Monday, February 28, 2022

Ukraine-Krieg: Russische Nachrichtenagentur bejubelt mit Kommentar irrtümlich Sieg

Ukraine-Krieg: Russische Nachrichtenagentur bejubelt mit Kommentar irrtümlich Sieg DER SPIEGEL Marc Röhlig - Vor 2 Std. Folgen | Der Kreml war wohl von einem raschen Sieg in der Ukraine ausgegangen. Zumindest war schon ein Jubelkommentar vorbereitet. Die staatliche Nachrichtenagentur hat ihn versehentlich geteilt – und nicht schnell genug gelöscht. Fünf Tage nach dem völkerrechtswidrigen Angriff auf die Ukraine kommt die russische Armee ins Stocken, die Berichte über getötete Soldaten mehren sich. Nun mehren sich auch die Anzeichen, dass der Kreml vor Kriegsbeginn von einer ganz anderen Realität ausging. Und diese auch bereits hatte aufschreiben lassen. So hatte die staatliche Nachrichtenagentur Ria versehentlich einen vorbereiteten Kommentar veröffentlicht, in dem der Autor den Sieg Russlands über die Ukraine feierte. Im Text wird Kremlchef Wladimir Putin für seinen Sieg und sein Ringen mit dem Westen bejubelt. Über den Dienst Webarchive ist eine Version der geplanten Falschmeldung jedoch noch lesbar. Der Kommentar war bereits am Samstagmorgen irrtümlich gesendet worden, bevor er rasch wieder gelöscht wurde. Es war die Nacht nach dem ersten gescheiterten Großangriff auf Kiew. Die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« hatte zuerst über den vorbereiteten Jubeltext berichtet. Unter der Überschrift »Russlands Angriff und die neue Welt« feiert Ria-Kolumnist Pjotr Akopow, dass »Russlands Militäroperation in der Ukraine eine neue Ära eröffnet hat«. Es wird von einem raschen Sieg geschrieben. Die Geschwindigkeit hätte die Russinnen und Russen zu Beginn des vergangenen Wochenendes selbst positiv überrascht – waren sie doch zuvor auf eine begrenzte »Operation« im Donbass vorbereitet worden. Die Wirklichkeit sieht anders aus: Die Offensive gerät ins Stocken. »Die russischen Besatzer haben das Tempo der Offensive verringert, versuchen aber immer noch, in einigen Gebieten Erfolge zu erzielen«, teilte der Generalstab der ukrainischen Streitkräfte am Morgen mit. Am Sonntag musste das russische Verteidigungsministerium erstmals zugeben, Verluste erlitten zu haben. »Leider gibt es getötete und verwundete Kameraden«, hieß es. Putin habe »historische Verantwortung« übernommen Der euphorische Kommentar ist ganz im Duktus Putins verfasst, der seit Wochen historische Falschbehauptungen verbreitete, um seinen Angriff auf die Ukraine zu legitimieren. Vor einer Woche hatte Putin in einer fast einstündigen Rede behauptet, dass es die Ukraine als souveränen Staat gar nicht gebe. Um die bizarre These zu untermauern, spannte er den Bogen vom Mittelalter über die Anfänge der Sowjetunion bis in die Gegenwart. »Russland stellt seine Einheit wieder her«, behauptete entsprechend auch der Kommentar. Die »Tragödie des Jahres 1991«, des Auseinanderfallens der Sowjetunion, sei »überwunden«. Ja, das sei über das tragische Ereignis eines faktischen Bürgerkriegs geschehen – »aber die Ukraine als Anti-Russland wird es nicht mehr geben«. Putin habe »historische Verantwortung« übernommen, indem er entschied, »die Lösung der ukrainischen Frage nicht künftigen Generationen zu überlassen«. Das sei nötig gewesen, damit aus der Ukraine kein »Vorposten des Westens« werde. Auch die Kriegstreiberei aus dem Kreml wird wohlwollend aufgegriffen. So habe es laut Kommentar keinen anderen Zeitpunkt mehr für einen Angriff gegeben. Denn: Die Ukraine »zurück zu Russland zu bringen« wäre »mit jedem Jahrzehnt schwieriger« geworden, aufgrund einer »Umkodierung« und »Entrussifizierung« der Ukrainer. Die Ukraine sei so auch immer mehr gen Westen gerückt. Zum Glück, heißt es im falschen Siegeskommentar weiter, »gibt es dieses Problem nicht – die Ukraine ist zu Russland zurückgekehrt«. Wie die Welt auf den angeblichen Sieg Russlands blickt, hatte sich der Kommentator ebenfalls bereits ausgemalt: Der Westen werde empört sein, aber »in der Tiefe der Seele anerkennen müssen, dass es anders nicht sein konnte«. Habe man in Paris und Berlin wirklich geglaubt, dass Moskau auf Kiew verzichten werde? Hätten die Russen »auf immer ein getrenntes Volk« bleiben sollen, obwohl sie doch den Deutschen aus »gutem (wenn auch nicht sehr klugen) Willen« die Wiedervereinigung ermöglicht hätten? Mit Blick auf mögliche Sanktionen heißt es im Kommentar, Druck werde nichts ausrichten, »Russland ist moralisch und geopolitisch dazu bereit«. Am Ende bejubelt der Kommentar gar eine angebliche Zeitenwende. Man könne nun die Ära westlicher globaler Herrschaft vollkommen und endgültig für beendet halten. Jetzt würden »alle Zivilisationen und Kraftzentren« eine neue Welt bauen. Bebildert war der Kommentar über den nicht errungenen Sieg mit einer Luftansicht des Maidan im Zentrum von Kiew. Das ist allerdings weiterhin unter ukrainischer Kontrolle.