Monday, April 7, 2025

Kommentar: Das ist der wahre Grund für den Ausverkauf an den US-Börsen

Handelsblatt Kommentar: Das ist der wahre Grund für den Ausverkauf an den US-Börsen Dörner, Astrid • 6 Std. • 4 Minuten Lesezeit Ausgerechnet die Milliardäre im Weißen Haus scheren sich jetzt nicht um die Folgen eines Börsen-Crashs. Profi-Investoren fühlen sich von US-Präsident Donald Trump getäuscht. Der 4. April – es ist ein Datum, das man sich gut merken kann. Und die Chancen stehen gut, dass es in die Finanzgeschichte eingehen wird. Es ist der Tag an dem Investoren weltweit zwei wichtige Aha-Momente hatten und ihre Strategien plötzlich und rabiat ändern mussten. Die Folge: An den Aktienbörsen wurden Billionen an Marktkapitalisierung vernichtet. Und alle Anzeichen deuten darauf hin, dass die Turbulenzen in der neuen Woche direkt weiter gehen werden. Erkenntnis eins: US-Präsident Trump meint es tatsächlich ernst mit seiner Zollstrategie. Sicher, er hat es im Wahlkampf immer und immer wieder angekündet: Importzölle in Höhe von 60 Prozent auf chinesische Güter, 20 Prozent auf europäische Güter lautete die Daumenregel vor der Präsidentschaftswahl Anfang November. „Zölle sind der schönste Begriff im Wörterbuch“ hatte Trump noch nachgelegt. Und dennoch wollten es viele Investoren schlicht nicht wahr haben, dass Trump tatsächlich so weit gehen würde. Zu verlockend waren die anderen Dinge, die Trump ebenfalls in Aussicht gestellt hatte: Steuersenkungen für Vermögende und eine Deregulierungsoffensive, die die Aktienkurse zusätzlich nach oben treiben sollten. Also verwiesen Wall-Street-Profis reihenweise auf Trumps erste Amtszeit. „Da kamen die Dinge dann ja auch nicht so schlimm, wie er es zuerst angedroht hatte“, sagte ein langjähriger Investor. „Doch ich muss leider zugeben, ich lag falsch.“ So oder so ähnlich geht es vielen Anlegern in diesen Tagen. Allein am Donnerstag und am Freitag verlor der S&P 500 5,4 Billionen Dollar an Wert. Auf einmal war die Angst doch zu groß, dass Donald Trump mutwillig eine Rezession auslösen könnte und eine Finanzkrise gleich mit. Von der großen Innovationskraft der USA, der widerstandsfähigen Wirtschaft, den dynamischen Kapitalmärkten für die Amerika lange Zeit stand, wollte plötzlich niemand mehr etwas wisen, alle wollten nur noch eines: raus aus US-Aktien. Am Freitag dann revidierten eine ganze Reihe von Marktbeobachtern ihre Rezessionswahrscheinlichkeiten deutlich nach oben. JP Morgan Chase sieht dafür nun eine Wahrscheinlichkeit von 60 Prozent. „Wir werden wahrscheinlich in eine Rezession eintreten“, heißt es bei der UBS. Vor den Zoll-Ankündigungen am 2. April hielten nur wenige Experten eine Rezession für das wahrscheinlichste Szenario. Dass der Abverkauf am Freitag weiter ging deuten Experten als schlechtes Zeichen. „Ein Kurssturz in diesem Ausmaß signalisiert, dass die Probleme noch nicht vorbei sind“, schrieb Harvard-Ökonom Larry Summers am Sonntag auf dem Kurznachrichtendienst X. „Leute sollten sehr vorsichtig sein“, so Summers, der unter dem Demokrat Bill Clinton Finanzminister war. Handelsminister Howard Lutnick heizte die Stimmung am Sonntag zusätzlich an. Lutnick betonte, dass ein Aufschieben der Zölle nicht in Frage käme. Sie würden „für Tage und Wochen“ in Kraft bleiben. Damit verbunden ist Erkenntnis zwei: Dem Weißen Haus sind die Märkte egal. Es ist eine paradoxe Situation: Die Regierung im Weißen Haus ist so unternehmensnah und unternehmensfreundlich wie nie zuvor. Der Handelsminister, Howard Lutnick, ist der ehemalige Chef einer Investmentbank. Finanzminister Scott Bessent hat bis vor Kurzem noch einen Hedgefonds geleitet. Trump selbst war Anfang Dezember selbst noch auf dem Parkett der New York Stock Exchange und hat sich als Mann der Märkte feiern lassen. Trader skandierten „USA! USA!“. Dennoch „scheint sich genau diese Administration nicht für die Aktienmärkte zu interessieren“, sagte ein Portfolio-Manager in New York. Und es könnte noch lange dauern, bis dieser Schock an den Märkten verdaut wird. Schließlich gefiel vielen Anlegern, dass Trump ein Milliardär und Geschäftsmann war. Sie wähnten sich in Sicherheit, weil sie glaubten, dass Trump und seine Wall-Street-Minister steigende Märkte stets als wichtigen Gradmesser führ ihren Erfolg sehen würden. Bessent war die große Hoffnung. „Die Annahme war: So lange er Finanzminister ist, würde er schon dafür sorgen, dass es nicht zu Verwerfungen an den Märkten kommt“, erklärt ein Berater in Washington. Doch auch diese Annahme war falsch. Bessent wurde mit Anrufen und SMS überflutet, doch er spielte in Trumps Zoll-Strategie nur eine Nebenrolle. Mehr noch: Er leugnete gar den Zusammenhang zwischen den von Trump verhängten Zöllen und den Kurseinbrüchen. „Für all diejenigen, die denken, dass die Marktrückgänge alle auf die Wirtschaftspolitik des Präsidenten zurückzuführen sind: Ich kann Ihnen sagen, dass die Abverkäufe mit der der Veröffentlichung der chinesischen KI DeepSeek begann“, erklärte Bessent in einem Interview mit dem konservativen Kommentator Tucker Carlson. DeepSeek ist eine Künstliche Intelligenz (KI) aus China, die deutlich günstiger ist als der große US-Konkurrenz OpenAI. Die Märkte hatten sich nach einem DeepSeek-Schock Ende Januar indes wieder erholt und im Februar noch neue Höchststände erreicht. Wie stark die Kurse in dieser Woche einbrechen könnten, das vermag niemand präzise vorherzusagen. Selbst die größten Optimisten an der Wall Street, wie Ed Yardeni, klammern sich derzeit an Strohhalme. „Ein frühzeitiges Ende von Trumps Zoll-Albtraum würde zu einer V-förmigen Bodenbildung an den Aktienmärkten führen“, schrieb er in einer aktuellen Analyse. Damit würden sich die Märkte ähnlich schnell erholen, wie in der Pandemie. Yardeni setzt darauf, auch wenn es derzeit keine Anzeichen dafür gibt. „Denn die Alternative ist einfach nur hässlich.“