Monday, October 28, 2024

Mittelmeerroute: FDP drängt auf Finanzierungsstopp für private Seenotretter

Handelsblatt Mittelmeerroute: FDP drängt auf Finanzierungsstopp für private Seenotretter Artikel von Neuerer, Dietmar • 2 Std. • 4 Minuten Lesezeit EU-Grenzschutztruppe Frontex und eines Flüchtlingsboots im Mittelmeer: Wenige Millionen Euro im Jahr für die Rettung von Menschen werden zum Streitthema in der Regierung. Die Zahlungen der Bundesregierung an private Seenotretter im Mittelmeer sorgen für Verstimmung in der Ampelkoalition. Im Zentrum der FDP-Kritik steht Außenministerin Baerbock. In der Ampelkoalition bahnt sich ein neuer Streit über die staatliche Unterstützung privater Seenotretter an. „Eine Überprüfung der Mittelvergabe seitens des Auswärtigen Amts an private Seenotrettungsdienste ist durchaus angebracht”, sagte die Vorsitzende der FDP-Delegation im EU-Parlament, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, dem Handelsblatt. Zur Begründung wies sie darauf hin, dass Seenotrettung eine Hoheitsaufgabe der EU sei. Zudem gebe es in diesem Jahr „deutlich weniger“ Ankünfte über die zentrale Mittelmeerroute als die Jahre davor, sagte Strack-Zimmermann, die auch Mitglied im FDP-Präsidium ist. Das Auswärtige Amt von Ressortchefin Annalena Baerbock (Grüne) erklärte hingegen, die Mittel würden wie vom Bundestag beschlossen zur Verfügung gestellt. Sie trügen dazu bei, dass Menschenleben gerettet werden. Laut einem Bundestagsbeschluss von 2022 werden private Seenotrettungsorganisationen von 2023 bis einschließlich 2026 jährlich mit zwei Millionen Euro unterstützt. Tatsächlich ging die Zahl der Ankünfte auf der Route im zentralen Mittelmeer von Afrika Richtung Italien laut der Europäischen Grenzschutzagentur Frontex in den ersten neun Monaten dieses Jahres um 64 Prozent zurück. Neben der zentralen gibt es noch die östliche und die westliche Mittelmeerroute, auf denen aber wesentlich weniger Menschen nach Europa flüchten. Neuer Ampel-Zoff - Zahlungsstopp für Seenotretter: FDP erhöht Druck auf Baerbock Bereits vor einem Jahr hatte die Ampel hart darüber verhandelt, ob die Finanzierung der NGOs, die auf dem Mittelmeer Flüchtlinge retten, im Haushaltsjahr 2024 fortgeführt werden soll. In diesem Jahr wurden Förderungen in Höhe von 1,9 Millionen Euro bewilligt, davon wurden bislang 1,3 Millionen Euro ausgezahlt. Scholz war schon vor einem Jahr auf Distanz zur Unterstützung der Seenotretter gegangen Besonders drei Organisationen profitieren von der staatlichen Unterstützung: der Verein „Sea Eye“ bekommt 393.540 Euro, „SOS Humanity“ 500.000 Euro und „SOS Méditerranée“ 492.060 Euro. Auch der FDP-Bundesvize Wolfgang Kubicki hält die Finanzierung der Mittelmeer-NGOs für entbehrlich und fordert, die Unterstützung „für die Zukunft einzustellen“. Er wundere sich, dass das Auswärtige Amt in dieser Frage das Wort von Kanzler Olaf Scholz (SPD) „schnöde ignoriert“, sagte er dem Handelsblatt. Der Kanzler war vor einem Jahr auf Distanz zu der Unterstützung gegangen. Seinerzeit erklärte er nach einem informellen EU-Gipfel im spanischen Granada, dass die Gelder vom Bundestag und nicht von der Bundesregierung bewilligt worden seien. „Ich habe den Antrag nicht gestellt“, sagte er. Auf die Nachfrage, was denn seine persönliche Meinung dazu sei, fügte er hinzu: „Das ist die Meinung, die ich habe, dass ich den Antrag nicht gestellt habe. Und ich glaube, das ist auch unmissverständlich.“ Scholz hatte sich am Rande des damaligen Gipfels mit der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni getroffen, die sich zuvor in einem Brief an den Kanzler über die Finanzierung beschwert hatte. Die Hilfen hatten auch die Verhandlungen über eine Reform des europäischen Asylsystems belastet. Der FDP-Finanzpolitiker Frank Schäffler warf dem Auswärtigen Amt „eine egoistische Politik auf dem Rücken Italiens“ vor. „Dass dies dort zu Unmut führt, ist völlig klar“, sagte Schäffler dem Handelsblatt. Grünen-Europaabgeordneter findet das Verhalten der FDP „beschämend“ Die Regierung in Rom hatte sich empört darüber gezeigt, dass Schiffe von mit deutschen Steuergeldern unterstützten Nichtregierungsorganisationen im Mittelmeer gerettete Migranten und Flüchtlinge in Italien an Land bringen. Meloni will, dass jene Länder, unter deren Flagge solche Schiffe fahren, die Geretteten dann auch aufnehmen. Die deutsche Unterstützung der Seenotretter in diesem Jahr war mit dem Kanzleramt offenbar nicht abgestimmt. Auf eine entsprechende Anfrage des CDU-Abgeordneten Ingo Gädechens, über die die „Bild am Sonntag“ berichtete, antwortete das Auswärtige Amt: „Bei der Mittelverwendung gilt das Ressortprinzip.“ Der FDP-Politiker Schäffler übte scharfe Kritik: „Das Auswärtige Amt untergräbt damit die Sicherung der Außengrenzen der EU.“ Schäfflers Fraktionskollege Christoph Meyer wurde noch deutlicher. „Illegale Migration über private Seenotrettung mit deutschen Steuergeldern zu finanzieren, das darf nicht sein“, schrieb der FDP-Fraktionsvize auf der Plattform X. „Das befördert Schleuserkriminalität, hintertreibt die europäischen Pläne für eine geordnete Migrationspolitik und schadet letztendlich dem Land.“ FDP will die Seenotrettung auf die EU-Grenzschutzagentur Frontex übertragen Der Grünen-Europaabgeordnete Erik Marquardt wies den Vorwurf scharf zurück. „Ich finde es beschämend, dass die Ampelpartei FDP keinerlei Moral oder Evidenz bei so wichtigen Themen wie der humanitären Katastrophe im Mittelmeer hat“, schrieb er auf X. Dem „ahnungslosen“ FDP-Abgeordneten Meyer hielt er vor, „irgendwelche rechten Phrasen“ zu verbreiten. Solche Leute hätten „einfach keinerlei Gefühle für die tausendfach Ertrunkenen, den Schmerz und das Leid, gegen das sich die Seenotrettung einsetzt“. Für die FDP liegt die Lösung auf der Hand. Aus Sicht der Liberalen sollte die EU-Grenzschutzagentur Frontex perspektivisch die Seenotrettung im Mittelmeer übernehmen. Ähnlich hatten sich die Grünen in ihrem Europawahlprogramm positioniert. Es brauche „endlich eine europäische Initiative für eine staatlich koordinierte und finanzierte Seenotrettung“, heißt es in dem Programm. Solange dies aber nicht auf EU-Ebene mehrheitsfähig ist, solle die staatliche Unterstützung ziviler Organisationen verbessert werden. „Der erfolgte Einstieg Deutschlands in die finanzielle Unterstützung privater Seenotrettungs-NGOs ist hier ein wichtiger Schritt.“ Auch die SPD plädierte in ihrem Europawahlprogramm dafür, dass Seenotrettung innerhalb der EU staatlich gewährleistet wird. Bis dahin macht sich die Partei für die Unterstützung ziviler Seenotretter stark. Diese dürften nicht kriminalisiert werden. Die Union steht zwar zu der Verpflichtung, Menschen aus Seenot zu retten, sieht die Arbeit der privaten Retter aber dennoch kritisch. Daher hatte die CDU/CSU-Fraktion im vergangenen Jahr im Haushaltsausschuss des Bundestages einen Antrag zur Streichung der Gelder eingebracht, der aber von der Ampel-Mehrheit abgelehnt wurde.