Saturday, January 22, 2022
Chardonnay und Tafelspitz: Das Jolesch in Kreuzberg ist einen Besuch wert
Berliner Zeitung
Chardonnay und Tafelspitz: Das Jolesch in Kreuzberg ist einen Besuch wert
Maximilian Both - Gestern um 18:35
Das Lokal liegt unweit der Martkhalle Neun. Als die dort verbliebene Aldi-Filiale schließen sollte, gab es Protest nicht nur bei den alteingesessenen Einwohnern. Für sie sei bald kein Platz mehr in der Stadt, lautete die Befürchtung. Ohne Zweifel: Die Konsumgewohnheiten in diesem Teil von Kreuzberg haben sich rasant geändert. Mit der Bereitschaft, viel Geld für ein Abendessen auszugeben, sind auch die Ansprüche gestiegen. Kann da das Jolesch noch mithalten? Um es gleich vorwegzunehmen: Es kann. Wir besuchen das Lokal an einem Wochentag. Trotzdem ist das Restaurant gut besucht. Der große Gastrokritiker Heinz Horrmann schrieb über den Gastraum des Jolesch, er erinnere ihn an einen Bahnhofswartesaal.
Diesen Eindruck teilen wir nicht. Auch wer selten mit der Bahn fährt, wird entscheidenden Unterschiede schnell feststellen können. Es ist schon gemütlich im Jolesch. Trotzdem gibt es auch Wehrmutstropfen: Das Bier vom Fass stammt von einer großen dänischen Brauerei. Pädagogisch wertvolles Holzspielzeug und Mid-Century Möbel können die Dänen, dass mit dem Bierbrauen sollten sie aber besser lassen. Zum Trost gibt es immerhin österreichisches Bier aus der Flasche. Im Grunde sollte sich der Gast auch besser gleich auf die Weinkarte konzentrieren. Durch das dem Restaurant angeschlossene Weingeschäft gibt es stets eine respektable Auswahl an guten und erschwinglichen Weinen. Unser Abend beginnt mit einem Chardonnay des Weingutes Velich. Der Wein ist strohgelb, hat einen feinen Schmelz und ist ganz leicht salzig. Ein guter Start. Und was gibt es zu essen?
Wir bestellen Tafelspitz, der im Jolesch in zwei Gängen serviert wird: Im ersten Gang gibt es eine Frittatensuppe (die österreichische Version der Flädlessuppe), die mit der Brühe des Tafelspitzes aufgegossen wird. Im zweiten Gang wird der Tafelspitz zusammen mit cremigem Spinat und Bratkartoffeln serviert. Beide Gänge sind gelungen. Leider meint es der Kellner jedoch im zweiten Gang etwas zu gut mit uns und übergießt beim Servieren auch im zweiten Gang den Tafelspitz mit der Brühe, so dass sich auf dem Teller ein kleiner Saucenspiegel bildet – die eigentlich knusprigen Bratkartoffeln saugen sich so mit der Brühe voll, wenn man sie zusammen mit dem Tafelspitz auf die Gabel hebt. Trotzdem kann das Gericht überzeugen.
Das gleiche gilt für den Nachtisch. Der Kaiserschmarrn mit Zwetschgen ist grundsolide. Das Publikum an diesem Abend ist im besten Sinne divers, sowohl jüngere als auch ältere Menschen scheinen sich hier wohlzufühlen. Schön! Momentan hat das Restaurant aufgrund der unseligen Corona-Situation nur am Wochenende geöffnet. Am besten Sie reservieren vorher, während der Ladenöffnungszeit können Sie sich auch vorsorglich mit feinen österreichischen Weinen eindecken. Man weiß ja nie was kommt.
Bewertung: 4 von 5
Restaurant Jolesch, Muskauer Str. 1, 10997 Berlin, Freitag bis Samstag 17 bis 23.30 Uhr, Sonntags 12 bis 23 Uhr.