Thursday, October 21, 2021

Wie sich strauchelnde Christdemokraten an ihre Macht klammern

WELT Wie sich strauchelnde Christdemokraten an ihre Macht klammern Hannelore Crolly vor 2 Std. | Die Union behauptet, dass sie sich nach dem Wahl-Debakel neu aufstellen will – auch personell. Doch vielerorts denkt die alte Garde gar nicht daran, Platz zu machen. In einem für die CDU wichtigen Bundesland wächst die Angst vor einem gewaltigen Fehler merkelscher Art. Die Vokabel „Erneuerung“ wird übereifrig bemüht in der Union, viel ist die Rede von „inhaltlicher und personeller Neuausrichtung“, vom Generationenwechsel, der dringend anstehe. Daher soll unter anderem der Bundesvorstand neu gewählt werden, also 41 Mitglieder. Doch am Ende könnte sich wieder die alte Garde durchsetzen, oder zumindest Teile davon. Das gilt ganz besonders für die fünf Stellvertreter-Posten im Bundesvorstand. Denn auf diese wichtigen Ämter erheben die selbstbewussten Länder-Ableger Anspruch. Und der Länderproporz spielt in der CDU nun einmal eine größere Rolle als die Kompetenz der Bewerber. Solange sich auf den Führungsebenen der Länder nichts bewegt, kann also mit echter Veränderung kaum gerechnet werden. In Baden-Württemberg etwa sieht die viel beschworene Erneuerung der CDU so aus, dass wohl beim Landesparteitag am 13. November Thomas Strobl erneut antritt – zum sechsten Mal in Folge. Der Landesvorsitzende hat es zwar bei der baden-württembergischen Landtagswahl im März nicht einmal zu einem Mandat geschafft. Er unterlag in seinem Wahlkreis einer Grünen, und eine Landesliste zur Rettung der Partei-Spitze gibt es in Baden-Württemberg nicht. Auch die Bundestagswahl lief nicht gut. Aber sein Amt als Landesvorsitzender bewahrte den 61-jährigen Strobl vor dem Karriere-Aus. Er brachte sich nach der Landtagswahl als Sondierer in Stellung, in der schließlich gebildeten grün-schwarzen Regierung blieb er Innenminister und Vize-Ministerpräsident. Nahe liegt, dass er auch wieder Anspruch auf einen Vize-Chefposten im CDU-Bundesvorstand erhebt, wenn er im November in Mannheim gewählt wird. Daran ändert auch Kritik von der Basis nichts. Der CDU-Landrat Günther-Martin Pauli etwa schimpfte in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“: „Parteipolitik ist ein Mannschaftssport. Wenn man den Ball nicht mehr trifft, muss man bessere Spieler aufs Feld lassen.“ Doch noch halten die meisten Parteigranden Strobl die Stange – zähneknirschend. Befürchtet wird, dass ohne ihn die grün-schwarze Regierung auseinanderfliegen würde. Die Angst, dass Bouffier einen merkelschen Fehler wiederholt In Hessen sitzt Bundes-Vize Volker Bouffier noch fest im Sattel, nachdem er im September 2020 für zwei Jahre als Chef der Hessen-CDU wiedergewählt worden war. Damals war die Euphorie und Zustimmung unter den Mitgliedern noch groß, Bouffier bekam mehr als 92 Prozent. Nun ist die Stimmung zwar umgeschlagen, weil der dienstälteste Ministerpräsident Deutschlands maßgeblich daran beteiligt war, Armin Laschet als Parteichef und Kanzlerkandidat durchzudrücken. Die Basis versucht, den Druck auf ihren Chef zu erhöhen, weil sie endlich wissen will, wie er sich seine und die Zukunft der Hessen-CDU vorstellt. Noch allerdings will Bouffier nicht ausschließen, bei der nächsten Landtagswahl 2023 erneut anzutreten. Er werde sich „zu gegebener Zeit äußern“, ließ er seine Partei wissen. Einige Abgeordnete, die sich um ihr Mandat sorgen, bangen nun, dass Bouffier den Fehler von Angela Merkel (CDU) wiederholen könnte. Würde er tatsächlich die volle Legislatur weiterregieren, bliebe einem Nachfolger keine Chance zur Profilierung. Intern heißt es, ein guter Zeitpunkt zum Rückzug wäre das nächste Frühjahr, weil Bouffier dann länger regiert hätte als Vorgänger Roland Koch, sich also seinen Platz in den Geschichtsbüchern gesichert hätte. Allerdings: Ein Nachfolger, der sich aufdrängen würde, steht nicht bereit, Bouffier hat es versäumt, einen geeigneten Kronprinzen oder eine -prinzessin aufzubauen. Lange Zeit galt Finanzminister Thomas Schäfer als gesetzt, einmal Spitzenkandidat oder Regierungschef zu werden, doch der beliebte CDU-Politiker hatte sich zu Beginn der Corona-Pandemie das Leben genommen. Als möglicher Anwärter wurde dann zeitweise Kanzleramtsminister Helge Braun gehandelt, der Gießener führte Hessen bei der Bundestagswahl auch als Spitzenkandidat an. Doch nach diversen Pannen im Corona-Management ist zweifelhaft geworden, ob der studierte Arzt bei den Wählern gut ankäme. Ein Wahlverlierer als Klöckner-Nachfolger? Bliebe im Südwesten Rheinland-Pfalz, das mit der CDU-Landesvorsitzenden Julia Klöckner ebenfalls eine der fünf stellvertretenden Bundesvorsitzenden stellt. Auch Klöckner denkt offenbar ans Weitermachen, zumindest im Bund. Vom Traum, in einer Jamaika-Regierung weiter Ministerin zu sein, hat sie sich zwar mittlerweile verabschiedet – auch wenn die Noch-Ministerin betont, die CDU werde als „staatstragende Partei“ stets Verantwortung übernehmen, wenn es nötig sei. Aber des Amtes als Bundes-Vize sei sie „nicht überdrüssig“, so Klöckner. In Rheinland-Pfalz werde sie allerdings beim Parteitag am 20. November nicht mehr kandidieren, um „nach einer Dekade Vorsitz eine Erneuerung der Partei anzustoßen“, sagte sie kurz nach der Bundestagswahl. Prompt ließ zwei Stunden später Christian Baldauf wissen, er sei „bereit, hier Verantwortung zu übernehmen, gemeinsam mit einem Team“. Februar 2021: Julia Klöckner und Christian Baldauf im rheinland-pfälzischen Landtagswahlkampf Quelle: pa/dpa/Frank Rumpenhorst© pa/dpa/Frank Rumpenhorst Februar 2021: Julia Klöckner und Christian Baldauf im rheinland-pfälzischen Landtagswahlkampf Quelle: pa/dpa/Frank Rumpenhorst Nur war Baldauf eben gerade Spitzenkandidat der krachend verlorenen Landtagswahl im März 2021, außerdem bereits von 2006 bis 2011 Parteivorsitzender, dann trat er für Klöckner in die zweite Reihe. Seine Kandidatur als Erneuerung unterjubeln zu wollen, gelang offenbar nicht. Wenige Tage später ließ die CDU Rheinland-Pfalz lapidar wissen, dass die Vorstandswahl aufs nächste Jahr verschoben wird. Kurzum: Das Vorbild der Noch-Minister Annegret Kramp-Karrenbauer und Peter Altmaier, die für zwei jüngere Hoffnungsträger auf ihr Bundestagsmandat verzichten, macht bisher wenig Schule in der CDU. Auch dass Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble seinen Verzicht auf eine führende Rolle in der CDU verkündete, kann kaum als die angekündigte Erneuerung durchgehen. Schließlich hatte Schäuble dem Bundesvorstand zuletzt nur kraft seines Bundestags-Führungsamtes angehört, der Verzicht ist also in Wahrheit gar keiner. Und die Forderung des bayerischen JU-Chefs Christian Doleschal, Schäuble solle sich an Kramp-Karrenbauer und Altmaier ein Beispiel nehmen, verhallte auch ohne Reaktion. Der 79-Jährige will die gesamte Legislatur im Bundestag bleiben – und 49 Jahren als Abgeordneter vier weitere hinzufügen.