Wednesday, January 26, 2022
Boris Johnson: Was ihr wollt
ZEIT ONLINE
Boris Johnson: Was ihr wollt
Nils Markwardt - Vor 56 Min.
Der britische Premierminister gibt sich gern selbstironisch. Nun verrät er abermals seine Skrupellosigkeit. Diese Form des Populismus wird sich durchsetzen.
Womöglich läuft gerade der last dance des Boris Johnson. Konnte man schon nach den Enthüllungen der vergangenen Wochen den Eindruck gewinnen, der britische Premierminister sei in der Pandemie auf mehr illegalen Partys gewesen als Al Capone während der Prohibition, gelangte jüngst ein weiterer Fall von Johnsons Lockdown-Laissez-faire an die Öffentlichkeit. Anlässlich seines Geburtstages habe er sich am 19. Juni 2020 von rund 30 Leuten im Cabinet Room der Downing Street hochleben lassen. Auch wenn ihn ein Parteifreund noch mit einer geradezu shakespearesken Volte zu retten versuchte, wonach man Johnson mittels eines Geburtstagskuchens in einen "Hinterhalt lockte", der Premierminister also gewissermaßen tragisches Opfer eines Macbeth'schen Mürbeteigs wurde, könnte es für BoJo der eine Fehltritt zu viel gewesen sein. Darüber wird nicht zuletzt der in Großbritannien gerade mit Spannung erwartete Bericht Sue Grays entscheiden, in dem die Spitzenbeamtin darlegt, inwiefern der britische Regierungssitz zuletzt zur pandemischen Partymeile avancierte.
Doch selbst wenn Johnsons Tage als Premierminister gezählt sein sollten, müsste das nicht das Ende seiner politischen Karriere bedeuten. Verkörpert er doch eine spezifische Form des politischen Populismus, der sehr genau ins Zeitalter gesellschaftlicher Polarisierung zu passen scheint. Nun stimmt, was der britische Journalist Simon Kuper jüngst in seiner Kolumne in der Financial Times schrieb: Während die Diagnose von einer gesellschaftlichen Spaltung auf die USA tatsächlich zutrifft, lässt sie sich nicht so einfach auf (West-)Europa übertragen. Zum einen sind auf dem Alten Kontinent die Regierungs- und Parteiensysteme in der Regel viel stärker auf Kompromiss und Vermittlung ausgelegt, und zum anderen gibt es in den meisten Ländern auch einen starken öffentlichen Rundfunk, der zumindest im Grundsatz für eine gemeinsame Medienrealität sorgt.
Wurde Boris Johnson schon oft als europäischer Trump apostrophiert, scheint das insofern richtig, als dass er die Methode des ehemaligen US-Präsidenten auf die hiesigen Verhältnisse angepasst hat: Der britische Noch-Premierminister besitzt ein ähnlich virtuoses Verhältnis zur Wahrheit und verfügt über eine vergleichbare Skrupellosigkeit beim Ein- und Aufpeitschen der eigenen Klientel. Doch im Gegensatz zu Trump, der sich mit seinen neomonarchischen Auftritten immer nach oben inszenierte, zielte Johnsons Selbstdarstellung stets nach unten. Das ästhetisch gut kalkulierte Chaos, das ihn dank Wuschelfrisur, schief sitzender Kleidung und kumpelhaftem Charisma umgibt, lässt viele vergessen, dass der einstige Eton-Schüler und Oxford-Student tief in jenem Teil der britischen Upperclass verwurzelt ist, in denen andere soziale Schichten vornehmlich als Servicepersonal vorkommen.
Habituelle Verhuschtheit
Doch gerade weil die europäischen Gesellschaften politisch eben noch nicht so stark polarisiert sind wie die amerikanische, offenbart sich in Boris Johnson jenes populistische Prinzip, dem in Europa womöglich die Zukunft gehört: einerseits eine gehörige Portion trumpistischer Gewissenlosigkeit, um die eigenen Leute mit ausreichend Stolz und Vorurteil in Stellung zu bringen, andererseits ein gut inszeniertes Maß plumper Vertraulichkeit und Selbstironie, was im postpolitischen Teil der bürgerlichen Mitte so viel Sympathien (und Stimmen) generiert, dass es für einen Wahlsieg reicht. Diesen paradox erscheinenden Mix aus rechtsdrehendem Scharfmacher und Partyclown, den in Europa einst Jörg Haider zu kultivieren begann, wird es zumindest so lange brauchen, bis die Polarisierung weit genug getrieben ist, dass ein selbstironisches Zwinkern überflüssig wird. Eben daran hat Johnson zuletzt schon kräftig gearbeitet, indem er seine Pläne verkündete, das bisherige Finanzierungsmodell der BBC zu zerschlagen.
Ganz gleich also, ob Johnson auch diesen Skandal übersteht oder nun bald gehen muss: Es wäre verwunderlich, würde er der politischen Arena nicht in irgendeiner Form erhalten bleiben. Zumal ihm nach ein paar selbstironischen Witzchen über die Kuchen-Nummer vermutlich viele schon verzeihen würden. Vor allem steht aber zu befürchten, dass das von Boris Johnson verkörperte Prinzip, diese Mischung aus aggressiver Agenda und habitueller Verhuschtheit, populistische Schule machen wird. The Party ain't over yet.