Thursday, February 27, 2025

Europa: Frankreich setzt große Hoffnungen auf einen Kanzler Merz

Handelsblatt Europa: Frankreich setzt große Hoffnungen auf einen Kanzler Merz Waschinski, Gregor • 11 Std. • 3 Minuten Lesezeit HANDOUT - 26.02.2025, Frankreich, Paris: Die vom französischen Regierung verbreitete Aufnahme zeigt Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz zu Besuch im Élysée-Palast mit dem französischen Präsident Emmanuel Macron. Der deutsche Wahlsieger spricht drei Stunden mit Präsident Macron im Élysée über einen Neustart der Beziehungen. In Paris sieht man Merz als Mitstreiter für ein souveränes Europa. Drei Stunden lang saßen Emmanuel Macron und Friedrich Merz am Mittwochabend im Élysée-Palast zusammen. Der französische Präsident hatte den deutschen Wahlsieger zu einem ersten Arbeitsgespräch eingeladen, weitgehend informell und ohne gemeinsame Erklärung im Anschluss. Denn noch ist der scheidende Kanzler Olaf Scholz offizieller Ansprechpartner in Deutschland. Das nur drei Tage nach der Bundestagswahl angesetzte Abendessen deutet allerdings darauf hin, wie ernst es Macron und Merz mit dem deutsch-französischen Neustart meinen. Der künftige Kanzler erklärte, mit dem Präsidenten ein Führungsduo bilden zu wollen: „Zusammen können unsere Länder Großes für Europa erreichen.“ „Die Übereinstimmungen waren noch wesentlich größer, als ich es erwartet hatte“, sagte Merz der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Man sei vom Wunsch beseelt gewesen, angesichts der geopolitischen Herausforderungen jetzt schnell gemeinsam voranzukommen. In CDU-Kreisen war nach dem Gespräch von einer „außerordentlich freundschaftlichen Atmosphäre“ die Rede. Merz und Macron seien sich einig gewesen, ein neues Kapitel in den deutsch-französischen Beziehungen aufzuschlagen. „Es gab sehr große Übereinstimmung in den Themen und zahlreiche Ansatzpunkte für gemeinsame Initiativen.“ Merz fordert „Erneuerung“ der Beziehung zu Paris Ob Atomkraft, Rüstungsprojekte oder Handelspolitik – bei einer Reihe von Themen hatten Berlin und Paris in den vergangenen Jahren gefremdelt. Auf dem Höhepunkt der Differenzen mussten sogar die deutsch-französischen Regierungskonsultationen im Herbst 2022 verschoben werden. Dazu kam das als unterkühlt geltende Verhältnis von Scholz und Macron. Merz hatte den Zustand der Beziehungen der beiden Gründungsländer der EU immer wieder beklagt. Der CDU-Politiker weist gerne auf seine persönlichen Beziehungen zu Frankreich hin. Als Jugendlicher war er beispielsweise im Schüleraustausch in der Auvergne, mit der Familie fuhr er ins Nachbarland in den Urlaub. Außerdem erinnerte er an seine Zeit als Abgeordneter im EU-Parlament, wo er das deutsch-französische Verhältnis politisch zu schätzen gelernt habe. In einer außenpolitischen Grundsatzrede versprach der Kanzlerkandidat von CDU und CSU Ende Januar dann eine „Phase der Erneuerung und Vertiefung“, sollte er die Bundestagswahl mit der Union gewinnen. „Ich bin fest entschlossen, die verbleibenden zwei Jahre der Amtszeit von Präsident Macron zu nutzen, um gemeinsam mit ihm die Vision eines souveränen Europas zu verwirklichen.“ Diese Äußerungen wurden im Élysée-Palast genau registriert. Macron hielt regelmäßigen Kontakt mit Merz, den er als Oppositionschef schon Ende 2023 empfangen hatte. Allerdings waren in Paris immer Zweifel zu vernehmen, wie viel europäische Souveränität mit dem Transatlantiker Merz tatsächlich möglich sein würde. „Gaullistische Züge“ des künftigen Kanzlers Frankreichs Präsident fordert seit seinem Amtsantritt 2017, dass die Europäer ihr Schicksal gerade auch in der Sicherheitspolitik stärker in die eigene Hand nehmen müssten. Aber eine aus seiner Sicht zufriedenstellende Antwort aus Berlin erhielt er nie, weder von Scholz noch von Vorgängerin Angela Merkel (CDU). Inzwischen aber herrscht in Frankreich der Eindruck vor, dass der Alleingang von US-Präsident Donald Trump im Ukrainekrieg und dessen Gespräche mit dem russischen Staatschef Wladimir Putin über die Köpfe der Europäer hinweg zu einem Sinneswandel bei Merz geführt haben. Die Äußerungen des wahrscheinlichen nächsten Kanzlers am Wahlabend in der Fernsehrunde mit den anderen Spitzenkandidaten wurden in französischen Medien als „Revolution“ gewertet. Merz hatte dort kritisiert, dass der Trump-Regierung das Schicksal Europas „weitgehend gleichgültig“ sei. Deutschland sei nun von zwei Seiten massiv unter Druck. Deshalb sei es seine absolute Priorität, Europa unabhängig von den USA zu machen. Merz brachte außerdem eine eigene atomare Abschreckungskapazität Europas ins Spiel. Die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung schrieb in ihrer Analyse zum französischen Blick auf die Bundestagswahl, dass man in Pariser Expertenkreisen Merz nach den Äußerungen sogar „gaullistische Züge“ attestiert habe. Und der frühere französische Spitzendiplomat und Ex-Botschafter in Washington, Gérard Araud, nannte Merz’ Aussagen gar „eine späte Rache für General de Gaulle, der 1963 mit ansehen musste, wie der deutsch-französische Vertrag, den er gerade unterzeichnet hatte, bei der Ratifizierung durch den Bundestag mit einem atlantischen Kommentar versehen wurde, der ihn in seiner Substanz aushöhlte“. Macron äußerte nach dem Wahlsieg von Merz große Zuversicht über die künftige Zusammenarbeit von Deutschland und Frankreich für Europas Souveränität. „Wir sind mehr als je zuvor entschlossen, gemeinsame große Dinge für Frankreich und Deutschland zu erledigen und für ein starkes und souveränes Europa zu arbeiten“, sagte der Präsident. „In einer Zeit der Unsicherheit stehen wir vereint den großen Herausforderungen der Welt und für unseren Kontinent gegenüber.“