Thursday, February 27, 2025
Unions-Anfrage zu NGOs: Riskante Grauzonen im Gesetz
Frankfurter Rundschau
Unions-Anfrage zu NGOs: Riskante Grauzonen im Gesetz
Artikel von Ursula Rüssmann • 10 Std. • 3 Minuten Lesezeit
Zivilgesellschaft
Dieser Bochumer Kleingartenverein sollte wahrscheinlich besser nicht zu einer Demonstration gegen rechts aufrufen.
Fachleute prangern „falschen Zungenschlag“ im Vorstoß von CDU und CSU an. Sie fordern stattdessen die Stärkung Engagierter und mehr Rechtssicherheit für Vereine.
Nicht nur Vereine und Organisationen von Amnesty International bis zu Greenpeace reagieren entsetzt auf die Unions-Anfrage zur „Politischen Neutralität staatlich geförderter Organisationen“. Auch Fachleute, die Gemeinnützige beraten, üben heftige Kritik und warnen.
Mathias Lindemann, Rechtsanwalt mit Schwerpunkt für Gemeinnützigkeitsrecht in Wiesbaden, nennt das Unionspapier mit mehr als 550 Fragen „befremdlich“. Er fühlt sich „an amerikanische Verhältnisse erinnert“, wo etwa Kritiker:innen des Sturms auf das Kapitol Verfolgung angedroht werde.
Deutlich wird auch Marketing-Experte Patrick Tapp, Präsident des Deutschen Dialogmarketing-Verbands (DDV): Die Unions-Anfrage sei „völlig überzogen“, sagt er der FR, wegen des Umfangs und auch des „falschen Zungenschlags“, der darin enthalten sei: Da werde faktisch „unterschieden zwischen ‚guten’ Organisationen, die sich für Arme, Kranke und Kinder einsetzen, und angeblich ‚schlechten’, obwohl die völlig zu Recht ihre Meinung kundgetan haben zum Schutz der Demokratie in schwierigen Zeiten“. Der DDV vertritt unter anderem viele Unternehmen und gemeinnützige Organisationen, die mit Telefon-, Brief- oder Onlinemarketing für ihre Produkte oder um Spenden werben.
Beide Experten gehen davon aus, dass viele Fragen des Unions-Konvoluts gar nicht beantwortbar seien. Denn die Finanzbehörden sind an das Steuergeheimnis gebunden. Auf mehr als 30 Seiten will die Union zu diversen NGOs oft jeweils das Gleiche wissen: Ob es Hinweise auf Kampagnen „gegen bestimmte Parteien“, auf Zweckentfremdung staatlicher Fördergelder für parteipolitische Zwecke, auf Beeinflussung politischer Entscheidungen gebe. „Tendenziös“ nennt Lindemann das, da werde ein „politisches Signal“ gesetzt.
Und zwar eines, das nicht dazu geeignet ist, gesellschaftspolitisches Engagement zu ermutigen. Ohnehin, sagt der Anwalt, sei die Verunsicherung unter gemeinnützigen NGOs sehr groß, wie weit man als Verein für Demokratie und gegen rechts eintreten dürfe. Seit 2019 sei das spürbar, als erst der globalisierungskritischen Bewegung Attac und dann weiteren Vereinen die Gemeinnützigkeit entzogen wurde.
Seit Jahren fordern Organisationen wie die „Allianz Rechtssicherheit für politische Willensbildung“, in der 200 Vereine zusammenarbeiten, mehr gesetzliche Klarheit. Die Ampel hatte das im Koalitionsvertrag auch versprochen: „Wir wollen gesetzlich klarstellen, dass sich eine gemeinnützige Organisation innerhalb ihrer steuerbegünstigten Zwecke politisch betätigen kann ..., ohne ihre Gemeinnützigkeit zu gefährden“, hieß es darin.
Dazu aber kam es nicht, vor allem weil die FDP immer wieder bremste. Im Gegenteil nimmt der Druck auf Vereine und Organisationen seit Jahren zu – vor allem durch die extrem rechte AfD, die ihr unliebsame Gruppierungen vielerorts mittels Anfragen in Parlamenten und Anzeigen bei Finanzbehörden angreift. Die Folge beschrieb der Thinktank „Zivilgesellschaft in Zahlen“ 2023 in einer repräsentativen Studie. Demnach würden sich rund 30 000 Vereine und Organisationen in Deutschland gern stärker politisch einbringen, tun es aber nicht aus Angst um ihre Gemeinnützigkeit. Wiederholt auch seitens der CDU/CSU bedrängt wurde auch die Deutsche Umwelthilfe wegen ihrer vielen Klimaklagen.
Aufruf mit Tücken
Welche Vereinsziele hierzulande als gemeinnützig und steuerbegünstigt gelten, steht in der Abgabenordnung (AO). Da sind etwa Denkmalschutz, Naturschutz und Kleingärtnerei aufgelistet, auch der Einsatz für Flüchtlinge, rassistisch Verfolgte, Frauen, die Förderung des demokratischen Staatswesens und des bürgerschaftlichen Engagements. Ein Verein darf seine Mittel nur für Ziele ausgeben, die in seiner Satzung stehen. Allerdings heißt es im 2022 geänderten Anwendungserlass zur Abgabenordnung, es sei nicht zu beanstanden, wenn Vereine „außerhalb ihrer Satzungszwecke vereinzelt zu tagespolitischen Themen“ Stellung nähmen. Parteipolitisches Engagement ist aber nicht erwünscht.
Lindemann sieht hier eine problematische Grauzone und nennt ein Beispiel: Wenn eine Partei ankündige, im Fall ihres Wahlsiegs alle Windräder abzureißen, „dann darf ein Sportverein wahrscheinlich nicht zu einer Protestdemo dagegen aufrufen, ein Umweltverein aber doch“. Er hält deshalb eine große Reform des Gemeinnützigkeitsrechts, die mehr Klarheit schafft, für „dringend nötig“.
Wie ein modernes Gemeinnützigkeitsrecht aussehen könnte, dafür hat die „Gesellschaft für Freiheitsrechte“ Vorschläge gemacht. Sie hat einen Muster-Entwurf für ein „Demokratiestärkungsgesetz“ vorgelegt, nach dem auch Einflussnahme auf politische Willensbildung und öffentliche Meinung gemeinnützig wären. Lindemann würde das „sehr begrüßen“. Auch Marketing-Experte Tapp sagt entschieden: „Die Zivilgesellschaft muss gestärkt werden“.