Wednesday, January 29, 2025
Korruptionsfall in Hannover weitet sich aus
Korruptionsfall in Hannover weitet sich aus
Frankfurter Allgemeine Zeitung
in Hannover weitet sich aus
Reinhard Bingener • 4 Std. • 4 Minuten Lesezeit
Schon länger warnen Fachleute davor, dass organisierte Kriminelle die Sicherheitsbehörden unterwandern könnten. Vorkommnisse in Niedersachsen deuten nun darauf hin, dass dies bereits geschieht: In der vergangenen Woche hat dort die Staatsanwaltschaft Osnabrück Anklage gegen einen 39 Jahre alten Staatsanwalt aus Hannover erhoben, weil er einer Drogenbande aus der Stadt gegen Geld die nächsten Schritte der Behörden verraten haben soll. So mussten die Polizisten bei ihrem Schlag gegen die Bande, die Kokain im Wert von rund einer Milliarde Euro nach Deutschland geschmuggelt hat, am 3. März 2021 zu ihrer Frustration feststellen, dass einige der gesuchten Drogenhändler plötzlich abgetaucht waren – teils sind sie es bis heute.
Der beschuldigte Staatsanwalt Yashar G. war zunächst als Staatsanwalt in Berlin tätig, kehrte 2019 in seine Heimatstadt Hannover zurück und wurde dort für die Drogenkriminalität zuständig. Durch die Entschlüsselung kryptierter Chats flogen bald darauf in ganz Europa reihenweise Drogenbanden auf, so auch besagte Gruppe um Konstantinos S. aus der niedersächsischen Landeshauptstadt. Zwischen Juni 2020 und März 2021 soll der Staatsanwalt in insgesamt 14 Fällen Dienstgeheimnisse gegen Bargeld an die Bande verkauft haben.
Nach Angaben der Behörden sollen mindestens 65.000 Euro geflossen sein. Der Kontakt zwischen dem Staatsanwalt und der Bande lief vermutlich über einen Boxtrainer. In den Chats der Drogenbande firmierte der Staatsanwalt als „Cop“ und der ebenfalls angeklagte Trainer als „Coach“.
Die Behörden hatten schon früh Verdachtsmomente gegen den Staatsanwalt. Ein Mann, der als Kurier für die Drogenbande wirkte und im April 2022 festgenommen wurde, bat im Oktober 2022 zwei LKA-Beamte zu einem Gespräch ins Gefängnis. Laut dem Protokoll, das der F.A.Z. vorliegt, berichtete der Mann von Schmiergeldzahlungen an Yashar G.
Die Wohnung des Staatsanwalts wurde daraufhin am 23. November 2022 durchsucht. Bei der Durchsuchung war auch die damalige Leiterin der Staatsanwaltschaft Hannover, Katrin Ballnus, persönlich zugegen, die mittlerweile als Nachfolgerin von Frank Lüttig die übergeordnete Generalstaatsanwaltschaft Celle leitet. Die Ermittlungen wurden jedoch eingestellt, da sich der Verdacht angeblich nicht erhärten ließ.
Zweifel gegen den Staatsanwalt bestehen schon länger
Der beschuldigte Staatsanwalt wurde auch nicht von dem Fall abgezogen, durfte sogar weiter die Anklage gegen den Kurier führen, der den Korruptionsverdacht gegen ihn geäußert hatte. Ein Anwalt des Kuriers berichtete, dass zum Prozessauftakt gegen seinen Mandanten Generalstaatsanwalt Lüttig erschienen sei und gesagt habe, er wolle dem Staatsanwalt Yashar G. mit dieser ungewöhnlichen Aktion den Rücken stärken.
Der Kurier wurde vom Landgericht Hannover am 14. März 2023 zu zwölfeinhalb Jahren Haft verurteilt. Der Bundesgerichtshof hat das Strafmaß vor wenigen Wochen aufgehoben, das nun neu verhandelt werden muss. Abgesehen davon blieb das Urteil bestehen, weil das Recht auf ein faires Verfahren nach Auffassung des BGH nicht verletzt wurde. Der Korruptionsverdacht gegen den Staatsanwalt sei zu diesem Zeitpunkt schließlich bloß vage gewesen.
Doch die Zweifel an den damaligen internen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Hannover gegen Yashar G. wachsen. Bei der Wohnungsdurchsuchung im November 2022 wurden nach einem Bericht der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“ auf dessen Mobiltelefon zwei Fotos gefunden, die er auch weitergeleitet hatte: Eines zeigte den Einsatzplan für die Razzia bei der Drogenbande, das andere die Liste der zu durchsuchenden Adressen.
Wie passt das zu der Ausführung des Justizministeriums im Landtag, der Korruptionsverdacht gegen den Staatsanwalt habe sich nach der Durchsuchung „überhaupt nicht erhärtet“ und sei „praktisch komplett zusammengebrochen“? Die oppositionelle CDU kritisiert schon länger, dass das SPD-geführte Justizministerium die Staatsanwaltschaft Hannover hausintern gegen Yashar G. ermitteln ließ. Der heikle Fall wurde erst nach umfänglicher Medienberichterstattung im Dezember 2024 an die Staatsanwaltschaft Osnabrück abgegeben.
Und noch ein Verdacht
Der Fall könnte sich auch noch stärker ausweiten: Einer der Köpfe der Drogenbande, Chaled B., war Geschäftsführer einer IT-Beratungsfirma in Celle. Die Firma, die inzwischen von seiner Mutter geleitet wird, wurde vor zwei Wochen durchsucht, denn sie hatte zahlreiche Aufträge von niedersächsischen Justiz- und Polizeibehörden bekommen. Den Verdacht, dass die Drogenbande auch auf diesem Weg an sensible Informationen gelangt sein könnte, hatte bereits im Oktober 2022 der inhaftierte Kurier geäußert. Er bestand damals darauf, dass die LKA-Beamten das Gespräch mit ihm nicht digital aufzeichnen, denn er habe gehört, dass besonders Chaled B. mit der IT der Polizei zu tun hat und darüber womöglich Zugriff auf deren Daten hat.
Inzwischen verdichten sich auch die Hinweise, dass Staatsanwalt Yashar G. auch noch zu anderen Kriminellen Kontakte hatte, darunter zur Rockergruppe „Hells Angels“, die bis heute eine wichtige Rolle im hannoverschen Rotlichtbezirk am Steintor spielt. Der Schwager des Staatsanwalts, Aschkan A., wurde zudem 2021 wegen Drogenhandels zu einer langen Haftstrafe verurteilt. Diese Verbindung war der Staatsanwaltschaft Hannover seit 2022 bekannt, führte aber erst Anfang 2024 dazu, dass Yashar G. von Ermittlungen zur Rauschgiftkriminalität abgezogen wurde. Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass behördeninterne Informationen auch in diese Richtungen abflossen. Sie sind aber nicht belastbar genug für eine Anklageerhebung.
Und im Steintorviertel gab es, wie vor einigen Tagen bekannt wurde, offenbar noch weitere korrupte Beamte, die Geld von Drogendealern genommen haben sollen. Es geht um einen 33 Jahre alten Oberkommissar sowie um einen 50 Jahre alten Hauptkommissar. Eine Verbindung zum Fall Yashar G. sehen die Ermittler aber nicht.