Sunday, November 26, 2023
Grüne wollen aus Frust zurück in die 80er
Grüne wollen aus Frust zurück in die 80er
RP ONLINE • 29 Mio.
Vier Tage bereiten sich die Grünen bei ihrem Bundesparteitag auf die Europawahlen vor, wählen vor allem linke Mitglieder auf die Liste. Und inhaltlich wagen sie den Aufstand gegen die eigenen Leute in der Regierung und in Europa. Ein Weg in die Vergangenheit.
Sie waren bei ihrem Parteitag angetreten, es den anderen Parteien und der Anti-Grünen-Stimmung in der Bevölkerung mal so richtig zu zeigen: Wir sind gar keine Ideologen, sondern übernehmen Verantwortung für eine Modernisierung Deutschlands. Im Vorübergehen kippten sie im Europawahlprogramm ihren Widerstand gegen die Speicherung und Nutzung von CO2 und zeigten sich sogar fasziniert von der Kernfusion. Doch der Versuch, das Etikett der Verbotspartei loszuwerden, krachte gegen die Wand des Parteinachwuchses, der es den eigenen Ministern und Abgeordneten in Land, Bund und Europa tatsächlich verbieten wollte, Asylkompromisse mitzutragen, die nicht der reinen grünen Lehre entsprechen.
Es war nicht der Aufstand einer kleinen Gruppe grau gewordener Gründungsgrüner, die die alten Kämpfe wiederbeleben wollte. Es war eine strategisch und taktisch gut aufgestellte akustische Mehrheit der Delegierten, die die eigenen Verantwortungsträger zu Befehlsempfängern der Partei machen wollte. Dabei hatte sich die Partei mit jedem Schritt wachsenden Einflusses in der Politik vom Konstrukt eines solchen imperativen Mandats weiter entfernt.
Während die Fernsehnation via „Wetten, dass…“ das Wiedereintauchen in die 80er Jahre probierte, flirteten zeitgleich auch die Grünen mit der eigenen Vergangenheit. Das mag daran liegen, dass die Partei von damals gut 30.000 auf heute knapp 130.000 Mitglieder gewachsen ist und damit die allermeisten noch nicht selbst erlebt haben können, warum die Grünen diesen Ballast über Bord geworfen hatten. Bezeichnenderweise war es die Grüne Jugend, die ausprobieren wollte, was die Eltern- und Großelterngeneration ebenfalls für überzeugend hielt, als sie die Grünen gründete und alles anders machen wollte.
Der beinahe die Koalition kippende Großkonflikt beim Parteitag hat jedoch mehr inhaltliche als formale Gründe. Hier brach sich der Frust darüber Bahn, dass die Konturen einer programmatisch bedingungslos an der Seite aller Flüchtlinge stehenden Partei in praktischer Regierungsverantwortung immer mehr verloren gehen. Das bedingungslose Eintreten für Menschenrechte ist richtig und die Grundlage des Zusammenlebens im vereinten Europa. Jede Kanalisierung von Einwanderungsbewegungen jedoch als menschenverachtend abzulehnen, führt unmittelbar zur Realitätsverweigerung. Eine Nischenpartei kann sich das leisten. Nicht jedoch eine, die in der bürgerlichen Mitte zur Volkspartei werden will.
Einer der Parteichefs oder Minister reichte nicht aus, um die Stimmung zu drehen. Ricarda Lang, Omid Nouripour, Robert Habeck und Annalena Baerbock mussten alle ihre ganze Überzeugungskraft aufbieten, um fatale Regierungsverweigerung zu verhindern. Anstifter des Aufruhrs werten das als Erfolg. Das Manöver sei nötig gewesen, um klar zu machen, wie ernst es der Basis mit ihrem Verlangen nach einer anderen Asylpolitik ist. Das mag somit für die innere Befindlichkeit der Partei ein Akt wichtiger Selbstvergewisserung gewesen sein. Doch der Lösung der Probleme diente der Vorgang nicht. In der Außensicht hat er im Vorfeld wichtiger Wahlen eher der Anti-Grünen-Stimmung neue Nahrung geliefert.