Wednesday, January 26, 2022

Die zwei Seiten des Skandals

Die zwei Seiten des Skandals RP ONLINE - Gestern um 18:13 Öffentliche Empörung ist der Gradmesser für das Wertesystem einer Gesellschaft. Nicht einmal im Dschungelcamp ist Rassismus geduldet. Oft genug aber wird mit Skandälchen bloß Kasse gemacht. Musste das Dschungelcamp wegen rassistischer Äußerungen vorzeitig verlassen:Janina Youssefian. „Ganz ruhig bleiben, sonst musst du wieder in den Busch“, sagt Showmaster Frank Elstner zu Roberto Blanco, der das mit einem Lachen quittiert, welches aber völlig untergeht in der lautstarken Reaktion des Studiopublikums. Protest gegen die rassistische Herabwürdigung des beliebten Entertainers? Mitnichten. Die Zuschauer sind hochgradig amüsiert. Wir befinden uns bei den „Montagsmalern“ in den späten 70er Jahren, einer Zeit, in der öffentliche Witze über Schwarze außer Heiterkeit kaum Folgen haben. Allein Elstner ist dann doch ehrlich zerknirscht, entschuldigt sich im Anschluss an die Sendung, nennt die Entgleisung auch später noch einen Tiefpunkt. Ganz anders das „Dschungelcamp“ anno 2022, gegen das sich die „Montagsmaler“ zugegebenermaßen wie ein Kindergeburtstag ausnehmen: Weil sie Mitcamperin Linda Nobat rassistisch beleidigt („Geh doch in Busch wieder zurück, wo du hingehörst“), fliegt Janina Youssefian umgehend aus dem Trash-Format. Für diese entschiedene Art der Mülltrennung bekommt RTL allenthalben Applaus. Man dulde ein derartiges Verhalten nicht, heißt es denn auch beim Kölner Sender, und verurteile „jegliche Form von Rassismus sowie Diskriminierung auf das Schärfste“. Zwei Beispiele, aber nur ein Skandal. Über den Fallstrick, auf den das griechische Wort „skandalon“ verweist, ist nun Janina Youssefian gestolpert, ein aufschlussreicher Vorgang, denn zum Wesen des Skandals gehört, dass er Anstoß für ein Ärgernis gibt und allgemeine Empörung auslöst. Damit hat der Skandal eine wichtige gesellschaftliche Funktion: Er ist der Gradmesser, welche Normen, Wertvorstellungen und Konventionen grundsätzlich akzeptiert sind und wo es anfängt wehzutun, wenn sie verletzt werden. Es sind die sprichwörtlichen roten Linien, die der Skandal sichtbar macht. Diese können sich ändern, wie beide Fälle lehren. Aktuell wird deutlich: Rassismus etwa ist gesellschaftlich von einer breiten Masse nicht akzeptiert und die Sensibilität gewachsen, mit der Menschen Alltagsrassismus registrieren. Das ist ein gutes Zeichen und keineswegs das einzige Exempel. 2008 wurde DJ Tomekk des Dschungelcamps verwiesen, weil sich herausstellte, dass er kurz vor seinem Eintreffen mit Hitlergruß auf einem Video festgehalten worden war. Bereits vor einem Jahr kündigte RTL an, Michael Wendler aus den bereits fertig produzierten Folgen von „Deutschland sucht den Superstar“ herauszuschneiden. Der Sänger hatte die Corona-Schutzmaßnahmen via Messenger-Dienst Telegram mit den Worten kritisiert. „KZ Deutschland??? Es ist einfach nur noch dreist, was sich diese Regierung erlaubt! Das Einsperren von freien und unschuldigen Menschen ist gegen jegliche Menschenwürde!!!“ Es nutze nichts, dass Wendler seine Äußerungen damit zu relativieren suchte, mit KZ habe er „Krisenzentrum“ gemeint. Auch Pro Sieben zog schon 2008 die Reißleine und kündigte der Moderatorin Juliane Ziegler, die in der Quizshow „Nightloft“ einen Zuschauer folgendermaßen angesprochen hatte: „Na komm, arbeiten, Arbeit macht frei!“. Anschließend brach sie in schallendes Gelächter aus. Der Spruch, mit dem die Nazis ihre Opfer verhöhnten, stand über den Eingängen von Konzentrationslagern. Auf der anderen Seite können Skandale bewusst provoziert werden, um einen Sachverhalt oder sich selbst nachhaltig ins öffentliche Bewusstsein zu pflanzen, und auch dazu hat das Fernsehen in seiner Geschichte reichlich Gelegenheit geboten. Etwa am Abend des 3. Dezember 1971, es läuft die WDR-Talkshow „Ende offen“. Thema: Wie kommerziell darf alternative deutsche Popmusik sein? Die Diskussionsrunde ist nach zwei Stunden sichtlich ermattet, da zieht Nikel Pallat, Manager der Rockband Ton Steine Scherben, vor laufender Kamera ein Beil aus der Jacke und fängt an, den Tisch zu zertrümmern. Oder Klaus Kinski. Der als Enfant terrible seiner Zunft verschriene Schauspieler war immer wieder Gast in diversen Talkrunden, wo er alsbald anfing, seine Gesprächspartner anzupöbeln und die Zuschauer zu beleidigen. Man wartete förmlich auf den Moment, in dem seine Betriebstemperatur bedenkliche Höhen erreichte, und man ahnte, für welchem einzigen Zweck dieser Mann mal wieder eingeladen worden war. Skandale sind Momentaufnahmen. Beinahe amüsiert betrachtet man heute das, was vor 30 Jahren noch als Tabubruch angesehen wurde, etwa „Tutti Frutti“, eine Show mit leicht bekleideten Damen, von der RTL 150 Folgen produzierte und die trotz drastischer Zuschauerproteste („Meinem Alten“, so eine Hausfrau, „fallen gleich die Augen raus“) ein Millionenpublikum erreichte. Den letzten handfesten TV-Skandal hat wohl der deutsche Satiriker Jan Böhmermann mit seinem Schmähgedicht auf den türkischen Präsidenten Erdogan ausgelöst, das am 31. März 2016 in der Sendereihe „Magazin Royale“ auf ZDFneo vorgetragen wurde und trotz seiner Kürze ein Fülle von Beleidigungen enthält. Erdogan ging gerichtlich gegen Böhmermann vor, die Staatsanwaltschaft indes stellte Ermittlungen gegen den Entertainer ein. Ansonsten sind Skandale im Fernsehen heute eher die Ausnahme. Die Grenzen des guten Geschmacks, des Benehmens und gegenseitigen Respekts werden vor allem in den Feucht- und Seichtgebieten der Privaten derart gewohnheitsmäßig überschritten, dass sich die Erregung des Publikums in Grenzen hält. Die Verrohung, zu der die sozialen Netzwerke beitragen, macht die Sache nicht besser. Das ist gefährlich, denn es bleibt dabei, dass Menschen, die man besser vor sich selber schützen sollte, in Reality-Soaps gnadenlos dem Voyeurismus der Betrachter ausgeliefert sind. Vielleicht fängt auch das irgendwann mal an wehzutun.