Wednesday, September 22, 2021
Die Folgen des U-Boot-Streits für die deutsche Autoindustrie
WELT
Die Folgen des U-Boot-Streits für die deutsche Autoindustrie
Tobias Kaiser vor 3 Min.
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Nach dem Alleingang der USA mit Australien und Großbritannien will Frankreich einen beinahe fertig verhandelten Handelspakt mit Australien blockieren. Das hätte erhebliche Konsequenzen für deutsche Schlüsselindustrien.
Der australische Markt ist für deutsche Autobauer attraktiv – doch jetzt könnte der französische U-Boot-Streit Chancen verderben Quelle: Getty Images© Getty Images Der australische Markt ist für deutsche Autobauer attraktiv – doch jetzt könnte der französische U-Boot-Streit Chancen verderben Quelle: Getty Images
Es war eine Geste des Entgegenkommens, die das Zeug dazu gehabt hätte, die Wogen zwischen Paris und Washington zu glätten. Sie verfing aber nicht. Just zu Beginn der US-Reise des französischstämmigen EU-Binnenmarktkommissars Thierry Breton kündigten die USA das Ende des Einreiseverbots für Europäer an.
Breton zeigte sich hocherfreut, posierte in Washington mit Jeff Zients, dem Covid-19-Koordinator im Weißen Haus – aber die Stimmung bleibt verdorben. Zwischenzeitlich eilte sogar die EU demonstrativ an die Seite Frankreichs. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erklärte, das Verhalten sei „nicht akzeptabel“.
Der U-Boot-Deal zwischen den USA und Australien mit dem Junior-Partner Großbritannien hat in Paris für Zorn gesorgt. Die Wut im Elysee-Palast könnte unbeteiligte deutsche Unternehmen teuer zu stehen kommen, denn der Streit gefährdet ein weitgehend ausgehandeltes Freihandelsabkommen zwischen der EU und Australien.
Tatsächlich kamen aus Paris bereits am Wochenende deutliche Worte: Man könne das Abkommen platzen lassen, ließ der französische Europaminister Clément Beaune wissen. Beaune gehört zum engsten Machtzirkel von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und gilt als dessen Einflüsterer in Europa-Angelegenheiten.
„Sein Wort zu halten, ist die Bedingung für Vertrauen zwischen Demokratien und Alliierten“, sagte Beaune gegenüber dem Informationsdienst Politico. „Deshalb ist es undenkbar, mit den Verhandlungen fortzufahren, als sei nichts passiert mit einem Land, dem wir nicht länger trauen.“
Sollten sich die Verhandlungen massiv verzögern oder sollte das Abkommen gar platzen, wären vor allem Unternehmen in Deutschland die Leidtragenden. Das zeigt eine Folgenabschätzung der Europäischen Kommission für das Freihandelsabkommen.
Die wirtschaftliche Bedeutung des Abkommens wäre demnach zwar begrenzt; aber immerhin würde ein ambitioniertes Abkommen im Jahr 2030 rund 3,9 Milliarden Euro zur Wirtschaftsleistung der EU beisteuern. Die Exporte von Europa nach Australien könnten 2030 um ein knappes Drittel zulegen.
In Europa würden demnach vor allem Autohersteller, Zulieferer und Maschinenbauer von dem Abkommen profitieren – allesamt Industriezweige, die in Deutschland überdurchschnittlich stark sind. „Wenn sich das Freihandelsabkommen mit Australien verzögert, ist das vor allem für die deutsche Industrie ein Problem“, sagt denn auch Bernd Lange, der Vorsitzende des Handelsausschusses im Europäischen Parlament.
„Deutsche Autohersteller haben großes Interesse daran, dort ihre Autos zu verkaufen. Das gilt vor allem für die Premiumhersteller. Noch hat Australien für höherwertige Fahrzeuge eine Luxussteuer, aber deutsche Hersteller setzen darauf, dass die mit dem Abkommen fällt.“
Tatsächlich hat Australien keinen einheimischen Autohersteller mehr, dessen Geschäft mit einer solchen Luxussteuer geschützt werden müssten. Das Unternehmen Holden, eine Tochter des US-Konzerns General Motors, die unter anderem auf der Basis von Opel-Modellen Autos für den australischen Markt gebaut hat, hat die Produktion auf dem Kontinent im Jahr 2017 eingestellt. In diesem Jahr soll die Marke verschwinden.
Auch deutsche Maschinenbauer und Hersteller von Werkzeugtechnologie hätten zu den Profiteuren eines Abkommens gehört, gerade auch Unternehmen, die Ausrüstung für den Bergbau und die Kohleförderung herstellen. „Mit jedem Monat Verzögerung verlieren die Unternehmen potenzielle Umsätze“, warnt SPD-Politiker Lange.
Zwar verhandeln die Mitgliedstaaten nicht direkt mit Australien, sondern die Europäische Kommission, die im Bereich Handel weitgehende Befugnisse hat und die 27 Mitgliedstaaten vertritt, führt die Gespräche. Federführend ist dort die Generaldirektion Handel, die von der Deutschen Sabine Weyand geführt wird. Die Kommission stimmt sich dabei aber permanent mit den Mitgliedstaaten und dem Europäischen Parlament ab; schließlich müssen das Parlament und die Mitgliedstaaten dem fertig verhandelten Abkommen zustimmen.
Frankreichs Stimme ist dabei entscheidend, weil die australische Seite künftig leichter Fleisch und Milchprodukte in die EU verkaufen will. Australische Rinderfarmer wären laut der Folgenabschätzung der Kommission die größten Profiteure des Abkommens auf australischer Seite. Sie haben ein großes Interesse daran, sich neue Kunden in Europa zu sichern, weil politische Spannungen zwischen Australien und China dafür sorgen, dass der chinesische Absatzmarkt wegbricht.
„Frankreich muss für den erleichterten Marktzugang für australische Agrarfirmen Kompromisse machen, und das wollen sie jetzt sicherlich nicht mehr“, sagt EU-Politiker Lange. Dadurch würden die Verhandlungen komplizierter. „Ich erwarte nicht, dass Frankreich das Abkommen platzen lässt, aber Paris dürfte es erheblich verzögern. Geplant war, die Gespräche möglicherweise schon Ende des Jahres abzuschließen. Daraus wird jetzt sicher nichts mehr.“