Saturday, October 2, 2021
Aletta von Massenbach: Kurzstreckenflüge verbieten? Berlins neue Flughafenchefin warnt Politik vor falschen Entscheidungen
Aletta von Massenbach: Kurzstreckenflüge verbieten? Berlins neue Flughafenchefin warnt Politik vor falschen Entscheidungen
Kersting, Silke Neuerer, Dietmar vor 33 Min.
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Aletta von Massenbach geht davon aus, dass Fliegen aus Klimaschutzgründen teurer wird. Ihr Appell an die nächste Regierung: „Maßhalten, der Industrie Luft zum Atmen lassen.“
„Die Schulden von 4,5 Milliarden Euro sind für einen Flughafen wie den BER nicht tragfähig.“ © dpa „Die Schulden von 4,5 Milliarden Euro sind für einen Flughafen wie den BER nicht tragfähig.“
Berlins neue Flughafenchefin Aletta von Massenbach hat sich gegen die Forderung der Grünen gestellt, Kurzstreckenflüge abzuschaffen. „Es gibt viele Verbindungen, die über Drehkreuze ins Ausland führen – das sind meines Erachtens keine reinen Inlandsflüge“, sagte von Massenbach dem Handelsblatt. Das müsse die Politik berücksichtigen. „Der Luftverkehrsstandort Deutschland darf nicht durch falsche Entscheidungen zurückgeworfen werden.“
In ihrem Wahlprogramm machen sich die Grünen dafür stark, Kurzstreckenflüge „ab sofort Zug um Zug“ zu verringern und bis 2030 überflüssig zu machen, „indem wir massiv Bahnangebote – gerade Direkt- und Nachtzugverbindungen – ausweiten und für faire Wettbewerbsbedingungen zwischen den Verkehrsmitteln sorgen, die die ökologischen Kosten widerspiegeln“.
Von Massenbach, die auch Vizepräsidentin des Flughafenverbands ADV ist, rechnet damit, dass auf die Flughäfen insgesamt „sehr viele Belastungen“ zukommen, um sich in den nächsten Jahren klimaneutral aufzustellen.
An die Verhandler einer möglichen Ampel- oder Jamaika-Koalition appellierte sie, die Luftverkehrswirtschaft nicht zu überfordern. Sie sollten „maßhalten, der Industrie Luft zum Atmen lassen, damit der Wandel gelingen kann“.
Dessen ungeachtet geht von Massenbach davon aus, dass Fliegen aus Klimaschutzgründen teurer werden wird. „Natürlich kosten alle Maßnahmen, die den negativen Fußabdruck des Luftverkehrs reduzieren, Geld. Und weil das kein Flughafen und keine Fluggesellschaft allein tragen kann, muss es der Nutzer mitfinanzieren.“ Das Fliegen ermögliche es, sehr schnell sehr weit zu reisen, Menschen zu treffen, Geschäfte zu machen, „aber das hat einen Preis – und der ist höher als er bislang kalkuliert war“.
Lesen Sie hier das komplette Interview:
Frau von Massenbach, Ihr Vorgänger Engelbert Lütke Daldrup hat sich mit Blick auf seine Arbeit am BER als „Tatortreiniger“ bezeichnet. Wie sehen Sie Ihre Rolle?
Ich bin froh, dass die teure Bauzeit vorüber ist und der Flughafen in Betrieb ist. Aber klar: Wir haben in finanzieller Hinsicht einige Herausforderungen zu stemmen. Und wir müssen uns für die Zukunft aufstellen.
Waren Sie erschüttert über die vielen Pannen beim Bau des Airports?
Dass es zu solchen Verzögerungen gekommen ist und so teuer wurde, das ist dramatisch. Aber jetzt geht es nicht so sehr um die Analyse der Probleme in der Vergangenheit, sondern um Zukunftsgestaltung.
Im Oktober 2020 eröffnete der BER, aber wegen Corona nahezu ohne Passagiere. Jetzt kommt der Betrieb langsam wieder in Gang. Wie ist die aktuelle Lage?
Seit Juli spüren wir deutlich, dass die Menschen fliegen wollen, das ist ein wunderbares Signal. Der Winter kann aber noch einmal schwierig werden, wenn die Pandemie dann noch nicht ausreichend eingedämmt ist. Wir erwarten aber, dass wir uns mit dem Osterreiseverkehr Richtung Normalisierung bewegen.
Das heißt?
Für 2021 gehen wir von rund zehn Millionen Passagieren aus. Bis 2025 erreichen wir hoffentlich wieder das Vorkrisenniveau von rund 36 Millionen Passagieren pro Jahr.
Von der angestrebten internationalen Bedeutung des BER ist wenig zu spüren. Es gibt gerade mal zwei Langstreckenverbindungen.
Das hat viel mit der Pandemie zu tun. Aber klar: Zwei Langstreckenverbindungen sind für die Region zu wenig. Wir besprechen deswegen mit einigen Fluggesellschaften, inwieweit sie Routen wieder aufnehmen, die sie Covid-bedingt eingestellt haben, etwa nach Amerika. Da könnte jetzt Bewegung reinkommen, weil Geimpfte ohne größere Probleme in die USA reisen dürfen.
United Airlines will ab Dezember wieder von Berlin nach New York fliegen …
Genau. Die Airline wird den Markt testen. Wenn sie dann feststellt, dass New York stark nachgefragt wird, gibt es auch eine wirtschaftliche Rechtfertigung, den Flugverkehr dauerhaft zu etablieren.
Lufthansa lehnt die Langstrecke ab Berlin weiter ab.
Ja, und wir rechnen auch nicht damit, dass sich das morgen oder übermorgen ändert.
Dann wird aus dem BER auch kein internationales Drehkreuz wie Frankfurt und München?
Die Grundvoraussetzungen sind gesetzt: Die Infrastruktur ist da. Uns fehlt die Airline, die das Drehkreuz auch nutzt. Easyjet oder Ryanair ermöglichen gute Verbindungen innerhalb Europas, aber sie sind keine Hub-Airlines. Wir müssen sehen, wie sich das weiterentwickelt.
Die Wirtschaft fordert, dass der Flughafen ein internationales Drehkreuz wird, auch vor dem Hintergrund der Tesla-Ansiedlung in Brandenburg.
Die Wirtschaft will vor allem, dass sie direkt dort hinfliegen kann, wo sie gern hinmöchte. Für die Airlines lohnt es sich aber nur, eine solche Strecke zu bedienen, wenn es Menschen gibt, die die Strecke regelmäßig fliegen. Aber ich stimme Ihnen zu: Für die Wirtschaft und die wirtschaftliche Weiterentwicklung dieser Region ist es wichtig, dass es Flugverbindungen in die Welt gibt. Daran arbeiten wir.
Was ist mit innerdeutschen Kurzstreckenflügen, die aus Klimaschutzgründen perspektivisch wegfallen könnten, wenn es nach den Grünen geht. Ist das eine Bedrohung für den BER?
Es geht um das Ziel, das dahintersteht. Wir müssen aber alle über das Gleiche reden: Es gibt viele Verbindungen, die über Drehkreuze ins Ausland führen – das sind meines Erachtens keine reinen Inlandsflüge. Das muss die Politik berücksichtigen. Der Luftverkehrsstandort Deutschland darf nicht durch falsche Entscheidungen zurückgeworfen werden.
Sie sehen das also eher kritisch, was die Grünen fordern?
Ich appelliere nur, lösungsorientiert an die Frage ranzugehen und alle Aspekte und Facetten zu bedenken. Dass am Ende die Menschen aufs Auto umsteigen, weil innerdeutsche Flüge wegfallen, kann nicht Sinn der Sache sein.
Sind Sie zuversichtlich, dass sich ein Flughafen wie der BER unter verschärften Klimaschutzauflagen wirtschaftlich betreiben lässt?
Ja, das glaube ich schon, wenngleich auf die Flughäfen insgesamt sehr viele Belastungen zukommen, um sich in den nächsten Jahren klimaneutral aufzustellen. Und wir wissen nicht, inwieweit der Luftverkehr noch weiter belastet wird und wie das die Nachfrage beeinflusst.
Was geben Sie den Verhandlern einer möglichen Ampel- oder Jamaika-Koalition mit auf den Weg?
Maßhalten, der Industrie Luft zum Atmen lassen, damit der Wandel gelingen kann.
Muss Fliegen aus Klimaschutzgründen teurer werden?
Ja, davon gehe ich aus. Natürlich kosten alle Maßnahmen, die den negativen Fußabdruck des Luftverkehrs reduzieren, Geld. Und weil das kein Flughafen und keine Fluggesellschaft allein tragen kann, muss es der Nutzer mitfinanzieren. Man kann es doch so sehen: Das Fliegen ermöglicht uns, sehr schnell sehr weit zu reisen, Menschen zu treffen, Geschäfte zu machen, aber das hat einen Preis – und der ist höher als er bislang kalkuliert war.
Also gibt es künftig keine Flüge mehr mit Ticketpreisen unter 50 Euro?
Solche Ticketpreise sind für mich reines Marketing und funktionieren nur über eine Mischkalkulation. Der eine zahlt 10 Euro für den Flug, der andere 200 Euro oder mehr. Jedenfalls zahlt es nicht auf die These ein, Fliegen ist eh zu billig.
Schauen wir auf die Finanzen des BER. Der Flughafen ist enorm verschuldet und stand wiederholt vor Liquiditätsengpässen. Wie ist die Lage aktuell?
Noch nicht besser. Der Flughafen hat Schulden in Höhe von 4,5 Milliarden Euro und coronabedingt kommen noch welche dazu. Das ist für einen Flughafen wie den BER nicht tragfähig.
Was folgt daraus?
Der Plan ist: Die Gesellschafter erlassen uns einen Teil dieser 4,5 Milliarden Euro beziehungsweise stellen uns bis einschließlich 2023 etappenweise insgesamt 2,4 Milliarden Euro in Form von Eigenkapital zur Verfügung, damit wir mit diesem Geld Kredite zurückzahlen können.
Das ist aber noch nicht von Brüssel abgesegnet.
Nein, aber wir sind mit der EU-Kommission in konstruktiven Gesprächen und ich bin zuversichtlich, dass wir bis Ende des Jahres eine positive Rückmeldung bekommen.
Heißt das, die Liquidität ist bis Ende des Jahres gesichert?
Ein bisschen Puffer darüber hinaus haben wir schon. Aber im ersten Quartal 2022 muss weiteres Geld fließen.
Und wenn Brüssel die Unterstützung als unrechtmäßige Beihilfe ansieht? Das wäre ein Riesenproblem.
Natürlich. Aber davon gehe ich nicht aus.
Müssen sich die Eigentümer auf weitere finanzielle Unterstützung einstellen?
Das kann ich nicht ausschließen. Sollte es politisch verursachte Belastungen etwa durch Klimaschutzauflagen für uns geben, dann wüsste ich nicht, woher wir das Geld nehmen sollen. Aber ansonsten gehen wir davon aus, dass wir mit den eigenen Sparmaßnahmen und den Erlösen aus dem anziehenden Geschäft gut über die Runden kommen.