Thursday, February 27, 2025
„Es wird ein schwieriger Weg“: Sabine Leutheusser-Schnarrenberger über das FDP-Aus und die Folgen
Merkur
„Es wird ein schwieriger Weg“: Sabine Leutheusser-Schnarrenberger über das FDP-Aus und die Folgen
Tobias Gmach • 20 Std. • 4 Minuten Lesezeit
Interview
Die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger fordert nach dem Bundestags-Aus der FDP einen „innovativen Aufbruch“. An der Spitze wünscht sie sich eine thematisch breitere Aufstellung.
Feldafing - Es sind bewegende und traurige Tage für Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Am Dienstag hielt die 73-Jährige die Trauerrede für den verstorbenen früheren Bundesinnenminister Gerhart Baum, einen Wegbegleiter und Freund. Trotzdem nahm sich die ehemalige Bundesjustizministerin, die in Feldafing wohnt, wenige Stunden vorher Zeit, um mit dem Starnberger Merkur über das Ausscheiden ihrer FDP aus dem Bundestag zu sprechen. Als die Liberalen 2013 schon mal an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert waren, hatte Leutheusser-Schnarrenberger im Wahlkreis Starnberg, einer traditionellen FDP-Hochburg, als Direktkandidatin 7,3 Prozent der Stimmen. Am vergangenen Sonntag kam die FDP im Wahlkreis auf 3,6 Prozent bei den Erst- und 5,8 Prozent bei den Zweitstimmen.
Leutheusser-Schnarrenberger ist nach wie vor politisch aktiv, sie sitzt im Starnberger Kreistag und engagiert sich in der politisch liberalen Friedrich-Naumann-Stiftung. Ihr Amt als Antisemitismusbeauftragte des Landes Nordrhein-Westfalen, wo sie geboren und groß geworden ist, hat sie im Herbst 2024 nach sechs Jahren niedergelegt.
Frau Leutheusser-Schnarrenberger, wo haben Sie den Wahlabend verbracht? Und was dachten Sie bei der ersten Hochrechnung?
Bei der Bundes-FDP im Hans-Dietrich-Genscher-Haus in Berlin. Als der erste Balken von der ARD kam, habe ich gezittert, der lag bei 4,9. Beim zweiten, den 5,0 vom ZDF, habe ich mich gefreut. Am Ende wurde es mit 4,3 ein wirklich erschütterndes Ergebnis. Zuerst herrschte unglaubliche Anspannung, dann unglaubliche Enttäuschung. Mich hat aber beeindruckt, dass viele gleich gesagt haben: Aufgeben gibt es nicht.
Wo sehen Sie die Ursachen? Und welche Fehler hat die FDP gemacht?
Zunächst lag es an der dürftigen Zusammenarbeit und schlechten Außendarstellung der Ampel-Koalition. Man hat ihr am Ende nichts mehr zugetraut, und das hat sich ganz besonders bei der FDP ausgewirkt. Die Bereitschaft bei allen drei Parteien, Vorbehalte und Abneigungen zu überwinden, das eigene Ego zurückzustellen, war zu gering. Die FDP wurde nicht so sehr als ganzheitliche liberale Partei wahrgenommen. Die Zuspitzung auf einige wenige Wirtschaftsthemen und die damit geringe Abgrenzung zur Union hat, denke ich, dazu geführt, dass viele Wähler sich gesagt haben: dann lieber die sichere Stimme für die Union. Die Umfragen lagen ja meistens unter fünf Prozent. Das war eine Bleikugel. Dazu kamen einige Frustwähler, die zu AfD und BSW abgewandert sind.
Also zu viel Wirtschaftsliberalismus statt Allgemeinliberalismus?
Wirtschaftsliberalismus ist ganz wichtig, gerade in der heutigen Zeit mit Problemen, die zu Ängsten, Existenznöten der Bürger führen. Aber das heißt ja nicht, dass es sonst keine wichtigen Themen gibt: der Rechtsstaat, der Kampf gegen Desinformation, Extremismus und Antisemitismus. Die gehören unverzichtbar zum Liberalismus. Wir brauchen diesen ganzheitlichen Ansatz.
Wie erklären Sie sich das schlechte Abschneiden bei jungen Wählern?
Ein innovativer Aufbruch, eine Zukunftsvision zu formulieren mit der Nutzung von Technologien, mit Medienkompetenz, mit Bildung, ist in diesem Wahlkampf nicht gelungen. Außerdem können gerade junge Leute mit der Schuldenbremse, ein ziemlich technisches Konstrukt, nicht viel anfangen. Leider sind nicht wenige junge Menschen offen für autoritäre Strukturen – die sind ganz klar mit der AfD verbunden. Sie instrumentalisiert Ängste. Und Angst, Gerhart Baum hat das gesagt, ist der gefährliche Dämon, der hinter der liberalen Demokratie aufscheint und den man bekämpfen muss. Sonst wird es schwierig für eine vernunftbezogene, liberale Partei und Politik.
FDP-Chef Christian Lindner hat sich aus der Spitzenpolitik zurückgezogen. Sehen Sie einen Nachfolger?
Ich sehe im Moment nur, dass es gar nichts bringt, wenn jetzt jeder seine Personalvorschläge macht. Wir brauchen einen Neuanfang in der FDP, und dazu gehören mehrere Personen. Ich könnte mir eine Rollenverteilung an der Spitze gut vorstellen: einen wirtschaftskompetenten und einen bürgerrechtsaffinen Liberalen, die zusammengehören, sich ergänzen und nicht als Gegner sehen. Ich verstehe aber auch, dass junge, hervorragende Politiker wie Johannes Vogel sich nicht um die vorderste Reihe bewerben, weil sie sich erst mal um die Familie und einen Job kümmern müssen.
Der Landkreis Starnberg ist traditionell eine FDP-Hochburg, aber auch dort sackte Ihre Partei um mehr als sieben Prozentpunkte ab.
Angesichts der desaströsen Ergebnisse im Land ragen wir immer noch etwas heraus. Wir haben aber ein viel höheres Potenzial. Und natürlich müssen wir mit Blick auf die Kommunalwahlen 2026 deutlich machen, dass wir uns für die Belange des Landkreises einsetzen. Wir haben wichtige Themen mit dem Haushalt, der Krankenhausreform und vielem mehr, was für Bürger existenziell ist. Da müssen wir Präsenz zeigen.
Machen Sie sich Sorgen?
Nein. Wir sind gut vertreten im Kreistag und in den Gemeinderäten. Und wir haben mit Paul Friedrich einen der jüngsten Kandidaten überhaupt gehabt, der ja in Tutzing verwurzelt und ehrenamtlich engagiert ist. Er hat einen tollen ersten Wahlkampf gemacht, auch mit seiner Erstwählerinitiative. Ich sehe wirklich die Notwendigkeit zur Aufarbeitung, aber nicht, dass wir im Landkreis Starnberg als FDP entscheidende Fehler gemacht hätten. Letztlich hat der Bundestrend durchgeschlagen.
Und wie geht der Trend weiter? Schafft es die FDP noch einmal, wie zwischen 2013 und 2017, schnell wieder zurückzukehren?
Das ist keine Selbstverständlichkeit. Wir haben ein verändertes Parteiensystem mit BSW und AfD von den Rändern her kommend. Eine Partei, die nah am Bürger, einfach verständliche, wirtschaftlich und gesellschaftlich liberale Positionen vertritt, hat sehr wohl eine Chance, sich zu positionieren. Aber es wird ein schwieriger Weg. Wir müssen auf alle Fälle den Blick auf die technologische Entwicklung und Künstliche Intelligenz richten und die ethischen und freiheitlichen Aspekte mit dem wirtschaftlichen Potenzial verbinden. Das kann ein klares Alleinstellungsmerkmal sein.