Saturday, October 26, 2024

Mit kalkuliertem Risiko und viel Mut: Wie Christian Wück das Spiel der deutschen Fußballerinnen verändert hat

Tagesspiegel Mit kalkuliertem Risiko und viel Mut: Wie Christian Wück das Spiel der deutschen Fußballerinnen verändert hat Artikel von Charlotte Bruch • 13 Std. • 3 Minuten Lesezeit Das DFB-Team hat in Wembley überwiegend dominiert. Dass gegen England der Sieg gelang, lag an einer sehr offensiven Ausrichtung und dem intensivem Pressing. Als Klara Bühl nach einer knappen halben Stunde jubelnd abdrehte, ließ schließlich auch Christian Wück seinen Emotionen freien Lauf. Der neue Bundestrainer der deutschen Fußballerinnen hatte gerade einen perfekt vorgetragenen Angriff gesehen und er feierte ihn lautstark. Zuvor hatte er sich noch etwas zurückgehalten, doch als der dritte Treffer erneut die Vorzüge seiner Spielidee zeigte und dem deutschen Team gleichzeitig das zwischenzeitliche 3:0 gegen England bescherte, jubelte er gestenreich. Beim 4:3-Sieg am Freitagabend konnte Wück dank eines über weite Phasen starken Auftritts seines Teams den perfekten Einstand im Londoner Wembley-Stadion feiern. „Was mir da durch den Kopf gegangen ist, war eigentlich ganz einfach: Es läuft“, sagte Wück über die starke erste halbe Stunde seines Teams. „Das war schon verrückt“, meinte Linda Dallmann. „Da hat man schon gespürt, dass wir mit richtig Feuer ins Spiel gegangen sind.“ Auch Giulia Gwinn, die das 1:0 bereits nach vier Minuten per Foulelfmeter erzielt hatte und sieben Minuten später nach Vorlage von Klara Bühl einen weiteren Treffer nachlegte, sagte, dass die Spielerinnen darauf gebrannt hätten, endlich unter Christian Wück zu spielen, „und man hat auch gemerkt, dass es bei ihm gekribbelt hat, als der Tag da war, an dem es endlich losging.“ Der 51-Jährige hatte im Vorfeld nur drei Trainingseinheiten mit dem deutschen Team gehabt und es trotzdem geschafft, bereits eine klare Spielidee zu implementieren. Unter seinem Vorgänger Horst Hrubesch waren noch viele lange Bälle auf Alexandra Popp das Mittel gewesen, nach dem Rücktritt der einstigen Kapitänin sollte das DFB-Team nun mit flachen, meist kurzen, Pässen von hinten heraus spielen. Was mir da durch den Kopf gegangen ist, war eigentlich ganz einfach: Es läuft. Christian Wück über die 3:0-Führung nach einer halben Stunde Wück möchte, dass seine Innenverteidigerinnen, am Freitag waren das Janina Minge und Sara Doorsoun, sehr breit stehen, die Außenverteidigerinnen hochschieben und eine der Sechserinnen, Sjoeke Nüsken oder Elisa Senß, entgegenkommt, um sich in den Spielaufbau einzuschalten. Nur im Ausnahmefall soll Torfrau Ann-Katrin Berger mit einem weiten Ball Linda Dallmann auf der Zehnerposition anspielen, das Ziel ist eher eine schnelle Seitenverlagerung über die Zentrale. „Wir wollen nicht diesen Sicherheitsfußball spielen und gefühlt immer fünf Spielerinnen hinter dem Ball haben“, erklärte Gwinn. Gegen England konnte Deutschland auf diese Weise immer wieder das hohe Pressing von Alessia Russo, Beth Mead und Lauren Hemp überspielen. Anschließend folgten Seitenverlagerungen, die beim zweiten und dritten Treffer Deutschlands auch zum Erfolg führten. In Halbzeit zwei ist Deutschlands Pressing der Schlüssel zum Erfolg Unterlief den deutschen Spielerinnen aber ein Abspielfehler oder stimmte die Zuteilung nicht, wurde es mit diesem risikoreichen Ansatz angesichts der hohen Qualität auf der anderen Seite schnell gefährlich. So stand Deutschland nach dem Strafstoßtor von Georgia Stanway in der 33. Minute beim zweiten Treffer Stanways drei Minuten später zu unsortiert. Kurz darauf unterlief Doorsoun ein Fehlpass im Aufbau, Ella Toone verpasste anschließend aber völlig freistehend aus 14 Metern den Ausgleich. Christian Wück geht mit seiner Spielidee also ein gewisses Risiko ein, doch es ist kalkuliert. In der Zukunft wird es daher wichtig sein, diesen Ansatz weiter zu verfestigen und in gewissen Phasen nicht zu übermütig zu werden. Nach dem Doppelschlag durch Stanway verlor Deutschland die Spielkontrolle und verpasste es zunächst, sie mit einfachen Pässen zurückzugewinnen. Nach dem Seitenwechsel dominierte Wücks Team aber wieder. Ein Mittel war dabei das situativ hohe Pressing und das temporeiche Umschaltspiel nach Ballgewinnen. Jule Brand vergab nach etwa einer Stunde, wenige Sekunden später nutzte Klara Bühl einen aussichtsreichen Konter ebenfalls nicht für das vierte Tor. „Das Spiel hatte fast alles, was wir heute haben wollten“, meinte Dallmann. Für das 4:2 sorgte schließlich die eingewechselte Sara Däbritz per Foulelfmeter. Doch auch England schlug zehn Minuten vor Ende der regulären Spielzeit nochmal zurück, als Lucy Bronze nach einem Freistoß aus dem Halbfeld einen Fehler von Ann-Kathrin Berger ausnutzte, der der Ball durch die Finger gerutscht war. Letztlich fiel das Ergebnis knapper aus, als es das Spiel hergab. Vor allem im zweiten Durchgang ließ das deutsche Team kaum etwas zu und schien sich mit der Spielanlage Wücks sichtlich wohlzufühlen. Kein Wunder, sie passt zu diesem verjüngten und lernwilligen Team. Und besser noch: Die Idee ist gegen einen Gegner von Weltklasseformat aufgegangen.