Wednesday, January 29, 2025
Staatsanwaltschaft ermittelt - Razzia, Millionenschaden: Korruptions-Skandal um Staatskanzlei von Hendrik Wüst
Staatsanwaltschaft ermittelt - Razzia, Millionenschaden: Korruptions-Skandal um Staatskanzlei von Hendrik Wüst
FOCUS-online-Reporter Axel Spilcker • 2 Std. • 6 Minuten Lesezeit
Bei der Sanierung der nordrhein-westfälischen Staatskanzlei soll es durch Korruption zu einem Millionen-Schaden gekommen sein. Staatsanwaltschaft und Landeskriminalamt ermitteln. Für Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) kommt die Affäre zur Unzeit.
Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) ist wütend. Anlass ist eine Korruptionsaffäre, die Umbau und Sanierung seines neuen Amtssitzes betrifft. Die Landesregierung werde alles unternehmen, um die Vorgänge lückenlos aufzuklären, hieß es aus der Staatskanzlei.
Vor zwei Wochen führten Ermittler des Landeskriminalamts (LKA) NRW im Auftrag der Staatsanwaltschaft Wuppertal eine Razzia mit 40 Durchsuchungsbeschlüssen durch. Es geht um Betrug, Untreue, Bestechung und Bestechlichkeit. Die Schadensumme beläuft sich vorläufig auf einen einstelligen Millionenbetrag.
Insider vermuten aber, dass sich die Summe erhöhen könnte. Sieben Beschuldigte listen die Ermittler auf, darunter vier Bedienstete des landeseigenen Bau- und Liegenschaftsbetriebes (BLB), die das Sanierungsprojekt beaufsichtigen sollten.
Ebenfalls unter Tatverdacht stehen zwei Mitarbeiter aus einem Architekturbüro und ein Firmenchef, die unter anderem von mutmaßlichen Schiebereien um die millionenschwere Installation von Beleuchtungsanlagen profitiert haben sollen. Mitarbeiter der Staatskanzlei seien nicht beschuldigt, hieß es.
Dennoch kommt Razzia für Wüst und die Staatskanzlei zur Unzeit. In drei Wochen stehen die Bundestagswahlen an.
Es geht um Betrug, Untreue, Bestechung und Bestechlichkeit
Wie FOCUS-online-Recherchen ergaben, sollen gleich zum Start der umfangreichen Sanierungsmaßnahmen Ausschreibungen verschoben worden sein. So soll bereits 2018 die Auftragsvergabe an ein Düsseldorfer Architekturbüro manipuliert worden sein. Dies geht aus dem Bericht der Internen Revision des BLB hervor.
Bereits im März 2018 könnte die Vergabe so manipuliert worden sein, dass nur ein Gewinner daraus hervorgehen konnte: das Düsseldorfer Architekturbüro. So legt es der BLB-Report nahe.
Dabei ging man den Angaben zufolge sehr geschickt vor. Zum Bieterverfahren seien nur solche Büros eingeladen worden, die eigentlich keine Chance hatten, dieses Großprojekt zu stemmen. Dazu sollen auch die Düsseldorfer Architekten gehört haben.
Bis heute fehle es an schlüssigen Erklärungen, warum ausgerechnet diese Firma den Zuschlag erhalten hat, so der Befund der Innenrevision. Schließlich sei das Unternehmen damals gerade erst gegründet worden, sodass etwa Referenzen gänzlich fehlten.
Die BLB-Fahnder gehen davon aus, dass das Projekt bewusst diesem Unternehmen zugeschustert wurde.
Einmal im Geschäft, sollen dem Düsseldorfer Architekturbüro noch weitere Aufträge im Zusammenhang mit der Staatskanzlei zugeschustert worden sein. Etwa die Verantwortung für die Instandhaltung, die Fassadendämmung sowie den Bereich „Nutzerwünsche“ – jedes Mal, ohne Konkurrenzangebote eingeholt zu haben. In diesen Fällen hätte es laut den BLB-Fahndern eine großangelegte Ausschreibung geben müssen.
Hier könnten die strafrechtlichen Nachforschungen weitere finanzielle Unregelmäßigkeiten und politische Verantwortlichkeiten zu Tage fördern, urteilen die Experten in ihrem Bericht.
Mutmaßliche Schiebereien bei Installation der Lichtanlagen
Auslöser der Ermittlungen auch der Staatsanwaltschaft waren mutmaßliche Schiebereien bei der Installation der Beleuchtungsanlagen in Millionenhöhe im Sitz des Ministerpräsidenten. Laut Landeskriminalamt sollen völlig überhöhte Rechnungen gestellt worden sein, die der BLB scheinbar ohne längere Prüfung durchwinkte.
So soll es allein in einem Fall um gut 2,3 Millionen Euro gegangen sein. Der Bau- und Liegenschaftsbetrieb ist Eigentümer der meisten Grundstücke und Gebäude des Landes NRW.
Die Entscheidung, den Regierungssitz vom gläsernen Stadttor in das alte Landeshaus am Horionplatz in der Düsseldorfer City zu verlegen, hatte im Jahr 2017 Armin Laschet kurz nach seiner Wahl zum NRW-Ministerpräsidenten getroffen. Hier hatte der CDU-Politiker bereits als Integrationsminister amtiert, und von hier aus wollte er das bevölkerungsreichste Bundesland regieren.
Und das sollte den Steuerzahler auch etwas kosten. Um das Projekt umzusetzen, machte der damalige Regierungschef seine langjährige Vertraute Maria Huesmann-Kaiser zur Sonderbeauftragten. Es werde „ein Gebäude ohne Protz“, betonte die leitende Ministeriale seinerzeit in einem Interview und fügte bodenständig hinterher: „Hier wird mit Stahl und Beton gebaut, nicht mit Marmor.“
Billig jedoch wurde es trotzdem nicht. Ganz im Gegenteil: Inzwischen sollen die Sanierungskosten um 30 Prozent auf mindestens 55 Millionen Euro gestiegen sein. Sparsames Wirtschaften jedenfalls sieht anders aus.
Wer aber hat denn in der Staatskanzlei, der zentralen Regierungsstelle in NRW, das Sanierungsvorhaben kontrolliert? Wer hat sein Plazet zur Vergabe an das Düsseldorfer Architekturbüro gegeben? War es Laschet oder dessen Vertraute Huesmann, war es der damalige und heutige Chef der Staatskanzlei, Nathanael Liminski (CDU)?
Oder kann es tatsächlich so gewesen sein, dass einfache BLB-Mitarbeiter, die jetzt infrage stehenden Aspekte bei einem derart wichtigen Bauprojekt des Landes alleine entscheiden durften?
Wer war zuständig? Wer war verantwortlich?
Danach befragt, hat Laschet sich nicht geäußert und an die nordrhein-westfälische Staatskanzlei verwiesen. Ein Sprecher der Behörde teilte FOCUS online mit: „Das Vergabeverfahren zu der Beauftragung lag in den Händen des BLB NRW. Da es sich um den Dienstsitz des Ministerpräsidenten handelte, war die Staatskanzlei als Mieterin und Nutzerin des Gebäudes in der Frühphase des in Aussicht genommenen Projekts vorbereitend eingebunden.“
In der neuen Staatskanzlei seien „unterschiedliche Beleuchtungen auf der Grundlage diverser Vergabeverfahren eingebaut“ worden. Dazu habe es vorab „Bemusterungstermine“ gegeben, „an denen auch Vertreterinnen und Vertreter der Staatskanzlei teilnahmen“.
Hier seien „Einschätzungen und Präferenzen unter anderem mit Blick auf die Gestaltung, Materialität aber insbesondere auch zur Frage der Wirtschaftlichkeit geäußert“ worden, so der Sprecher.
„Einzelheiten zu Vergaben, Rechnungslegungen und vertraglichen Anforderungen“ indes seien dabei nicht besprochen worden. „Die Vergabeverfahren führte der Eigentümer, der BLB NRW, in eigener Zuständigkeit durch“, ergänzte der Sprecher.
Die Zuständigkeit für das Bauprojekt habe in der Staatskanzlei zunächst in der Abteilung I („Politische Planung, Personal und Innere Dienste“) und „ab dem Jahr 2022 nach der Regierungsneubildung in der neu gegründeten Abteilung Z“ gelegen.
Einige Monate vor dem Start des neuen Ressorts hatten die Objektplaner des Düsseldorfer Architekturbüros laut BLB-Innenrevision auch den Millionenauftrag für die Leuchtanlagen erhalten.
Wieder konnten sich BLB-Kontrolleure nicht erklären, wie es dazu kommen konnte. Denn besagte Firma habe auch nicht über das nötige Knowhow für solche Arbeiten verfügt. Auf schriftliche FOCUS-online-Anfragen hat das Architektur-Büro nicht reagiert.
So soll der Schmu laut Ermittlern gelaufen sein
Die mutmaßlichen Mauscheleien beim Lampengeschäft sollen laut den BLB-Kontrolleuren folgendermaßen gelaufen sein: Bei den Aufträgen für Elektroanlagen wurden nur jene Firmen bedacht, die einen ganz bestimmten Lampenhersteller aus Düsseldorf bevorzugten. Dessen Produkte waren zwar sowieso schon viel teurer als Konkurrenzangebote, wurden dann aber zudem noch überteuert abgerechnet.
Das so erbeutete Geld sollen mehrere Akteure aus dem mutmaßlichen Korruptionszirkel unter sich aufgeteilt haben, vermutet die Staatsanwaltschaft Wuppertal: Der Lampenproduzent, das Architekturbüro und die BLB-Mitarbeitenden, die sämtliche Nachforderungen für die angeblich so teure Beleuchtung genehmigt haben.
Um den Schwindel zu verschleiern, sollen die entsprechenden Vorgänge im hauseigenen Softwaresystem des Landesbetriebs gefälscht worden sein.
Beim nordrhein-westfälischen Bau- und Liegenschaftsbetrieb ist angesichts des zu befürchtenden eigenen Komplettversagens beim mutmaßlichen Betrug keine Spur von Demut zu entdecken.
Auf FOCUS-online-Anfrage verwies Sprecher Nick Beckmann lieber darauf, dass der BLB „die zuständigen Behörden im Rahmen seiner Möglichkeiten bereits umfassend und transparent bei ihren Ermittlungen unterstützt“ habe.
Und noch mehr: „Im Rahmen eines umfassenden Compliance Management Systems“ verfüge der Landesbetrieb „über zahlreiche Kontrollmechanismen zur Prävention und Bekämpfung von Korruption“. Ein „interner Korruptionsbeauftragter“ beispielsweise stehe den „Beschäftigten bei Fragen zum Umgang mit korruptionsverdächtigen Sachverhalten zur Verfügung“.
Finanzministerium kündigt umfassende Überprüfung an
All diese „Kontrollmechanismen“ aber scheinen nichts genutzt zu haben, die mutmaßlichen Schwindeleien blieben unbemerkt. Das Verfahren kam nach Informationen von FOCUS online erst in Gang, als sich ein nicht zum Zuge gekommener Mitbewerber der mutmaßlichen Betrügerfirmen meldete und als Kronzeuge auch für die BLB-Innenrevision zur Verfügung stellte.
Der entscheidende Zeuge aber habe sich doch beim „externen Korruptionsbeauftragten“ seines Arbeitgebers gemeldet, teilte BLB-Sprecher Beckmann mit. Es klingt, als ob es eine Errungenschaft und keine Selbstverständlichkeit wäre, dass es in seinem staatlichen Multi-Unternehmen jemanden gibt, der Betrugshinweise annimmt.
Zumindest dem nordrhein-westfälischen Finanzministerium, dem Dienstherrn des BLB, scheint die Problemlage bewusst zu sein. Das hat jetzt eine umfassende Überprüfung „aller internen Kontrollmechanismen und Compliance-Systeme“ des Landesbetriebes durch eine unabhängige Wirtschaftskanzlei angekündigt.
Da nach den Razzien das Ermittlungsverfahren zur Sanierung der Staatskanzlei nicht länger verdeckt laufe, will das Ministerium nun auch untersuchen lassen, ob es bei anderen BLB-Projekten zu ähnlich gelagerten Fällen gekommen sein könnte. Außerdem wurden „spezielle Schulungen“ für alle BLB-Führungskräfte angeordnet.
„Ein besonderes Augenmerk“ solle dabei „auf der Erkennung von betrügerischen und missbräuchlichen Handlungen in Vergabeprozessen liegen, insbesondere auch im Umgang mit externen Auftragnehmern“, heißt es in einem Papier des Finanzministeriums, das FOCUS online vorliegt.