Friday, January 24, 2025

Kommentar zum Fall Gelbhaar: Grünes Weltgericht

Frankfurter Allgemeine Zeitung Kommentar zum Fall Gelbhaar: Grünes Weltgericht Reinhard Müller • 16 Std. • 1 Minuten Lesezeit Das Jüngste Gericht hat gesprochen: In einer feministischen Partei müsse den „Betroffenen“ geglaubt werden. Auf Deutsch: den Frauen, die einem Mann einen sexuellen Übergriff vorwerfen. Es stimmt schon, die Unschuldsvermutung gilt im Strafverfahren, und die Grünen sind kein Gericht. Sie sind offenbar mehr als das. Eine falsche Verdächtigung ist eine Straftat. Natürlich ist eine Partei, ein Sender oder ein sonstiges Unternehmen frei darin, Positionen zu vergeben – und dabei das Vorleben von Bewerbern und öffentliche Proteste in die Entscheidung einzubeziehen. Auch das Verhalten der Parteiführung ist beschämend Eine falsche Beschuldigung jedoch kann, gerade auf diesem Feld, den sozialen Tod bedeuten – unabhängig von einem gerichtlichen Verfahren, ja sogar im Falle eines Freispruchs. Jeder in Verantwortung, erst recht jede Regierungspartei samt Anhang, muss deshalb mit Verdächtigungen umsichtig umgehen. „Betroffen“ ist ja keineswegs nur, wer einen Vorwurf erhebt. Die pubertierende Grüne Jugend fällt freilich nicht weit vom Stamm. Das Verhalten auch der Parteiführung im Fall Gelbhaar ist beschämend. Niemand kann sich zu Umständen äußern, die er nicht kennt. Aber gerade von einer Partei, die sich so stark gegen Machtmissbrauch stellt, muss ein grundsätzliches Wort zu den Regeln menschlichen Zusammenlebens erwartet werden. Oder stellen die Grünen tatsächlich die Gleichberechtigung von Mann und Frau infrage?