Friday, July 5, 2024

Frankreich-Wahl: Was würde ein Sieg von Le Pen für die Ukraine bedeuten?

Berliner Zeitung Frankreich-Wahl: Was würde ein Sieg von Le Pen für die Ukraine bedeuten? Nicolas Butylin • 3 Std. • 4 Minuten Lesezeit Wolodymyr Selenskyj, der ukrainische Präsident, schaut mit besonderer Anspannung auf den Ausgang der Stichwahlen in Frankreich. Wie werden die Beziehungen zwischen Kiew und Paris aussehen, falls Marine Le Pens rechte RN-Partei gewinnt? In Frankreich bahnt sich am Wochenende ein politisches Erdbeben an – mit erheblichen Folgen, die bis ins östlichste Europa reichen könnten. Der rechte Rassemblement National (RN), die Partei von Marine Le Pen, liefert sich mit der linken Allianz, der Nouveau Front Populaire (NFP), ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Der Block des französischen Präsidenten und felsenfesten Ukraine-Unterstützers Emmanuel Macron hat seine Mehrheit im Parlament bereits verloren. Die einzige offene Frage scheint jetzt zu sein, ob es dem RN gelingt, eine absolute Mehrheit zu erlangen. Doch was würde ein solcher Le-Pen-Sieg für Kiew bedeuten? „Die Ukraine muss in der Lage sein, sich zu verteidigen“, sagte der RN-Spitzenkandidat Jordan Bardella vor kurzem und signalisierte die verstärkt prowestlichen Ambitionen seiner rechten Partei. Tatsächlich versucht die Le-Pen-Formation während des Wahlkampfes immer wieder ihre Salonfähigkeit im Umgang mit der Ukraine unter Beweis zu stellen und sich vom Misstrauen, der RN sei ein russisches U-Boot in Frankreich, zu befreien. In welcher Form ein Frankreich unter einem Premierminister Bardella das politische Kiew in seinem Krieg gegen Russland weiter unterstützen würde, bleibt jedoch bewusst offen. Vielmehr kritisieren Le Pen und ihr politischer Ziehsohn die Wirkungslosigkeit von Sanktionen gegen Moskau sowie die Instrumentalisierung der russischen Invasion durch Präsident Macron für seine politischen Zwecke. Während einer Pressekonferenz am Rande einer Rüstungsmesse bei Paris skizzierte Bardella schon mal seine „roten Linien“ in den Beziehungen mit der Ukraine. Es komme für ihn nicht infrage, Langstreckenraketen und Waffen bereitzustellen, mit denen die ukrainische Armee in der Lage wäre, „russisches Territorium anzugreifen“. Bardella will „jegliches Risiko einer Eskalation vermeiden“. Wenig überraschend kritisiert er auch Macrons nebulöse Idee vom Februar dieses Jahres, französische Soldaten in die Ukraine zu entsenden. Doch beim RN setzt man auch auf „Normalisierung“ des eigenen außenpolitischen Diskurses. Bardella habe „nicht die Absicht, Frankreichs internationale Verpflichtungen in Verteidigungsfragen infrage zu stellen“. Bei der Pariser Rüstungsmesse vor wenigen Wochen sagte er, Frankreich müsse die „Glaubwürdigkeit gegenüber europäischen Partnern und Nato-Verbündeten“ aufrechterhalten. Das Verhältnis zu Russland sei vor dem Einmarsch in die Ukraine im Frühjahr 2022 von einer „kollektiven Naivität“ geprägt – er werde es nicht zulassen, dass „der russische Imperialismus ein solches Land wie die Ukraine absorbiert“. Logistisch und „verteidigungstechnisch“ werde er als Premier die Ukraine auch weiterhin unterstützen. Zudem behauptet Bardella, das Parteiprogramm sei nicht mehr so „antieuropäisch“ wie früher. Der Austritt Frankreichs aus der EU sei beispielsweise aufgegeben worden, stattdessen sei ein „Europa der Nationen“ das erklärte Ziel. Le Pen distanzierte sich im Wahlkampf ebenfalls immer wieder von ihren russlandfreundlichen Äußerungen, als sie aus ihrer Bewunderung für Wladimir Putin keinen Hehl machte oder auch nach Kriegsbeginn für ein „Bündnis mit Russland in bestimmten inhaltlichen Fragen“ plädierte. Politische Beobachter in Frankreich vergleichen den Wandel der außenpolitischen Positionen beim RN immer wieder mit der sogenannten Melonisierung rechter Parteien in Europa: An der Unterstützungspolitik des Westens werde nicht gerüttelt, die fundamentale Kritik an der EU nimmt einen gemäßigteren Ton an, man möchte sich stattdessen in Regierungsverantwortung beweisen und bei G7-, G20- oder Nato-Gipfeln mit den globalen Playern am Tisch sitzen. Zudem wolle man eine „Eskalation mit Russland vermeiden“, so Bardella. Doch in der Ukraine schaut man mit großer Skepsis auf einen möglichen Premierminister vom politisch rechten Rand. Bei einem Le-Pen-Sieg stünden die bilateralen Beziehungen zwischen Frankreich und der Ukraine auf dem Prüfstand, hört man aus dem politischen Kiew – ähnlich wie das aktuelle Verhältnis zu Ungarn oder zur Slowakei. Macron genießt nämlich im osteuropäischen Land – im Gegensatz zu seiner Heimat – sehr hohe Beliebtheitswerte. Seine Ukrainepolitik wird wiederum von Le Pen, Bardella und Co. vehement kritisiert – in Kiew, Lwiw und Odessa vermutet man deshalb bei einem RN-Sieg eine Kehrtwende im zwischenstaatlichen Verhältnis. Auch wenn die tatsächlichen militärischen Unterstützungsleistungen Frankreichs auf die ökonomische Größe des Landes gerechnet vergleichsweise klein ausfallen, wird die rhetorische Solidarität Macrons sehr wohlwollend in der Ukraine aufgenommen. Inwieweit sich das Frankreich-Bild der Ukrainer nach dem Sonntagabend verändert, bleibt ein großes mediales Thema im Land. Obwohl der französische Präsident über die außenpolitischen Befugnisse verfügt, deutet Le Pen jedenfalls an, dass es für Macrons Außenpolitikprojekte kein Geld mehr geben werde – die Regierung unter Premier Bardella würde bei einem Wahlsieg am Sonntag nämlich die Staatskasse kontrollieren. Auch Marine Le Pens (frühere) Verbundenheit mit Russlands Präsident Putin ist vielen Ukrainern ein Dorn im Auge. In ukrainischen Zeitungen und Online-Medien erinnern Analysen über die jahrelange Nähe zwischen dem RN und dem Kreml. Das Politestablishment in Kiew habe demnach nicht vergessen, dass Le Pens Partei zu Zeiten der Maidan-Revolution in der Ukraine einen Kredit über neun Millionen Euro von einer russischen Bank erhielt, um den Wahlkampf für die Departements- und Regionalwahlen 2015 zu finanzieren. Erst im September 2023 hat der RN nach eigenen Angaben das Darlehen vollständig zurückgezahlt. Zudem machen auch die russischen Behörden keinen Hehl daraus, wem der Kreml am Sonntag die Daumen drückt. Der X-Account, früher Twitter, des russischen Außenministeriums postete ein Bild mit einer jubelnden Le Pen und einem Zitat eines Pressesprechers: „Das französische Volk strebt eine souveräne Außenpolitik an, die den nationalen Interessen dient sowie einen Bruch mit den Diktaten aus Washington und Brüssel herbeisehnt.“ Der Tweet wurde über 1,4 Millionen Mal angezeigt, viele Medien in Frankreich berichten über die offenen Sympathiebekundungen aus Moskau. Die Berliner Zeitung befragte außerdem kürzlich Nils Schmid, den außenpolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion und Vorsitzenden der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung, zu möglichen Auswirkungen auf das französisch-ukrainische Verhältnis. Schmid erwartet, dass der RN im Falle eines Wahlsieges zunächst versuchen wird, „eine gewisse Kontinuität in außenpolitischen Fragen innerhalb der EU und der Nato darzustellen, um deren Mitglieder nicht gleich zu beunruhigen“. Sollte der RN die Wahlen gewinnen, würden weitere Unterstützungsmaßnahmen erschwert werden.