Friday, September 24, 2021

Exklusive Umfrage: Unternehmer favorisieren Jamaika-Bündnis – Was die Wirtschaft von der Bundestagswahl erwartet

Handelsblatt Sigmund, Thomas Specht, Frank vor 13 Std. | Für das Handelsblatt befragte Unternehmer wünschen sich ein Regierungsbündnis unter Beteiligung von Union und FDP. Und sie setzen andere Prioritäten als die Bürger insgesamt. Während drei TV-Auftritten haben Olaf Scholz, Annalena Baerbock und Armin Laschet versucht, ihre unterschiedlichen Themenschwerpunkte herauszustellen. © dpa Während drei TV-Auftritten haben Olaf Scholz, Annalena Baerbock und Armin Laschet versucht, ihre unterschiedlichen Themenschwerpunkte herauszustellen. Für Stephan Schambach ist klar, wer die künftige Bundesregierung anführen sollte: „Nur eine Regierung unter Führung der CDU wird in Deutschland Arbeitsplätze, Wohlstand und Wachstum langfristig sichern“, sagt der Gründer des Softwareunternehmens Intershop. Seiner Sympathie für die Christdemokraten verleiht der Softwareunternehmer und Investor nicht nur mit Worten Ausdruck. 300.000 Euro hat er gerade an die Partei von Kanzlerkandidat Armin Laschet gespendet, nachdem er im Mai bereits 200.000 Euro an die FDP überwiesen hatte. „Dies zeigt mögliche Regierungsbündnisse auf, die ich gern unterstützen würde“, sagt Schambach. Insbesondere in den Bereichen Digitalisierung, Bildung, Infrastruktur, Bürokratieabbau und Zugang von Technologieunternehmen zum Kapitalmarkt habe die CDU ein fortschrittliches Programm vorgestellt, das eine große Schnittmenge mit den Liberalen aufweise. Nicht nur Schambach sähe CDU/CSU und FDP nach der Wahl gerne gemeinsam in Regierungsverantwortung. Auch für rund 750 Unternehmer, die das Meinungsforschungsinstitut Civey für das Handelsblatt befragt hat, gehört ein Bündnis unter Beteiligung der drei Parteien zu den favorisierten Koalitionsoptionen. Ein Fünftel der Befragten wünscht sich, dass Union und Liberale gemeinsam mit den Grünen ein Jamaika-Bündnis bilden. Die Deutschland-Koalition aus Union, SPD und FDP rangiert mit 19 Prozent nur knapp dahinter. Schwarz-Gelb hatte Civey nicht als Antwortoption vorgegeben, da eine solche Konstellation nach den gegenwärtigen Umfragewerten außer Reichweite erscheint. Abgefragt wurden nur die Dreierbündnisse Jamaika, Ampel (Grüne, SPD, FDP), Grün-Rot-Rot, Deutschland und Kenia (Union, Grüne, SPD) sowie die – demoskopisch derzeit ebenfalls unwahrscheinlichen – Zweierkonstellationen Große Koalition und Schwarz-Grün. Arbeitgeber wollen keine Steuererhöhungen Fast ein Viertel der befragten Unternehmer wünscht sich eine andere Koalition als die in der Auswahl angegebenen – dazu dürfte auch Schwarz-Gelb zählen. Immerhin 13 Prozent plädieren für ein rot-rot-grünes Bündnis, das Gesamtmetall-Chef Stefan Wolf im Handelsblatt gerade noch als „Gift“ für den Standort Deutschland bezeichnet hatte – und das mit ziemlicher Sicherheit eine Vermögensteuer wiedereinführen und die Erbschaftsteuer erhöhen würde. Wer das wolle, verhindere, dass Familienunternehmen unabhängig bleiben können, und gefährde das wirtschaftliche Fundament des Landes, warnt der Co-Chef des Heiz- und Lüftungssystemherstellers Viessmann, Maximilian Viessmann. „Eine Steigerung der Steuersubstanz schwächt nicht nur das Rückgrat der deutschen Wirtschaft, sondern nimmt auch die Basis für die Gestaltung und das Gelingen der Klimawende“, sagt der Unternehmer. Es sei „der absolute Wahnsinn“, wie wenig das im öffentlichen Diskurs thematisiert werde. Dabei versucht die Wirtschaft durchaus, sich auf den letzten Metern vor der Wahl noch Gehör zu verschaffen. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) legte am Donnerstag einen Plan mit neun Punkten vor, die eine neue Regierung im Sinne einer „Zukunftsagenda 2030“ in den ersten 100 Tagen anpacken sollte. Zu den Kernforderungen gehören ein Planungsrecht, das Investitionen fördert statt behindert, eine Stabilisierung der Sozialversicherungsbeiträge bei höchstens 40 Prozent und zukunftsfeste Sozialsysteme, eine klare Absage an Steuererhöhungen und ein Staatsminister für Strukturwandel im Bundeskanzleramt. Umwelt- und Klimapolitik spielt für Unternehmer geringere Rolle Viele der Forderungen würden die von Civey befragten Unternehmer wohl unterschreiben. So ist jeder zweite der Ansicht, dass die künftige Regierung unbedingt eine Reform der Renten- und Sozialsysteme angehen sollte. Fast ebenso viele (47 Prozent) finden, dass die nächste Koalition sich vorrangig um Wirtschaft und Arbeitsplätze kümmern sollte. Digitalisierung und Modernisierung zählen 41 Prozent zu den Topprioritäten. Die Umwelt- und Klimapolitik spielt bei den Unternehmern eine geringere Rolle als in der Gesamtbevölkerung. Laut Forschungsgruppe Wahlen nannten Mitte September 47 Prozent der Bürger dieses Themenfeld als wichtigstes Problem in Deutschland. Von den Unternehmern in der Civey-Befragung sieht nur etwa ein Drittel hier den dringendsten Handlungsbedarf für die Zeit nach der Wahl. Damit rangiert das Thema in der Prioritätenliste aber immer noch an vierter Stelle – vor Bereichen wie Bildung und Forschung oder Migration. Nach den jüngsten Umfragen hätte eine Deutschland-Koalition derzeit eine deutlich breitere Basis als das von den Unternehmern knapp favorisierte Jamaika-Bündnis. In der am Donnerstag veröffentlichten Kantar-Umfrage legt die Union gegenüber der Vorwoche einen Punkt zu und kommt auf 21 Prozent. Für die SPD würden sich 25 Prozent der Wähler entscheiden, für die Grünen 16 Prozent – jeweils ein Prozentpunkt weniger als in der Vorwoche. Die FDP liegt unverändert bei elf Prozent. Die Linke gewinnt einen Punkt und rangiert bei sieben Prozent, die AfD büßt mit elf Prozent einen Punkt im Vergleich zur Vorwoche ein. Allerdings stellt sich die Frage, wie realistisch eine Deutschland-Koalition ist, wenn sich die SPD nicht nur in den Umfragen, sondern auch am Wahlabend als stärkste Kraft hält. CSU-Chef Markus Söder hat bereits gesagt, die Union solle dann lieber in die Opposition gehen und nicht als Juniorpartner in eine SPD-geführte Bundesregierung eintreten. Auch SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz würde im Falle eines Wahlsiegs seiner Partei ein Ampelbündnis wohl einer Deutschland-Koalition vorziehen, sollte er sich nicht doch für Rot-Rot-Grün entscheiden – eine Option, die er bis heute nicht klar ausgeschlossen hat. Für die Unternehmer ist jedenfalls klar, welche Eigenschaften ein künftiger Kanzler auf jeden Fall mitbringen sollte. Ganz vorn steht hierbei für 60 Prozent der Befragten Führungsstärke, die CDU-Kanzlerkandidat Laschet im Wahlkampf eher vermissen ließ. Allerdings führt er in Nordrhein-Westfalen erfolgreich eine schwarz-gelbe Koalition mit nur einer Stimme Mehrheit – was nicht für Führungsschwäche spricht. NRW-Wirtschaft lobt Laschet Beim Unternehmertag in NRW zog denn auch der Präsident der Landesvereinigung der Unternehmensverbände, Arndt G. Kirchhoff, diese Woche eine positive Bilanz von Laschets Politik. „Die Grundstimmung für Innovationen und Investitionen ist klar besser geworden, Nordrhein-Westfalen steht im Bundesvergleich wirtschaftspolitisch eindeutig besser da als im Jahr 2017.“ Mit ihrer gründer- und innovationsfreundlichen Agenda habe die Landesregierung wichtige Signale für den Aufholprozess gesetzt. Auch SPD-Kanzlerkandidat Scholz kann sich auf Unterstützer aus der Wirtschaft berufen. So unterstützen rund 50 ehemalige und aktive Führungskräfte und Manager die Initiative „Auf den Kanzler kommt es an“, darunter der scheidende Berliner Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup, der frühere Tui-Vorstandsvorsitzende Michael Frenzel, Ex-Bahn-Chef Rüdiger Grube oder Kitchen-Stories-Gründerin Verena Hubertz, die selbst für die SPD in den Bundestag einziehen möchte. An Scholz dürften viele die klare Positionierung schätzen, die aus Sicht von 54 Prozent der von Civey befragten Unternehmer den künftigen Kanzler auszeichnen sollte. Nur 35 Prozent erwarten vom künftigen Regierungschef auch eine langfristige Vision. Die hatte die scheidende Amtsinhaberin Angela Merkel auch nicht unbedingt. Die Kanzlerin besuchte am Donnerstag noch einmal ihren Wahlkreis. Zu einer Blumenverkäuferin auf dem Wochenmarkt in Greifswald sagte sie: „Ich wollte noch mal Arrivederci sagen.“