Friday, June 14, 2024

„Wir haben das Greenwashing hinter uns, das werden wir jetzt beenden“

WELT „Wir haben das Greenwashing hinter uns, das werden wir jetzt beenden“ Philipp Vetter • 5 Std. • 5 Minuten Lesezeit Der Bundestag debattiert über den mutmaßlichen Betrugsskandal mit gefälschten Klimaschutzprojekten im Ausland. Während SPD und Grüne versuchen, die politische Dimension kleinzureden, nimmt die Union eine Ministerin besonders scharf ins Visier. Auch aus der Ampel gibt es kritische Stimmen. In einer aktuellen Stunde im Bundestag wurde Ministerin Steffi Lemke scharf kritisiert Es ist der letzte Tagesordnungspunkt der Sitzungswoche des Deutschen Bundestages, doch das Thema könnte kaum schwerwiegender sein: In einer Aktuellen Stunde beschäftigt sich das Parlament am Freitagnachmittag vor fast leeren Reihen mit dem mutmaßlichen systematischen Betrug mit Klimaschutzprojekten in China. Doch einige der wenigen verbliebenen Abgeordneten sind mit dem Kopf offensichtlich schon im Feierabend: „Ich wünsche uns allen eine schöne EM“, verabschiedet sich Sebastian Roloff (SPD) nach einer Rede, in der versucht, die politische Dimension des mutmaßlichen CO₂-Betrugsskandals kleinzureden. Auch sein Fraktionskollege Mathias Stein wünscht sich schon mal „viele Tore unserer Nationalmannschaft“. Dabei gäbe es, statt über Fußball zu reden, einiges aufzuklären: Wie vor wenigen Tagen bekannt wurde, haben die deutschen Autofahrer wohl Hunderte Millionen Euro durch Abgaben beim Tanken bezahlt, die in angebliche Klimaschutzprojekte in China fließen sollten, die es nie gab. Eigentlich sollten Mineralölkonzerne ihre Treibhausgasquote reduzieren können, indem sie in Projekte im Ausland investieren, die in ihrer Lieferkette CO₂ reduzieren. Das System heißt „Upstream Emissions Reduction“ – kurz: UER. Bedeutet der Rechtsruck und die Wahlschlappe der Grünen das Ende des Green Deal? Diese angeblichen Klimaschutzprojekte im Ausland wurden von deutschen Firmen verifiziert und zertifiziert – doch inzwischen gelten mehr als die Hälfte der 75 genehmigten Projekte als mindestens fragwürdig. Die ersten Hinweise auf den möglichen Betrug bekam das für die Kontrolle zuständige Umweltbundesamt (UBA) schon im August vergangenen Jahres. Das hat das Umweltministerium von Steffi Lemke (Grüne), dem das UBA unterstellt ist, inzwischen zugegeben. Doch dann passierte monatelang fast nichts. Erst im Februar wurde eine Änderung der entsprechenden Verordnung auf den Weg gebracht, mit der das UER-System vorzeitig zum Jahresende abgeschafft wird, eigentlich sollte es noch bis Ende 2026 laufen. Verabschiedet wurde die Änderung und Abschaffung aber erst im Mai als erste Medien zu den Betrugsvorwürfen recherchierten. Auch die Staatsanwaltschaft Berlin wurde erst vor wenigen Tagen durch das UBA eingeschaltet. Christian Hirte (CDU) nennt das Verhalten des Ministeriums und des UBA den „zweiten Skandal“ neben dem eigentlichen Betrug. Es sei „nicht hinreichend gehandelt“ worden. „Man hätte beim Googeln der Geodaten schon merken können, dass es dort nur Wüste gibt oder einen Hühnerstall“, sagt der Abgeordnete. Klimaschutzprojekt in China war ein Hühnerstall Tatsächlich hatten ZDF-Recherchen gezeigt, dass bei einem angeblichen Klimaschutzprojekt in China tatsächlich ein Hühnerstall stand. Hirte fordert, dass die Umweltministerin endlich erklärt, wann sie persönlich von dem mutmaßlichen Massenbetrug erfahren hat. Das Ministerium hatte WELT AM SONNTAG auf Anfrage erklärt, dass man vom UBA erst am 11. Oktober 2023 informiert wurde – Monate nach den ersten Hinweisen im August. Doch auch dann dauerte es noch weitere Monate bis der vorzeitige Stopp und eine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft auf den Weg gebracht wurden. Behörde und Ministerium seien erst durch die Medienberichte tätig geworden, kritisiert Hirte. Die umweltpolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Anja Weisgerber (CSU), nahm erneut Ministerin Lemke persönlich ins Visier: Sie müsse endlich die Vorgänge aufklären und dürfe sich nicht länger hinter dem UBA verstecken. Der Begriff UER stehe nicht mehr für Klimaschutzprojekte, sondern für „unfassbar, einfältig und ratlos“, so sei die Ministerin mit dem Skandal umgegangen. „Es ist unfassbar, wie lange es gedauert hat, dass das UBA tätig wurde“, sagte Weisgerber. Erst nach acht Monaten seien wahrnehmbare Konsequenzen gezogen worden. Stattdessen hätte das Umweltbundesamt frühzeitig Personal umschichten und die Kontrollen intensivieren müssen. „Frau Lemke, Herr Messner, es drängt sich der Eindruck auf: Sie haben Ihren Laden nicht im Griff“, sagte sie an die Ministerin und den UBA-Präsidenten Dirk Messner gerichtet. Ihr Fraktionskollege Christoph Ploß (CDU) warf der Ampelkoalition vor, mit ihrer Politik die Unterstützung der Menschen für Klimaschutz zu gefährden. „Sie verschleudern deutsche Steuergelder für Radwege in Peru, statt sie hier in Wasserstoffinfrastruktur zu investieren“, sagte er. „Wenn man etwas dafür tun will, dass Leute keine Lust mehr auf Klimaschutz haben, dann muss man so Politik machen.“ SPD und Grüne versuchen den Betrug herunterzuspielen Auch aus der Regierungskoalition gab es kritische Stimmen. „Millionen Euro haben sich in Luft aufgelöst, das ist ein Skandal“, sagte Till Mansmann von der FDP. Man müsse sich nun grundsätzlich überlegen, wie sich Schwächen des Zertifizierungssystems ausbessern lassen. Sonst seien nämlich nicht nur Klimaschutzprojekte im Ausland nicht möglich, auch die Wasserstoffwirtschaft gerate dann in Gefahr. „Bei Wasserstoff können wir durch chemische Analysen nicht feststellen, woher er gekommen ist“, sagte er. Wenn man sicherstellen will, dass er tatsächlich klimafreundlich gewonnen wurde, müsse man sich in Zukunft auf vergleichbare Zertifikate verlassen können. „Der Steuerzahler muss sicher sein, dass mit seinem Geld das Klima geschützt wird“, forderte auch der Liberale. SPD und Grüne versuchten den mutmaßlichen Millionen-Betrug herunterzuspielen und die Verantwortung der Vorgängerregierung zuzuschieben. Die habe das System 2018 schließlich eingeführt – allerdings unter der sozialdemokratischen Ministerin Svenja Schulze. Weisgerber betonte daher, dass der Skandal nicht sei, dass das System eingeführt wurde, es handle sich vielmehr um ein „Vollzugs- und Kontrollversagen“ in den Ampel-Regierungsjahren. Tessa Ganserer (Grüne) behauptete zwar, man nehme auch in ihrer Partei die Vorwürfe sehr ernst. Der Schaden sei aber vor allem dem Klima entstanden. „Die Behauptung, es sei monatelang nichts passiert, muss man als Falschbehauptung zurückweisen“, sagte sie. Fügte aber selbst an, dass erst im Mai Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft gestellt wurde – und damit acht Monate nach den ersten Hinweisen. Bei den Regierungsparteien keine Einsicht Auch Fußballfan Roloff (SPD) behauptete, die Regierung habe sich „sofort gekümmert“. Die Verantwortung sieht er aber allein bei den Betrügern. „Kriminelle haben ausgenutzt, dass manche Projekte nicht kontrollierbar genug sind“, sagte er. Sein Fraktionskollege Stein erklärte, die gescheiterte Pkw-Maut habe einen größeren Schaden verursacht als der mutmaßliche Betrug. Auch Stefan Gelbhaar (Grüne) sagte, der Skandal habe mit deutschem Steuergeld „sehr, sehr wenig zu tun“. Tatsächlich geht es bei dem Betrug nicht um Steuermittel, sondern um Abgaben, die Autofahrer beim Tanken für die angeblichen Klimaschutzprojekte gezahlt hatten. Auch er sprach von „Wirtschaftskriminellen, denen es auf die Schliche zu kommen gilt“. Er sieht in dem Skandal und der daraus resultierenden frühzeitigen Abschaffung des Systems aber auch Positives: „Die Mineralölkonzerne müssen künftig selbst CO₂ einsparen, das ist die gute Nachricht dieses Nachmittags“, sagte er. Die Konzerne müssten sich zudem fragen lassen, „was sie wann gewusst haben“, so Gelbhaar. „Wir haben das Greenwashing hinter uns, das werden wir jetzt beenden.“