Monday, July 8, 2024

USA: Nato-Gipfel – Es kracht gewaltig

t-online USA: Nato-Gipfel – Es kracht gewaltig Patrick Diekmann • 59 Mio. • 7 Minuten Lesezeit Nato-Gipfel in den USA Es kracht gewaltig Emmanuel Macron, Olaf Scholz und Joe Biden: Beim Nato-Gipfel in Washington wird auch wieder die Debatte um den Gesundheitszustand des US-Präsidenten im Mittelpunkt stehen. Beim Jubiläumsgipfel in Washington möchte die Nato zusammenrücken und berät über weitere Maßnahmen im Umgang mit dem Ukraine-Krieg. Doch schon im Vorfeld gibt es Störfeuer – durch Viktor Orbán und den US-Wahlkampf. Es ist nun schon mehr als 75 Jahre her. Am 4. April 1949 wurde die Nato in Washington gegründet, um nach dem Zweiten Weltkrieg weitere bewaffnete Konflikte in Europa zu verhindern und um eine weitere Ausdehnung der kommunistischen Sowjetunion zu verhindern. Deshalb findet der diesjährige Nato-Gipfel von Dienstag bis Donnerstag auch wieder in der US-Hauptstadt statt, am Ort der Gründung des Verteidigungsbündnisses. Doch im Angesicht der aktuellen inneren und äußeren Krisen ist die Partystimmung gedämpft. Zunächst werden in den USA die Feierlichkeiten im Mittelpunkt stehen. Am Mittwoch werden die Staats- und Regierungschefs offiziell begrüßt, es folgt eine Pressekonferenz des Nato-Generalsekretärs Jens Stoltenberg, seine letzte im Amt auf einem Nato-Gipfel, denn im Oktober wird er durch den ehemaligen niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte abgelöst. Am Abend folgt für die Gipfelteilnehmer ein Dinner im Weißen Haus. Die meisten Arbeitssitzungen finden am Donnerstag statt. Nur wenig Zeit für diverse Arbeitssitzungen, einige bilaterale Treffen der Staats- und Regierungschefs, viele Krisen, auf die die Nato weitere Antworten finden muss. Bereits im Vorfeld kracht es in der Nato gewaltig, denn besonders die Spontanbesuche des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán in Russland und China schlugen im Bündnis ein wie eine Bombe. Es wird in Washington ein zähes Ringen um weitere Schritte zur Unterstützung der Ukraine und um eine deutliche Botschaft gegen Kreml-Chef Wladimir Putin und seinen Krieg gehen. Hinzu kommt: Die Sorge, dass das Nato-Treffen vom US-Wahlkampf überschattet wird. Wie fit ist Biden? Besonders US-Präsident Biden steht auch in den kommenden Tagen unter intensiver nationaler und internationaler Beobachtung. Ist der 81-Jährige gesundheitlich noch in der Lage, bei der US-Wahl im November für eine weitere Amtszeit zu kandidieren? Oder ebnet er mit dem Festhalten an seiner Kandidatur Donald Trump den Weg zurück ins Weiße Haus? Diese Fragen stellen sich nach dem Debakel für Biden bei der TV-Debatte viele Amerikaner, aber auch viele Nato-Mitglieder blicken besorgt darauf, was aktuell in den Vereinigten Staaten passiert. Öffentlich geben sich viele europäische Regierungen zuversichtlich, dass Biden die Wahl gewinnen kann. Aber klar ist: Trump liegt in den Umfragen aktuell vorne und die Diskussionen der Demokraten über einen alternativen Präsidentschaftskandidaten stärken sicherlich nicht den aktuellen US-Präsidenten im Wahlkampf. Hinzu kommt Trump, der den Nato-Gipfel mit eigenen Forderungen oder erneuten Drohungen gegenüber den Bündnispartnern, stören könnte. Schließlich hatte er in seiner Amtszeit als US-Präsident schon mit dem Austritt der USA aus der Allianz gedroht. Und die Versuchung für den Republikaner wird sicherlich groß sein, seinem Kontrahenten Joe Biden keine politischen Erfolge auf der internationalen Bühne zu gönnen. Über Debatten um Bidens Alter oder über den US-Wahlkampf möchte im Nato-Bündnis aktuell eigentlich niemand etwas hören. Schließlich gebe es zahlreiche Krisen, heißt es dazu auch aus deutschen Regierungskreisen. Trotzdem werden die Nato-Mitglieder im Schatten der aktuellen Entwicklungen in den USA versuchen, den europäischen Pfeiler innerhalb des Bündnisses stärken. Trump gegen Biden: Der Republikaner liegt aktuell in den Umfragen vorne. Deswegen gibt es im Hintergrund Gespräche, um sich auf das Szenario einer Trump-Rückkehr vorzubereiten – insbesondere durch die internationale Koordinierung von Waffenlieferungen und Ausbildungsaktivitäten für die ukrainischen Streitkräfte. Trump steht den Ukraine-Hilfen skeptisch gegenüber und behauptet, er könne den Ukraine-Krieg innerhalb von 24 Stunden stoppen. Allein das sorgt für große Ängste, vor allem in Kiew. Zwar ist es vor allem den USA wichtig, beim Gipfel in Washington auch über die Sicherheit im Indopazifik und insbesondere über den Konflikt mit China zu beraten. Deshalb sind auch die Asian-Pacific-4-Staaten – Japan, Südkorea, Australien und Neuseeland – vor Ort sein und es wird darüber hinaus auch darum gehen, über weitere Schritte zu beraten, sollte Peking seine Unterstützung für Putin noch weiter ausbauen. Doch in Washington werden andere Themen ein größeres Gewicht haben. Fest steht: Im Zentrum der Debatten am Donnerstag wird vor allem wieder die Lage in der Ukraine stehen. Weitere Unterstützung der Ukraine Der Gipfel soll nach Angaben aus deutschen Regierungskreisen "eine sehr klare Botschaft" zur Unterstützung der Ukraine aussenden. Es sei zu erwarten, dass die 32 Nato-Staaten dem Land jährlich rund 40 Milliarden Euro pro Jahr zusagen, wie ein ranghoher Regierungsvertreter am Montag in Berlin sagte. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj fordert angesichts kontinuierlicher russischer Luftangriffe auf sein Land eine weitere Unterstützung der Nato vor allem in der Flugabwehr. Dies sei nicht nur für den Schutz der Zivilbevölkerung notwendig, sondern auch zur Verteidigung der Energie-Infrastruktur, sagte Selenskyj auch mit Blick auf den nächsten Winter. Bei russischen Raketenangriffen auf mehrere Städte in der Ukraine waren allein am Montag mindestens 29 Menschen getötet worden. Getroffen wurde auch ein Kinderkrankenhaus in Kiew. Selenskyj wird ebenfalls an dem Nato-Gipfel teilnehmen. Die ukrainische Armee konnte seit dem Frühjahr durch den Westen mit mehr Munition ausgerüstet werden. Größere Reserven bei der Artilleriemunition helfen ihr aktuell, den russischen Vormarsch zu stoppen. Doch russische Attacken wie der Raketenangriff auf Kiew haben noch einmal dokumentiert, dass die ukrainische Flugabwehr weiterhin viel zu schwach aufgestellt ist. Nun könnte das Land Flugabwehrsysteme aus Israel bekommen und es wird auch weiterhin darüber diskutiert, Teile des ukrainischen Luftraums durch Flugabwehr auf Nato-Territorium zu schützen. Letzteres wird innerhalb der Nato allerdings kritisch gesehen, weil die Befürchtung überwiegt, dass die Allianz dadurch aktiv in den Krieg hineingezogen werden könnte. Das will die Nato weiterhin verhindern. Orbán sorgt für Wut Neben militärischen Hilfsgütern für die Ukraine geht es beim Nato-Gipfel in Washington aber vor allem auch um die Geschlossenheit im Bündnis. Es soll ein klares Signal an Putin geben, dass die Nato nicht nachlassen wird – und wie immer gilt: Der genaue Ton der Abschlusserklärung macht die Musik. Die Welt wird genau draufschauen, wie einig die Nato weiterhin im Umgang mit Putins Krieg ist. Autokraten unter sich: Viktor Orbán (l.) und Wladimir Putin im Kreml. Für Unmut unter den Alliierten sorgte bereits wenige Tage vor dem Gipfel Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán, dessen Land gerade den EU-Vorsitz innehat. Im Rahmen einer als "Friedensmission" inszenierten Staaten-Tour besuchte der Regierungschef des Nato-Landes am Montag überraschend China. Zuvor war Orbán schon bei einem umstrittenen Besuch in Moskau vom russischen Präsidenten Wladimir Putin empfangen worden und in die Ukraine gereist. Sein Auftritt wird sicherlich unter besonderer Beobachtung der Partner stehen, schließlich hatte Orbán angekündigt, die Nato-Partner in Washington über seine Reise zu informieren. Das fällt allerdings auf wenige Gegenliebe innerhalb der Nato. Orbán brachte bisher keine Fortschritte aus Moskau mit, reiste trotz Kritik der Europäischen Union in die russische Hauptstadt. In Interview mit "Bild" verkündete der ungarische Ministerpräsident indirekt, dass die Ukraine den Krieg nicht gewinnen könne und dass er sich eine Trump-Rückkehr ins Weiße Haus wünschen würde. Ungarns Ministerpräsident steht in der Kritik nach Besuchen in Moskau und Peking. Das alles sind Querschüsse, die sich die Nato im Sinne der Geschlossenheit nicht wirklich leisten kann. Zumal Ungarn von russischen Rohstofflieferungen abhängig ist und somit kaum Einfluss auf den Kreml haben wird. Deswegen wird die Orbán-Reise eher als destabilisierender Faktor für die Nato gewertet – von der Putin profitieren würde. Besondere Verantwortung für Deutschland Neben Biden, Orbán und Selenskyj richtet sich in Washington allerdings auch besonderes Augenmerk auf Deutschland. Immerhin ist die Bundesrepublik der zweitgrößte Unterstützer der Ukraine und hätte eine besondere Verantwortung, sollte Trump zurück ins Weiße Haus kommen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wird in den USA den französischen Präsidenten Emmanuel Macron und den neuen britischen Premierminister Keir Starmer zu bilateralen Gesprächen treffen, heißt es aus deutschen Regierungskreisen. Zwei Gespräche unter unterschiedlichen Vorzeichen: Die Wahl Starmers ist für die Bundesregierung eine Chance, seine Labour-Partei steht mehr europäischer Kopperation offen gegenüber. Macron dagegen hat sich durch die ausgerufenen Neuwahlen in Frankreich selbst geschwächt und nach dem Sieg des Linksbündnisses ist es völlig unklar, wie eine neue französische Regierung aussehen wird. In engem Kontakt nach der Wahl in Frankreich: Macron und Scholz ( Auch wenn Macron mit innenpolitischen Problemen konfrontiert ist, liegt die Außen- und Sicherheitspolitik noch größtenteils in der Verantwortung des Präsidenten. Und wenn von der Stärkung des europäischen Pfeilers in der Nato die Rede ist, dann heißt das momentan vor allem, autonomer bei der Verteidigung Europas und bei der längerfristigen Unterstützung der Ukraine – notfalls auch ohne die USA – zu werden. Ob das tatsächlich realistisch ist, ist fraglich. Denn für viele europäische Staaten ist Aufrüstung eher ein längerer Prozess, so auch für Deutschland. Zwar wurde die von Scholz ausgerufene Zeitenwende und die deutschen Militärausgaben von 2,19 Prozent das Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2024 in der Nato positiv aufgenommen. Aber frühere Bundesregierungen haben sich lange gegen diese Nato-Verpflichtung gesträubt und Deutschland hat diese Militärausgaben noch nicht verstetigt. Ein Regierungsvertreter betonte, dass Deutschland das Zwei-Prozent-Ziel dauerhaft einhalten werde. Zweifel daran gibt es allerdings mit Blick auf 2028, wenn das Sondervermögen für die Bundeswehr ausgeschöpft ist. Dann müsste der Wehretat nach heutigem Stand um etwa 30 Milliarden Euro erhöht werden. Und auch im Ausland werden sicherlich die Probleme der Ampelregierung vernommen worden sein, einen Haushalt für 2025 aufzustellen – und die Kürzungen im Wehretat.