Monday, August 29, 2022

Ukraine: Hat Selenskyj sein Volk gezielt getäuscht und belogen?

Berliner Zeitung Ukraine: Hat Selenskyj sein Volk gezielt getäuscht und belogen? BLZ/mow - Vor 2 Std. | Lange Zeit konnte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sein Volk hinter sich versammeln. In den ersten sechs Monaten des Krieges war er Held, Anführer, Fels in der Brandung. Doch nun werden schwere Vorwürfe gegen Selenskyj laut. Der Präsident habe die Bevölkerung getäuscht und belogen, ihr vor der russischen Invasion die Kriegswarnungen der US-Geheimdienste verschwiegen. Die bekannte Dramatikerin Kateryna Babkina wirft Selenskyj vor, die Ukrainer nicht auf den bevorstehenden Krieg vorbereitet zu haben. „Das ist kein Versehen, kein Fehler, kein unglückliches Missverständnis, keine strategische Fehleinschätzung – das ist ein Verbrechen“, wird sie in einem aktuellen Bericht des Handelsblatts zitiert. Sewgil Musajewa, Chefredakteurin der Zeitung Ukrainska Prawda, beschuldigt Selenskyj der gezielten Desinformation. Der Präsident habe vor dem Krieg das Ausmaß der Bedrohung verschwiegen und die Bevölkerung nicht ernstgenommen. Er habe geradezu „Zweifel an der geistigen Kapazität von Millionen von Ukrainern aufkommen lassen“. Musajewa geht noch weiter: Weil Selenskyj die nötige Kriegsvorbereitung unterlassen habe, sei er mitschuldig an „konkreten menschlichen Verlusten“. Sein Verhalten werfe drängende Fragen auf, die früher oder später „ehrlich beantwortet werden müssen“. Die Abgeordnete Iryna Geraschenko wirft der Staatsführung um Selenskyj vor, falsche Prioritäten gesetzt zu haben. Statt das Land auf die russische Invasion vorzubereiten und „die Kollaborateure auszusortieren“, habe der Geheimdienst SBU den Ex-Präsidenten Petro Poroschenko „gejagt“. Selenskyj selbst hat den Verzicht auf offene Kriegsvorbereitungen jüngst damit begründet, dass er sein Land nicht in Panik versetzen wollte. Die USA hätten ihn ab Herbst 2021 vor einer russischen Invasion gewarnt, so Selenskyj gegenüber der Washington Post. Seine Führung habe einen Wirtschaftskollaps vermeiden und die Bevölkerung im Land halten wollen. Wenn er gesagt hätte, dass seine Landsleute Geld und Lebensmittel horten sollen, „dann hätte ich seit vergangenem Oktober jeden Monat sieben Milliarden US-Dollar verloren“, so Selenskyj. Hätte er die Warnungen aus Washington öffentlich mitgeteilt – statt angebliche gegenteilige Erkenntnisse der eigenen Geheimdienste zu verbreiten –, wären Investoren gegangen und Fabriken verlagert worden. „Und wenn Russland dann angreift, hätten sie uns in drei Tagen erobert gehabt.“ Die Menschen in der Ukraine zu halten, sei für die Landesverteidigung unerlässlich gewesen. Im nahenden Herbst und Winter wird das Kriegsland Ukraine vor erheblichen Herausforderungen stehen. Experten sprechen von Heizkrise, wirtschaftlicher Krise, politischer Krise. Die russische Armee könnte vor dem Wintereinbruch alle Kraftwerke und Fernwärmeleitungen zerstören – damit die ukrainische Bevölkerung friert, demoralisiert wird und flüchtet. Angesichts des Ernstes der Lage fordert Oleksandr Danylyuk, Koordinator der Bürgerrechtsbewegung „Gemeinsame Sache“, ein Ende der Kritik an Selenskyj. Der innere Konflikt und das „jetzt wieder ausgebrochene politische Gezänk“ würden nur dem Feind Russland nutzen. Die Ukraine habe gute militärische Erfolge erzielt und müsse diesen Weg weitergehen.