Wednesday, July 24, 2024
Wen macht Kamala Harris zum Vizekandidaten?
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Wen macht Kamala Harris zum Vizekandidaten?
Tatjana Heid • 11 Std. • 6 Minuten Lesezeit
Noch nicht offiziell gekürt, aber schon feststehend: Kamala Harris in ihrer neuen Rolle als Präsidentschaftskandidatin am Dienstag in Milwaukee
Noch vor Kurzem hat Amerika spekuliert, ob Biden nicht seine „running mate“ für den Wahlkampf 2024 austauscht. Nun hat Bidens Vizekandidatin Kamala Harris genügend Stimmen demokratischer Delegierter zusammen, um Präsidentschaftskandidatin zu werden – und braucht ihrerseits einen „running mate“. Dieser sollte idealerweise die Schwächen der Kandidatin ausgleichen und Wählergruppen ansprechen, die sie weniger gut erreichen kann.
Trumps Vizekandidat J.D. Vance etwa strahlt Jugendlichkeit aus, was Trump nicht mehr kann. Darüber hinaus aber wirkt Vance wie ein Verstärker ins eigene Lager. Er ist genauso radikal wie Trump, genauso scharf. Vance ist wenig geeignet, moderate republikanische Wähler und Wechselwähler anzuziehen – ein Zeichen, dass Trump davon ausgeht, seine Kernklientel werde ihn schon über die Zielmarke tragen.
Harris dürfte anders vorgehen. Hier ein Blick auf die Personen, die als wahrscheinliche Vizekandidaten gelten.
Beshear wurde schon selbst als möglicher Ersatzkandidat für Joe Biden gehandelt. Als „running mate“ hätte er einen großen Vorteil: Er ist Gouverneur von Kentucky, einem tiefroten Staat. Bei den zurückliegenden beiden Präsidentenwahlen gewann Donald Trump, dort zuletzt mit 26 Prozentpunkten Vorsprung vor Biden. Auch Trumps Vizekandidat Vance hat familiäre Wurzeln in Kentucky, der Südstaat ist Ort zahlreicher glücklicher Kindheitserinnerungen in dessen autobiographischem Buch „Hillbilly Elegy“.
Beshear ist 46 Jahre alt, war zunächst Generalstaatsanwalt und seit 2019 Gouverneur von Kentucky – wie schon sein Vater vor ihm. Die Wahl gewann Beshear Junior zunächst nur knapp, mit weniger als einem halben Prozentpunkt Vorsprung vor dem republikanischen Amtsinhaber. Als Beshear sich vergangenes Jahr zur Wiederwahl stellte, siegte er mit bequemem Vorsprung vor dem von Trump unterstützten Republikaner.
Während der Corona-Pandemie hat Beshear sich einen Ruf als Kümmerer erarbeitet. Sein oft wiederholter Einfache-Leute-Satz „Y’all can’t be doing this“ (Leute, das könnt ihr nicht machen) über die vielen Dinge, die in der Pandemie nicht ratsam oder erlaubt waren, wurde sogar auf T-Shirts und Kappen gedruckt. Den richtigen Ton traf Beshear auch, nachdem Tornados im Jahr 2021 mehr als 70 Bürger des Staates getötet hatten und als, nur gut ein halbes Jahr später, eine Jahrtausendflut Städte zerstörte und Dutzende weiterer Menschenleben forderte.
Kelly am Dienstag in Washington
Die „Washington Post“ bescheinigt Beshear eine „faszinierende überparteiliche Anziehungskraft“. Der Demokrat hat in der Gesetzgebung mit den Republikanern zusammengearbeitet, auch wenn viele seiner Vorhaben blockiert wurden. Immer wieder betont Beshear seinen christlichen Glauben und wie dieser seine Politik beeinflusst. Über Donald Trump versuchte er stets möglichst wenig zu sagen, schließlich wird dieser in den Bergbauregionen seiner Heimat von vielen Menschen nahezu vergöttert. Den Ton gegenüber Trump wird Beshear freilich verschärfen müssen, sollte er an der Seite von Harris in den Wahlkampf ziehen.
Roy Cooper könnte die Biden-Leerstelle ausfüllen
Auch Roy Cooper ist Gouverneur in einem Staat, der zweimal an Trump ging – vor vier Jahren allerdings mit lediglich 1,3 Prozentpunkten Vorsprung. Zuletzt holte Barack Obama North Carolina im Jahr 2008 für die Demokraten, und das war eher ein glücklicher Zufall. Allerdings fallen die Ergebnisse in dem Staat häufig knapp aus. Roy Cooper könnte als „running mate“ also Trumps Aufmerksamkeit (und Geld) in einem Bundesstaat binden, in dem das eigentlich nicht vorgesehen war.
Cooper ist 67 Jahre alt und kennt Harris schon länger. An ihrer Seite könnte er die Leerstelle füllen, die Biden hinterlässt: die des älteren, weißen, nicht übermäßig aufregenden Mannes, mit viel politischer Erfahrung – auch wenn die sich im Wesentlichen auf North Carolina beschränkt. Manch ein amerikanischer Bundesbürger dürfte derzeit zum ersten Mal von ihm hören. Seit Mitte der Achtzigerjahre war Cooper Abgeordneter im Repräsentantenhaus seines Heimatstaates, anschließend gehörte er dem Staatssenat an, zuletzt als Mehrheitsführer. Im Jahr 2000 wurde Cooper zum Generalstaatsanwalt gewählt und mehrmals wiedergewählt. Seit 2017 ist er Gouverneur von North Carolina.
Fiel das Ergebnis damals denkbar knapp aus, gewann Cooper seine Wiederwahl im November 2020 mit vier Prozentpunkten Vorsprung gegen seinen republikanischen Herausforderer – während Biden gleichzeitig Trump unterlag. Da der Gouverneur in North Carolina einer Amtszeitbeschränkung unterliegt, kann er nicht noch einmal gewählt werden.
Roy Cooper gilt als Mann der Mitte. Er gibt sich als Kämpfer für das Recht auf Abtreibung, mit den Republikanern in seinem Staat lag er vor allem während der Coronapandemie über Kreuz. Allerdings konnte er sie vor Kurzem überzeugen, das Gesundheitsfürsorgeprogramm Medicaid auf mehr Empfänger auszuweiten. Andere Initiativen scheiterten an republikanischem Widerstand im Repräsentantenhaus. Dennoch genießt Cooper in North Carolina hohe Zustimmung, auch weil er viele neue Jobs in den Südstaat holte und die Wirtschaft dort boomt.
Josh Shapiro ist Gouverneur in der Mutter aller Swing States
Im Kampf um die Swing States könnte Josh Shapiro eine wichtige Unterstützung sein: Seit 2023 ist er Gouverneur in Pennsylvania – einem Staat, den die Demokraten im November unbedingt gewinnen müssen. Nachdem er nach Bidens Rückzug zunächst kein Wort über Kamala Harris verloren hatte, schrieb er am Montag auf der Plattform X, er werde alles in seiner Macht stehende tun, um ihr zum Sieg zu verhelfen. Und: „Der Weg zum Sieg im November führt mitten durch Pennsylvania.“
Dass er in der Mutter aller Swing States punkten kann, hat Shapiro demonstriert. Dreimal wurde er hier gewählt: zweimal zum Generalstaatsanwalt, einmal zum Gouverneur. Im Wahlkampf 2022, als er sich zum Gouverneur wählen lassen wollte, konnte er den Staat gegen einen Trumpisten halten. Trump hatte seinerzeit Doug Mastriano unterstützt, einen christlichen Nationalisten, der Verschwörungserzählungen der QAnon-Bewegung verbreitet hatte und Ende 2020 an dem Versuch beteiligt war, die Präsidentenwahl in dem Bundesstaat für den damaligen Präsidenten zu drehen.
Shapiro wiederum war als damaliger Justizminister Pennsylvanias einer der zentralen Akteure der Gegenseite, die sicherstellte, dass in der Hauptstadt Harrisburg alles mit rechten Dingen zuging. Immer wieder ist er Trump scharf angegangen
In seiner Partei gilt Shapiro als Talent. Er ist seriös, eloquent, menschennah. Allerdings ist er bundespolitisch nicht allzu bekannt. Hinzu kommt: Shapiro ist gläubiger Jude. Der Jurist besuchte eine jüdische Highschool. Er bezeichnet sich als Zionist und sagte nach dem Massaker der Hamas am 7. Oktober, Pennsylvania stehe an der Seite Israels. Wiederholt hat er auf den wachsenden Antisemitismus bei propalästinensischen Demonstrationen hingewiesen. Für Harris könnte das ein Problem sein, hinterlässt ihr Biden mit seiner Israel-Politik doch ein schweres Erbe. Zahlreiche junge, auch muslimische Wähler drohen, sich deswegen von den Demokraten abzuwenden.
Mark Kelly fällt etwas aus der Reihe
Der 60 Jahre alte Senator aus Arizona hat keine klassische politische Karriere hingelegt, was ihn von den anderen möglichen Vizekandidaten unterscheidet. Sein Leben vor der Politik erinnert eher an das von Trump: außergewöhnlich, ein wenig tragisch, nicht konform mit dem, was gerne abschätzig als „politische Elite“ bezeichnet wird. Ein Quereinsteiger eben.
Kelly war zunächst Pilot bei der Navy. Die Amerikaner kennen ihn jedoch eher als einen der letzten Astronauten, die vor dem vorläufigen Ende der amerikanischen bemannten Raumfahrt noch ins All flogen. So war er 2006 an Bord der Discovery, jener Mission, mit der die Vereinigten Staaten die Raumfahrten nach Verlust der Columbia wieder aufnahmen. 2011 startete Kelly mit der Endeavour ein letztes Mal ins All.
Im selben Jahr wurde Kellys Ehefrau – die damalige Abgeordnete im US-Repräsentantenhaus Gabrielle Gifford, mit der er in zweiter Ehe verheiratet war – bei einem Attentat schwer verletzt. Sechs Menschen kamen ums Leben. In der Folge trat Kelly für schärfere Waffengesetze ein, eine Tatsache, die ihm die mächtige Waffenlobby zum Feind machte und republikanische Wähler abschrecken könnte.
Dennoch gilt Kelly als moderat. Für Harris könnte er eine wichtige Hilfe im Swing State Arizona sein, wo Trump in den Umfragen derzeit führt. Kelly stützt sich auf eine breite Wählerbasis, von jungen Latinos bis hin zu weißen Frauen in den Vororten. Diese Stimmen waren es, die Biden 2020 den Sieg in Arizona brachten – nachdem 2016 noch Trump gewonnen hatte. Kellys Nachteil: Wie Harris stammt auch er aus einem Staat im Westen der USA.
Und sonst so?
Darüber hinaus werden auch Michigans Gouverneurin Gretchen Whitmer, der Milliardär und Gouverneur von Illinois, JB Pritzker, und der amtierende Verkehrsminister, Pete Buttigieg, als mögliche Vizekandidaten genannt. Sie gelten jedoch als weniger wahrscheinlich.