Tuesday, September 28, 2021

Bundestagswahl: Der Tag nach dem Absturz: Der Machtkampf über die Zukunft der Union ist in vollem Gange

| Anzeige Handelsblatt Bundestagswahl: Der Tag nach dem Absturz: Der Machtkampf über die Zukunft der Union ist in vollem Gange Delhaes, Daniel vor 14 Std. | 206 N26 verliert seinen langjährigen Deutschlandchef Missbrauchsprozess: R. Kelly in allen Anklagepunkten schuldig gesprochen Entsetzt vom zweiten Platz hinter der SPD debattiert die Union, wie sie sich erneuern kann – in der Opposition oder einer Regierung. Offen bleibt, wer Fraktionschef wird. Die Union verzeichnet das schlechteste Wahlergebnis ihrer Geschichte. © dpa Die Union verzeichnet das schlechteste Wahlergebnis ihrer Geschichte. Auf den ersten Schock vom Sonntag folgte am Montag der schmerzhafte Kater: Die hohen Stimmenverluste der Union waren das eine. Aber im Ergebnis auch noch auf Platz zwei hinter der SPD zurückzufallen war zu viel. Als „Strohhalmpolitik“ bezeichnete mancher im CDU-Präsidium die Taktik von Parteichef Armin Laschet, trotz allem Koalitionsgespräche mit FDP und Grünen anzustreben. Karl-Josef Laumann, Chef des Arbeitnehmerflügels, soll mit der Faust auf den Tisch geschlagen und gesagt haben: „So geht es nicht weiter.“ CDU und CSU stecken in der tiefsten Krise seit 1998. Damals endete die Ära Kohl, die Union landete in der Opposition. Nach 16 Jahren Angela Merkel können sich die beiden Schwesterparteien nun vielleicht doch noch in eine Koalition retten – aber nur, wenn FDP und Grüne sie lassen. Allein der Erfolg, Rot-Rot-Grün verhindert zu haben, hält die Partei nicht zusammen. Angesichts des katastrophalen Ergebnisses mit nur 24,1 Prozent bahnte sich am Montag in den Führungsgremien der Frust seinen Lauf. Es geht um das Überleben: nicht nur jeder einzelnen Karriere, sondern der Partei in Gänze. „Die CDU auf diesem Niveau ist keine Volkspartei mehr“, sagte Präsidiumsmitglied Norbert Röttgen. Und Bernd Althusmann, Landeschef in Niedersachsen, sagte: „Wir müssen klar sagen, dass wir uns inhaltlich, organisatorisch und personell neu aufstellen.“ Ein Blick auf die politische Deutschlandkarte bei den Direktmandaten zeigt das traurige Bild der Union: In den Bundesländern Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Hamburg, Bremen und dem Saarland errang die CDU kein einziges Direktmandat. In Sachsen und Thüringen dominiert die AfD in weiten Teilen die Wahlkreise. Dass der umstrittene Ex-Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen als CDU-Kandidat gegen seinen SPD-Konkurrenten verloren hat, mag viele in der CDU heimlich freuen. Doch auch der erklärte AfD-Kritiker Marco Wanderwitz, Ostbeauftragter der Bundesregierung, musste eine Niederlage in seiner sächsischen Heimat gegen den örtlichen AfD-Kandidaten einstecken und schafft es nur über die Landesliste ins Parlament. Die stärksten Landesverbände der Union sind Baden-Württemberg und Bayern, wo nur Direktmandate in den Bundestag einziehen, die so das schlechte Zweitstimmenergebnis kaschieren. Sogar in Hessen, Hort der Konservativen in der CDU, musste die Partei Verluste hinnehmen. Parteivize Jens Spahn blies am Morgen zum Angriff: „Die nächste Generation nach Angela Merkel muss jetzt dafür sorgen, dass wir im nächsten Jahrzehnt zu alter Stärke finden“, verkündete der Gesundheitsminister via „Spiegel“ und nannte die Ministerpräsidenten Tobias Hans im Saarland und Daniel Günther in Schleswig-Holstein, die im nächsten Jahr vor Wahlen stünden, ebenso den Wirtschaftspolitiker Carsten Linnemann und die stellvertretende Parteivorsitzende Silvia Breher aus Niedersachsen. Die Union habe trotz des Absturzes „ein Potenzial von über 30 Prozent“. Spahn gehört zu denen, die sich Hoffnungen machen, den Fraktionsvorsitz zu übernehmen. Sein Vorstoß wurde entsprechend als Bewerbung verstanden, gilt der Posten doch als Sprungbrett ins Kanzleramt. Spahn selbst muss allerdings in seinem Wahlkreis selbst hohe Verluste hinnehmen, auch wenn er das Direktmandat im konservativen Münsterland noch halten konnte. „Ich will Fraktionschef bleiben“, stellte umgehend Ralph Brinkhaus klar. Er weiß, dass neben Spahn auch Friedrich Merz und Norbert Röttgen auf das Amt schielen. Bereits am Sonntag hatte sich Laschet entschieden, eine Kampfabstimmung zu vermeiden und Brinkhaus kommissarisch im Amt zu belassen. Doch nicht nur den anderen Aspiranten auf diesen Posten missfiel die Lösung. Brinkhaus soll im Präsidium wütend gefordert haben, an diesem Dienstag von der neuen Fraktion gleich für ein Jahr gewählt zu werden. Laschets Plan aber ist ein anderer: Bis zur nächsten Sitzung der Fraktion sollen sich zum einen die Fronten innerhalb der Union klären – und ebenso die Möglichkeit, ob es zu einer Regierungsbeteiligung kommen kann. Dann erst sollen die Abgeordneten entscheiden – über ihren Fraktionsvorsitzenden und die künftige Richtung. Laschet selbst will derzeit nicht als Fraktionschef kandidieren, zu unsicher ist, ob er nicht durchfällt und damit gescheitert wäre. Ihm reicht es, als Parteivorsitzender eine Koalition zu verhandeln. Machtanspruch der CSU Auch die CSU redet in der Frage ein gewichtiges Wort mit. Parteichef Markus Söder stellte klar, die Union sei auf Platz zwei gelandet, woraus sich kein Anspruch auf die Regierungsführung ergebe – allerdings ein Angebot für Gespräche, wie er im Vorstand sagte. Ein solches Angebot unterbreite die Union – aber es werde kein „Anbiedern um jeden Preis“ bei Grünen und FDP geben. Es war als Warnung an die FDP zu verstehen, den Preis für eine Koalition nicht zu hoch zu treiben, weniger an Laschet. In der Pressekonferenz sagte Söder: „Ja, es war eine Niederlage.“ In der Tat kam auch die CSU in Bayern nur auf magere 33 Prozent. Dennoch konnte Söder sicher sein, in diesen kritischen Tagen „unangefochten“ zu bleiben, wie es im CSU-Vorstand hieß. „Keiner wird so verrückt sein, während der Verhandlungen zu zündeln.“ „Mit einem blauen Auge“, sei die CSU davongekommen, sagte Söder. Sie habe einen Sitz verloren, sei aber „insgesamt in der Fraktion größer“ geworden – und trage damit Verantwortung. Intern wurde registriert, dass die CSU mit 45 Abgeordneten größer ist als die Gruppe der NRW-Abgeordneten der CDU mit nur 41 Mandaten – und das trotz des NRW-Kanzlerkandidaten. Einig ist sich Söder mit Laschet, das schlechte Ergebnis zu einer Generalkritik zu nutzen. „Aufarbeiten heißt: sich ehrlich machen.“ Regionalkonferenzen soll es geben, Studien, in denen „die letzten eineinhalb Jahre aufgearbeitet werden. Die üblichen Instrumente also, mit denen Politiker gemeinhin Bußfertigkeit gegenüber der Basis signalisieren. Versöhnlich sagte Söder Richtung Laschet: „Alle haben Fehler gemacht.“ „Ich will Fraktionschef bleiben.“ © dpa „Ich will Fraktionschef bleiben.“ „Alles, was wir jetzt tun, stellt die Weichen für die Landtagswahl“, sagte Söder. „Unionskonturen müssen sichtbar werden.“ Erneuerung gelinge am besten in der Regierung, aber da müsse es dann auch Erneuerung geben. Er stehe in engem Kontakt mit Laschet. Das kündigte Laschet ebenfalls an: „Wir werden dieses Ergebnis analysieren und unbedingt aufarbeiten, nicht nur in den Gremien, sondern unter Beteiligung der Kreisverbände und der Basis – und zwar unabhängig von einer möglichen Regierungsbildung.“ Ohne diese Zusage hätte es womöglich an diesem Montag eine Erosion der Macht Laschets gegeben. Sachsens CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer hat gewarnt: „Weitermachen wie bisher muss ins Verderben führen.“ Auch im Bundesvorstand der CDU hatte es klare Forderungen gegeben. „Es darf jetzt nicht wieder wie 2017 so sein, dass wir die Niederlage nicht aufarbeiten“, forderten Teilnehmer. Schon damals erzielte Angela Merkel das historisch schlechteste Ergebnis, parteiintern analysiert wurde es nie, geschweige denn, dass Konsequenzen gezogen wurden. Wohlgemerkt: Es ging damals um ein Ergebnis von 33 Prozent. Natürlich trage die Union Verantwortung, stellte Kretschmer klar. Aber sie müsse klarmachen, wofür sie stehe: als „Partei der ostdeutschen Bundesländer“, die für „innere Sicherheit“ stehe und für „wirtschaftliche Freiheit“. Letzte Hoffnung Jamaika Laschet forderte Geschlossenheit ein, damit die Union mit FDP und Grünen für eine „Zukunftskoalition“ sondieren könne, wie er es später nannte. „Eine Regierung unter Führung der Union ist das Beste für unser Land“, sagte er. Jeder müsse sich „auf Augenhöhe begegnen und Gegensätze überwinden“. Er stellte klar: „Kanzler wird in Deutschland der, der eine Mehrheit im Bundestag hinter sich vereint.“ Er stehe für Gespräche für eine Jamaika-Koalition bereit. Wirtschaftspolitiker Friedrich Merz begrüßte Verhandlungen mit FDP und Grünen und appellierte an die staatspolitische Verantwortung. Er unterstütze, „dass wir jetzt mit Armin Laschet, mit Markus Söder versuchen, eine Regierung in Deutschland zu bilden“ So sah es auch Parteivizin Silvia Breher am Morgen. „Erst das Land und dann die Partei. Deshalb stehen wir zu Gesprächen bereit.“ Es gehe um „Ideen für die Zukunft“. Der rheinland-pfälzische Landeschef, Christian Baldauf, warnte indes vor zu schnellen Gesprächen mit FDP und Grünen. „Koalitionsverhandlungen kann ich grundsätzlich nur führen, wenn ich weiß, was ich will“, sagte er. Man könne Kernwähler nur an sich binden, wenn man die Steuern nicht erhöhe und Familien sowie den Mittelstand entlaste. Laschet erklärte nach den Debatten im Präsidium und Vorstand sichtlich zerknirscht, dass er den Begriff „Nachhaltigkeit“ ins Zentrum stellen wolle und zielte damit auf den Klimaschutz und die Finanzpolitik. Ein schwarz-gelb-grünes Bündnis solle „ein neues Projekt für das Land“ werden. „Es hat keinen Zweifel gegeben“, sagte er, dass es richtig sei, sich für Verhandlungen anzubieten, auch wenn es nicht gereicht habe für Platz eins.