Tuesday, January 28, 2025
Frankreich: Arbeitslosigkeit könnte deutlich steigen – Macron-Erfolg verpufft
Handelsblatt
Frankreich: Arbeitslosigkeit könnte deutlich steigen – Macron-Erfolg verpufft
Waschinski, Gregor • 10 Std. • 3 Minuten Lesezeit
Emmanuel Macron stärkte den französischen Arbeitsmarkt. Nun muss der politisch angeschlagene Präsident mit ansehen, wie Arbeitsplätze verschwinden. Es trifft vor allem Jüngere.
Präsident Emmanuel Macron wollte Frankreich bis 2027 eigentlich in die Vollbeschäftigung führen. Auf der Webseite des Élysée-Palasts steht dieses ambitionierte Ziel noch immer unter Macrons Prioritäten. Doch ausgesprochen hat er das Wort „Vollbeschäftigung“ schon länger nicht mehr. Vielmehr steigt die Arbeitslosigkeit in der zweitgrößten Volkswirtschaft der EU.
Neue Daten des Arbeitsministeriums in Paris bestätigen den negativen Trend: Die Anzahl der Jobsuchenden stieg von Oktober bis Dezember 2024 verglichen mit dem Vorquartal um 3,9 Prozent. Klammert man die Coronakrise aus, ist das der stärkste Anstieg seit einem Jahrzehnt.
Der Gewerkschaftsbund CGT sieht durch Entlassungspläne von Unternehmen zusätzlich fast 300.000 Stellen in Gefahr. Der Arbeitgeberverband Medef spricht bereits von einem „Job-Alarm“. Frankreich mache sich wieder Sorgen wegen der Arbeitslosigkeit, sagt Stéphane Colliac von BNP Paribas. Der Ökonom analysiert für die Bank die französische Wirtschaft, für 2025 erwartet er eine Arbeitslosenquote von 8,5 Prozent.
Macrons Erfolge am Arbeitsmarkt in Gefahr
Vor einem Jahrzehnt lag die Arbeitslosigkeit unter dem damaligen Präsidenten François Hollande zeitweise bei über zehn Prozent. Weil Hollande die hohe Arbeitslosigkeit nicht in den Griff bekam, trat er gar nicht erst zur Wiederwahl an. Nachfolger Macron drückte die Arbeitslosenquote auf etwa sieben Prozent, den tiefsten Stand seit Anfang der 1980er-Jahre.
„Es gab zunächst Erfolge in Macrons Amtszeit“, sagt Antonin Bergeaud, Arbeitsmarktexperte an der Wirtschaftsuni HEC in Paris. Der Präsident flexibilisierte das Arbeitsrecht, entschärfte die Kündigungsregeln für Unternehmen und wollte damit Neueinstellungen attraktiver machen.
Macron führte eine betriebliche Ausbildung wie in Deutschland ein, um jungen Menschen den Berufseinstieg zu erleichtern. Außerdem baute er die Arbeitsämter um und verkürzte den Bezug von Arbeitslosengeld von 24 auf maximal 18 Monate. Er wollte damit Anreize für Beschäftigung geben.
Der Ansatz erinnert an das „Fordern und Fördern“ der sogenannten Hartz-Reformen der Agenda 2010 von Ex-Kanzler Gerhard Schröder (SPD). „Wir haben uns von Hartz inspirieren lassen“, formulierte es der Macron-Vertraute Marc Ferracci einmal. Ferracci schrieb am Wahlprogramm des Präsidenten mit, heute ist er Industrieminister.
Strukturprobleme in der Industrie
Von diesem Reformgeist ist heute nichts mehr zu spüren. Macron fehlt seit seiner Neuwahl-Entscheidung im Juni 2024 eine Regierungsmehrheit im Parlament. Diese Instabilität gilt als wichtiger Grund dafür, dass Frankreichs Unternehmen nun pessimistisch in die Zukunft blicken und auch die Lage am Arbeitsmarkt schlechter wird.
Die politische Krise ist allerdings nicht die einzige Erklärung. „Viele der Entlassungen betreffen die Industrie“, sagt Arbeitsmarktexperte Bergeaud. Frankreich stehe dabei vor ähnlichen strukturellen Herausforderungen wie Deutschland: großen Veränderungen durch neue Technologien wie Elektroautos, wachsender Konkurrenz aus China und hohen Energiepreisen.
Dazu komme die im internationalen Vergleich geringere Produktivität der französischen Wirtschaft, sagt Bergeaud. Die Reformen von Macron hätten daran nichts geändert: „Es war eine Augenwischerei: Wir haben den Rückgang bei der Arbeitslosigkeit ein Stück weit auch mit einem Rückgang der Produktivität bezahlt.“
Als Beispiel nennt Bergeaud Macrons Ausbildungsoffensive. Damit sei zwar die Jugendarbeitslosigkeit gesenkt worden. Diese Jobs seien aber nicht sehr produktiv, da Auszubildende und Berufsneulinge ihre Berufe gerade erst erlernen.
Die Daten des Arbeitsministeriums deuten nun auch darauf hin, dass der aktuelle Stellenabbau besonders Jüngere trifft. Die Zahl der Jobsuchenden unter 25 Jahren nahm im vierten Quartal 2024 um 8,5 Prozent zu – auf alle Altersgruppen bezogen lag der Anstieg nur bei 3,9 Prozent.
Das nationale Statistikinstitut Insee hat die offizielle Arbeitslosenquote für das vergangene Jahr noch nicht veröffentlicht. Im dritten Quartal 2024 verzeichnete Insee aber schon einen leichten Anstieg auf 7,4 Prozent, der sich beschleunigen dürfte. Die französische Notenbank geht in ihrer Prognose von einem Anstieg auf 7,8 Prozent in diesem Jahr aus, viele Ökonomen sind aber pessimistischer.
Insolvenzen auf Rekordniveau
Die Zahl der Insolvenzen in Frankreich befand sich zuletzt auf einem Höchststand: Mehr als 66.000 Firmen gingen laut einer Analyse der Bankengruppe BPCE im vergangenen Jahr pleite, rund 260.000 Arbeitsplätze stünden dadurch auf dem Spiel.
„Wir haben einen Rekord an Insolvenzen. Firmen machen Werke dicht“, sagt BNP-Paribas-Volkswirt Colliac. Stark betroffen ist die Autobranche. Die Zulieferunternehmen Michelin, Forvia und Valeo verkündeten Pläne zum Personalabbau. Auch im Bausektor droht eine Entlassungswelle, die großen französischen Supermarktketten Auchan und Casino wollen ebenfalls Tausende Stellen streichen.
Die Gewerkschaftsprognose von mehreren Hunderttausend verlorenen Jobs hält Colliac zwar für übertrieben, da nicht jede gefährdete Stelle auch tatsächlich gestrichen werde. Dennoch dürften dieses Jahr wohl 100.000 Arbeitsplätze in französischen Firmen verschwinden: „Die Hälfte in der Industrie, die andere Hälfte im Dienstleistungssektor.“
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