und die gesamte Union sind da ganz klar: Es wird keine Zusammenarbeit mit der AfD geben. Weder vor der Wahl noch nach der Wahl. Punkt. Bei uns in Aschaffenburg tauchte gleich Herr Höcke auf. Und am Sonntag, als wir aus der Kirche kamen, fuhr ein Rechter in seinem riesigen Pickup mit Riesenlautsprecherboxen durch die Stadt und brüllte seine Sprüche. Die Leute kamen vom Gottesdienst, sie wollten still sein, trauern, nachdenken. Und dann plärrt der seine unerträglichen Parolen daher. Wir sind ein Land mit einem starken Sozialstaat und großer Bereitschaft, anderen in Not zu helfen – das wird zerstört von solchen brutalen Morden und auch von denen, die sie für ihre Hetze ausnutzen.
WELT: Kann die Union Menschen zurückgewinnen, die aus Verzweiflung über die Zustände im Land AfD wählen?
Lindholz: Ich glaube ja. Auch die Union hat in der Vergangenheit Fehler gemacht. Aber wir haben daraus gelernt. Unsere neue Klarheit in der Sicherheits- und Migrationspolitik hilft uns, Vertrauen zurückzugewinnen. Und auch neu aufzubauen: Wenn ich mit Schulklassen spreche, bewegt die Jugendlichen neben dem Klima gerade auch das Thema Sicherheit. Sie erleben in ihrem Alltag den Stress auf der Straße, auf dem Schulhof, das Behördenversagen bei der öffentlichen Sicherheit, dass unsere Regeln nicht mehr durchgesetzt werden. Das wollen wir ändern.
WELT: Manche in der CDU sehen das nicht so, sie sehnen sich nach der kuscheligen CDU früherer Jahre zurück.
Lindholz: CDU und CSU sind und bleiben Parteien mit einem christlichen Wertefundament. Darum braucht sich niemand Sorgen machen. Und ich glaube, dass auch niemand in der Union bestreitet, dass wir mehr Ordnung und Begrenzung in der Migrationspolitik brauchen. Denn alle wissen: Nur das erhält auf Dauer in unserer Bevölkerung die Hilfsbereitschaft für diejenigen, die wirklich Hilfe brauchen.