Saturday, February 26, 2022
Russland und China: Im Handel ist Putin nur der Kellner
Wirtschaftswoche
Russland und China: Im Handel ist Putin nur der Kellner
Losse, Bert - Gestern um 15:02
Angesichts von Sanktionen und wirtschaftlicher Isolation braucht Russland die Hilfe Chinas. Der Warenaustausch der beiden Staaten ist zwar auf einen Rekordwert gestiegen – doch sie begegnen sich nicht auf Augenhöhe.
Wahrscheinlich war es nur ein Zufall: Just am Tag der russischen Invasion in der Ukraine verkündete die chinesische Zollverwaltung das Ende von Importbeschränkungen für russischen Weizen. Russland und die Ukraine gelten als eine „Kornkammer Europas“ und machen ein gutes Drittel des globalen Weizenmarkts aus.
Die Meldung ging angesichts des Kriegsausbruchs unter, passt aber ins Bild der ökonomischen Annäherung der beiden Großmächte. „Höher, schneller, weiter – das olympische Motto übertragen Russland und China auf ihre Wirtschaftsbeziehungen“, schreibt die Außenhandelsagentur Germany Trade AMPERSAND Invest. 2021 wurde ein russisch-chinesischer „Freundschaftsvertrag“ bis 2026 verlängert, am Rande der Eröffnungsfeier der Winterspiele in Peking vereinbarten die Staatspräsidenten Wladimir Putin und Xi Jinping eine Reihe neuer Investitionsprojekte. Das russische Staatsunternehmen Rosatom ist beim Bau von vier Kernreaktoren in China mit im Boot, der chinesische Baukonzern CRCC, der eine russische Tochterfirma hat, will einen Autobahnring rund um Wladiwostok finanzieren und bauen.
Angesichts der verhängten (und wahrscheinlich noch folgenden) Sanktionen des Westens und dem Siechtum der russischen Volkswirtschaft ist Putin mehr denn je gezwungen, sich in die Hände Pekings zu begeben. Das Handelsvolumen zwischen den beiden Großmächten ist 2021 auf 140,7 Milliarden US-Dollar nach oben geschossen. Das ist ein neues Allzeithoch - und ein Zuwachs von gut 35 Prozent gegenüber dem Coronajahr 2020. Mehr noch: Eine gemeinsame „Roadmap“ setzt sich das Ziel, beim bilateralen Handel bis 2024 die 200-Milliarden-Dollar-Marke zu knacken.
Doch ein Blick ins Kleingedruckte der Handelsstatistik offenbart, wer hier Koch und wer Kellner ist. Bereits 15 Prozent der russischen Exporte gehen nach China, vor zehn Jahren waren es nur knapp sieben Prozent. Und der übergroße Teil davon – im Gegenwert von 26 Milliarden Dollar- entfällt auf preisvolatiles Rohöl. Hingegen sind die Chinesen geschäftlich von Russland weit weniger abhängig: Die Ausfuhren gen Moskau machen im Reich der Mitte, auch wenn sie steigen, insgesamt nur zwei Prozent der Gesamtexporte aus.
So brutal Putin auch militärisch aufzutrumpfen vermag: Zieht man die fossilen Rohstoffe ab, ist sein Land ökonomisch relativ unbedeutend. „Russland nimmt weltwirtschaftlich nur eine Nebenrolle ein“, schreibt der US-Ökonom Stephen Roach in einem Gastbeitrag für die WirtschaftsWoche. Das chinesische Bruttoinlandsprodukt (BIP) liege gut sechsmal höher als die russische Wirtschaftsleistung. Geostratege Xi finde jedoch „in Putin einen Partner, der das westliche Bündnis destabilisieren und Amerikas strategischen Fokus von China ablenken kann“.
Die ökonomische Schere jedenfalls dürfte künftig noch weiter auseinander gehen. Experten halten es für unwahrscheinlich, dass Russland den wirtschaftlichen Abstand zu China verringern kann. „Die Transformation der russischen Wirtschaft ist komplett gescheitert“, sagt Richard Grieveson, Vizechef des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche. Seit 2014 tue „sich in Russland strukturell gar nichts mehr“.