Wednesday, July 24, 2024
„Welle des Enthusiasmus“ für Kamala Harris: Was sind die weiteren Pläne der Demokraten gegen Trump?
Tagesspiegel
„Welle des Enthusiasmus“ für Kamala Harris: Was sind die weiteren Pläne der Demokraten gegen Trump?
Geschichte von Juliane Schäuble • 7 Std. • 10 Minuten Lesezeit
Joe Biden kanditiert nicht bei der US-Wahl und es ist wahrscheinlich, dass die Vizepräsidentin ins Rennen geht. Der frühere US-Botschafter John Emerson kennt sie gut und erklärt, weshalb ihre Partei sie unterstützt.
Große Erwartungen: Kamala Harris soll verhindern, dass Donald Trump ins Weiße Haus zurückkehrt.
Herr Emerson, Joe Biden hat sich am Ende dann doch davon überzeugen lassen, nicht mehr zu kandidieren. Wie schwierig war dieser Schritt für den Präsidenten?
Das muss eine sehr schmerzhafte und schwierige Entscheidung gewesen sein. Er hat eine phänomenale Arbeit als Präsident geleistet. Und er wird das auch weiterhin tun.
Aber leider geht es hier nicht um seine Arbeit als Präsident, sondern darum, gewählt zu werden. Und als die Umfragen zeigten, dass dies eine viel größere Herausforderung sein würde, hat er wohl seine Entscheidung getroffen.
Was denken Sie darüber?
Es ist sehr traurig. Ich kenne niemanden, der an dieser Sache beteiligt war, der nicht ein gewisses Maß an Traurigkeit darüber empfindet. Deshalb wird der Parteitag im August ein Fest der Liebe für Joe Biden sein. Er wird sehr geehrt, gelobt und geliebt werden. Und das ist auch gut so, denn es war schwer für ihn.
Stellen Sie sich vor: Plötzlich beschließt man, eine jahrzehntelange politische Karriere in fünf Monaten zu beenden, und man dachte, man würde noch vier Jahre weitermachen. Das ist eine große Entscheidung. Aber gleichzeitig freuen wir uns sehr über die Kandidatur von Kamala Harris.
Dies geschah am Sonntag und Kamala Harris hat bereits die gesamte Partei hinter sich versammelt. Was passiert da mit der doch eigentlich so diversen Demokratischen Partei?
Es ist wirklich bemerkenswert. Ich hatte erwartet, dass es eine Welle des Enthusiasmus geben würde, wenn dies geschehen würde – aber das Ausmaß der Welle war nicht vorherzusehen. Sie hat die Nominierung mit den Zusagen der Delegierten in zwei Tagen unter Dach und Fach gebracht.
Sie hat innerhalb von 48 Stunden mehr Spenden gesammelt als jeder andere Präsidentschaftskandidat in der Geschichte – und mehr als 60 Prozent der Beiträge stammen von Erstspendern. Und sie stellen die Kampagne zusammen, behalten aber größtenteils die Leute, die bereits daran gearbeitet haben. Es wird ein reibungsloser Übergang sein, und sie geht mit Volldampf an die Arbeit.
Wie geht es nun weiter?
Ich würde erwarten, dass in der Woche vor dem Parteitag bekannt gegeben wird, wen sie als „running mate“ an ihre Seite holt. Auf dem Parteitag werden Kamala Harris und ihr Kandidat dann eine überwältigende Unterstützung erhalten, und die Demokratische Partei wird so geeint und energiegeladen sein, wie es die Republikaner nach ihrem Parteitag waren. Das wäre nicht der Fall gewesen, wenn Präsident Biden seine Entscheidung nicht getroffen hätte.
Warum hat sich Barack Obama noch nicht für sie ausgesprochen?
Das ist eher symbolisch, es macht nicht wirklich einen Unterschied. Sie hat sich die Nominierung in Rekordzeit gesichert. Ich garantiere Ihnen: Er wird eine große Rede auf dem Parteitag halten, und er wird im ganzen Land für sie werben. Daran besteht kein Zweifel.
Was wichtig ist, ist die Tatsache, dass Harris von allen Seiten unterstützt wird und Zusagen von Delegierten sowie Leuten erhält, von denen man erwartet hätte, dass sie sie herausfordern würden, wenn es einen offenen Parteitag gäbe. Stattdessen unterstützen sie alle sie.
Das sieht nach perfekter und langer Planung aus.
Nein, die Leute haben offensichtlich darüber nachgedacht. Aber ich glaube ehrlich gesagt, dass die Leute, die Biden am nächsten stehen, dachten, die Kampagne sei in vollem Gange, bis sie es nicht mehr war.
Bekommt Harris all diese Unterstützung wegen ihrer Position als Vizepräsidentin und weil Biden sie zu seiner Nachfolgerin gemacht hat – oder ist ihr Ansehen in der Partei wirklich so stark und die Öffentlichkeit hat das unterschätzt?
In letzter Zeit gab es viele Artikel, in denen gesagt wurde, dass man Kamala Harris noch einmal genauer unter die Lupe nehmen solle. Sie hat drei Jahre lang harte Arbeit geleistet. In diesem Jahr hat sie bereits in allen Swing States Wahlkampf gemacht.
Sie bekommt großartige Kritiken, wo immer sie hingeht, und zum Beispiel war ihre Rede am Dienstag in Wisconson ein riesiger Erfolg. Sie ist die Speerspitze in einem der wichtigsten Themen der Demokratischen Partei, nämlich der reproduktiven Freiheit. Sie hat einen guten Draht zu jungen Menschen. Sie ist bei der demokratischen Basis sehr beliebt.
Also, ehrlich gesagt, wenn einige dieser anderen Leute wie Gretchen Whitmer oder Gavin Newsom beschlossen hätten, gegen sie anzutreten, glaube ich nicht, dass sie sie hätten schlagen können.
Es geht nicht nur darum, dass sie Vizepräsidentin war, sondern auch darum, dass sie die Arbeit gemacht hat. Sie hat Netzwerke geknüpft. Und sie hat eine energische, charismatische Präsenz – über die nicht viel berichtet wurde, weil sie nicht die Präsidentin war.
Der Eindruck war lange ein anderer.
Zu Beginn herrschte eine chaotische Situation. Aber vergessen Sie nicht, dass der Senat 50:50 besetzt war. Und bei fast jeder Bestätigung eines Postens in der Regierung musste sie anwesend sein, um den Demokraten die nötige Mehrheit zu garantieren. Dies schränkte die Möglichkeiten für sie ein, sich im Land zu bewegen und sichtbar zu sein, und zwar während der ersten zwei Jahre der Biden-Harris-Regierung.
Außerdem: Vieles von dem, was sie schließlich tat, geschah in Übersee. Und das hatte in den Vereinigten Staaten nicht so viel Sichtbarkeit. Die Menschen sind sehr beeindruckt von der Art und Weise, wie sie das alles so schnell auf die Beine gestellt hat, und von der phänomenalen Reaktion, die sie erntet.
Ihr erster Auftritt nach Sonntag war am Montag im Weißen Haus, wo sie College-Basketballspieler ehrte. Die Veranstaltung dauerte nur etwa 15 Minuten. Kritiker nennen sie häufig zu distanziert und weniger nahbar als Biden: Sollte sie das nicht ändern?
Bei anderen Gelegenheiten vielleicht. Aber im Moment hat sie so viel zu tun. Ich bin erstaunt, dass sie so etwas überhaupt 15 Minuten lang tun kann. Sie musste auch nach Wilmington fahren, um sich mit ihren Wahlkampfmitarbeitern zu treffen, und ihr Gespräch mit ihnen war gut besucht und sehr energiegeladen. Es ist unglaublich, wie schnell sich das alles abspielt.
Unglaublich ist auch die Menge an Spenden, die die Harris-Kampagne auf Anhieb erhalten hat.
82 Millionen Dollar in den ersten 24 Stunden, und mehr als 250 Millionen Dollar, wenn man die innerhalb von 48 Stunden von Lobbygruppen gesammelten Spenden mitzählt. So etwas gab es noch nie.
Kamala Harris kommt aus Kalifornien. Aber Elon Musk hat sich gerade für Trump ausgesprochen. Wie stark ist ihre Verbindung zum Silicon Valley?
Musk bereut seine Zusage offenbar bereits, wie man lesen kann. Harris kennt sich in der Tech-Welt sehr gut aus und hatte in der Vergangenheit viel Unterstützung im Valley.
Ja, einige Leute sind zu Trump gewechselt. Aber ich vermute, dass wir von dort mehr Unterstützung für Harris sehen werden. Es gibt viele Leute, die sich für sie und die Demokratische Partei engagieren, Reid Hoffman zum Beispiel (der Mitgründer von LinkedIn). Trump wird nicht in der Lage sein, in der Tech-Welt das Sagen zu haben, das ist sicher.
Wie strategisch war es von der Biden-Kampagne, die Entscheidung des Präsidenten gleich nach dem Parteitag der Republikaner bekannt zu geben? Trump scheint sehr verärgert darüber zu sein, dass die Aufmerksamkeit der Medien so schnell nach seiner offiziellen Nominierung als republikanischer Kandidat abgewandert ist …
Hinter dem Timing steckt immer eine strategische Planung. Ich erinnere mich, als Obama 2008 seinen Parteitag abhielt und die Dankesrede an einem Donnerstagabend hielt.
Einen Tag später gab John McCain die Ernennung von Sarah Palin bekannt – und plötzlich verlagerte sich die ganze Aufmerksamkeit. Ich glaube nicht, dass Bidens Ankündigung mit dieser Idee im Hinterkopf gemacht wurde. Aber ich denke, es hat den Effekt, dass das Momentum sofort gestoppt wurde, weil sich jetzt alle auf diesen Energieschub für Harris konzentrieren.
Auch auf dem Parteitag der Republikaner in Milwaukee gab es eine Menge Energie.
Ja, und ich fand ihren Parteitag sehr gut gemacht. Aber ich habe keinen Zweifel daran, dass auch der Parteitag der Demokraten sehr gut gemacht sein wird.
Es wird wichtig sein, dass Kamala Harris Amerika sozusagen neu vorgestellt wird. Das wird viel Aufmerksamkeit erregen: 25 Millionen Menschen haben Trumps Rede gesehen. Ich bin gespannt, wie viele Menschen ihre Rede sehen werden. Das Interesse daran dürfte riesig sein – was gut für die Demokratie ist.
Überrascht es Sie, dass es kein Chaos und keine Konkurrenz für Harris gibt?
Das hat sich schon seit geraumer Zeit angebahnt. Es ist ein großer Unterschied, ob man Senator oder Gouverneur ist, oder ob man ständig im Rampenlicht steht, wie im Weißen Haus oder sogar als Kandidat für das Präsidentenamt. Es ist einfach eine andere Welt.
Sie hat in den großen Ligen gespielt, die anderen nicht – und mit nur noch drei Monaten bis zur Wahl wäre das Fehlen von Tests auf diesem Niveau eine Belastung für jeden anderen gewesen, der sich entschlossen hätte, sie herauszufordern.
Darüber hinaus hat niemand da draußen die außenpolitische Erfahrung von Harris. Sie ist jetzt seit fast vier Jahren – oder sogar mehr als vier Jahren – „in der Show“. Die Kandidatur für das Amt des Präsidenten hat ein ganz eigenes Maß an Aufmerksamkeit und Intensität.
Was würde eine Präsidentin Harris für die Europäer und Deutschen bedeuten?
Zunächst einmal ist sie dreimal hintereinander zur Münchner Sicherheitskonferenz gekommen und hat dort dreimal hintereinander geredet. Und sie hat nicht nur gesprochen, sondern auch Gespräche geführt und Beziehungen mit anderen führenden Persönlichkeiten aufgebaut. Sie setzt sich sehr für die transatlantischen Beziehungen ein, genau wie Präsident Biden.
Übrigens hat sie mich bei ihren ersten beiden Reisen nach Deutschland und bei ihrem ersten Treffen mit Angela Merkel angerufen, um meine Meinung zu erfahren. Sie wollte gut vorbereitet sein.
Und was haben Sie ihr gesagt?
(Lacht) Darauf werde ich nicht näher eingehen. Aber: Beim Engagement für unsere Verbündeten und Allianzen, die transatlantischen Beziehungen, die Nato und die Ukraine wird sich wenig ändern. Es wäre nichts weniger als schockierend, wenn es eine Abkehr von den letzten drei Jahren einer starken transatlantischen Beziehung gäbe.
Am Donnerstag wird Harris den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu treffen …
… und das ist sinnvoll. Als Vizepräsidentin trifft sie sich privat mit allen Staats- und Regierungschefs, wenn diese nach Washington kommen. In der Regel nimmt sie entweder ein Mittagessen oder ein Frühstück mit ihnen ein. Sie ist auch im Oval Office und nimmt an den Treffen mit dem Präsidenten teil.
Wird sich die Herangehensweise an den Nahostkonflikt ändern?
Vergessen Sie nicht, dass Joe Biden immer noch Präsident ist, es ist seine Außenpolitik, und die wird besprochen und umgesetzt. Nebenbei bemerkt: Harris war möglicherweise die erste Person in der Regierung, die das Wort „Waffenstillstand“ verwendet hat. Als Präsidentin wird sie natürlich ihre eigenen Entscheidungen treffen. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass es eine große Veränderung geben wird.
Welche Rolle wird Harris’ jüdischer Ehemann spielen?
Doug Emhoff, der ein enger Freund ist, hat wirklich seine Stimme gefunden, um das Übel des Antisemitismus anzuprangern, und er hat dabei einfach wunderbare Arbeit geleistet. Er ist ein phänomenaler Second Gentleman: Er unterstützt seine Frau und findet gleichzeitig seine eigene Stimme zu wichtigen Themen.
Doug ist ein sehr offener, ehrlicher und authentischer Mensch, mit einem großen Sinn für Humor. Ich glaube, das kommt bei den Leuten wirklich gut an.
Es gibt dieses Video von Kamala Harris, wie sie einen Thanksgiving-Truthahn zubereitet, das vor ein paar Jahren viral ging. Sie kennen sie: Ist sie so cool, wie sie in diesem Video zu sein scheint?
Das Video war authentisch. Sie liebt es zu kochen. Und sie ist sehr warmherzig und einnehmend.
Werden wir mehr davon auf der Wahlkampftour sehen?
Eines der Dinge, die die Kampagnen bei Präsidentschaftskandidaten versuchen, ist, ihre Authentizität durchscheinen zu lassen. Das ist wichtig. Aber ob sie Sie in ihre Küche einladen und Sie kochen lassen werden, weiß ich nicht.
Auf Parteitagen sieht man viele Videos, die das Privatleben der Kandidaten zeigen, wie sie als Menschen und in natürlicher Umgebung sind. Es würde mich sehr überraschen, wenn es davon nicht auch auf diesem Parteitag eine Menge gäbe. Sowohl von ihr als auch von demjenigen, der als Vizepräsidentschaftskandidat nominiert werden wird.
Was ist Ihre Vermutung: Wer wird es sein?
Vermutlich wird es ein Senator oder Gouverneur aus einem Swing State sein, zumindest aber jemand, der im Mittleren Westen gut ankommt und den Kontakt zu den arbeitenden Menschen herstellen kann.
Vieles hängt aber auch von der persönlichen Chemie ab. Kamala Harris weiß das so gut wie jeder andere, weil sie eine sehr gute persönliche Beziehung zu Joe Biden hat. Die persönliche Chemie und das Vertrauen, dass die Person im Bedarfsfall sofort ins Präsidentenamt einsteigen kann, werden von entscheidender Bedeutung sein.
Womit müssen die Demokraten von republikanischer Seite aus rechnen?
Im Moment ist ihr Plan über den Haufen geworfen worden. Sie dachten, sie würden bis November durchmarschieren, und jetzt haben sie einen echten Kampf vor sich. Sie werden sie mit allen Mitteln angreifen, und genauso den Kandidaten für die Vizepräsidentschaft.
Aber was wirklich interessant ist, ist dies: Die größte Belastung für die Demokraten war bis Sonntagnachmittag das Alter von Joe Biden und Fragen zu seiner Gesundheit und seinem Geisteszustand. Jetzt ist das eine Belastung für Donald Trump! Die Leute erkennen, dass er der alte Mann ist, der Fehler macht, auf Abwege gerät, den Faden verliert und Namen und Personen verwechselt.
Plötzlich wird die Frage des Alters zu einem Problem für Trump und ist kein Mittel mehr, um die Demokraten anzugreifen. Harris wird natürlich die Last der unpopulären Politik der Biden-Administration zu tragen haben, aber als ehemalige Staatsanwältin wird sie den Fall gegen Trump effektiv verfolgen.
Wird es eine Debatte zwischen Harris und Trump geben?
Kamala Harris ist eine formidable Debattiererin. Viele Leute freuen sich schon darauf, sie in einer Debatte gegen Donald Trump antreten zu sehen. Er hat bereits versucht, sich aus der Affäre zu ziehen, und gesagt, dass die Debatte jetzt auf Fox News stattfinden soll. Nun, das ist lächerlich.
Das ist so, als ob die Trump-Kampagne die Moderation übernehmen würde. Die nächste Debatte wurde bereits fest geplant. Seine Kampagne hat ihr zugestimmt. Wir werden sehen, ob er kneift oder nicht. Ich denke, er weiß, dass sie ihn nicht mit dem davonkommen lassen wird, was er in der Debatte mit Biden tun konnte. Übrigens wurde gerade bekannt, dass er jetzt sagt, er wolle viele Debatten. Stay tuned.