Wednesday, December 13, 2023
Sahra Wagenknechts Sonnenuntergang
DER SPIEGEL
Sahra Wagenknechts Sonnenuntergang
Artikel von Rasmus Buchsteiner •
19 Std.
Die Abgeordneten um Sahra Wagenknecht haben sich als Gruppe im Bundestag konstituiert und hielten eine erste Pressekonferenz in neuer Funktion ab. Ein Ortstermin.
Kurz nach 12:30 Uhr, Deutscher Bundestag. Im Flur des Jakob-Kaiser-Hauses hält Sahra Wagenknecht ihre erste Pressekonferenz als Gruppenvorsitzende ab, ihre Büroleiterin Caroline Heptner übernimmt die Rolle der Pressesprecherin.
Acht Kameras sind auf die beiden Frauen gerichtet, hinter denen zwei Banner stehen mit dem Logo des neuen »Bündnis Sahra Wagenknecht«, eingetaucht in die Farben Orange und Lila. Diese sollen, so wird es in Wagenknechts Umfeld erklärt, eine Art Sonnenuntergangsstimmung verbreiten. Dies sei weniger apokalyptisch gemeint, sondern »romantisch«.
Heptner und Wagenknecht treten an die Mikrofone. »Hallo, funktioniert das alles?«, fragt Heptner. Es funktioniert nicht. »Hört man nix?«
Wagenknecht dreht sich zur Seite zu ihrer Mitarbeiterin. »Ich höre auch nichts. Also ich glaube nicht, dass die funktionieren«, sagt Wagenknecht und blickt auf die zwei Mikrofone.
Kein glamouröser Auftritt
Beide wollen nun lauter sprechen. Im Flur lärmt es, im Hintergrund sind die Rollkoffer der vorbeigehenden Abgeordneten zu hören, ebenso das laute Piepen der Fahrstühle, das durch den Saal hallt. Ein paar Meter weiter stehen zwei gelbe mit Wasser gefüllte Eimer. Seit Jahren sind die Dächer der Bundestagsgebäude undicht, weswegen es an mehreren Stellen reinregnet.
Es ist kein glamouröser Auftritt, den Wagenknecht hier abhält. Vor sieben Wochen hatte sie mit neun weiteren Abgeordneten ihren Austritt aus der Linken bekannt gegeben, kürzlich wurde die Linksfraktion aufgelöst. Jetzt sind die zehn Ex-Linken nur noch einfache Abgeordnete, die sich als Gruppe formiert haben. Der Bundestag muss sie als solche noch formal anerkennen, was einem Status unter dem der Fraktion entspricht.
Bis der Bundestag über den Status entscheidet, haben sie keine eigenen Ressourcen – also weder einen eigenen Fraktionsraum noch einen Pressesprecher und offenbar nicht einmal funktionierende Mikrofone.
Die frisch gewählte Gruppenchefin erhält trotz Auftritt im Flur deutlich mehr Aufmerksamkeit, als sie am Rednerpult im Plenarsaal angesichts der zeitlichen Beschränkungen jemals bekommen wird. Und sie bedauert in einem Halbsatz, dass sie hierhin einladen musste – nicht auf die Fraktionsebene im Reichstagsgebäude.
Wagenknecht steht unter Beobachtung. Selbst die Parlamentsverwaltung hat einen Vertreter zur Pressekonferenz geschickt. Wohl, um das Bundestagspräsidium auf dem Laufenden zu halten.
Die heiklen Fragen lassen nicht lange auf sich warten. Heikel ist im Moment vor allem, wie sich die neue Partei finanzieren wird. »Unheimlich viele Kleinspenden« seien es, deutlich mehr als eine Million Euro, sagt Wagenknecht.
Die Aufregung darüber, dass das BSW sein Konto bei der Volksbank Pirna führt – einer sächsischen Bank mit vielen russlandnahen Kunden –, will Wagenknecht nicht verstehen. »Ich weiß gar nicht, bei welchen Banken SPD, CDU und so weiter ihre Konten führen«, sagt sie. Für einen nicht gemeinnützigen Verein sei es eben gar nicht so leicht, ein Konto zu günstigen Konditionen zu bekommen.
Ein Reporter fragt Wagenknecht dann noch, warum sie sich für den Gruppenvorsitz entschieden habe und nicht für Top-Posten an der Spitze der neuen Partei, die nun planmäßig am 8. Januar endlich offiziell gegründet werden soll. Und hakt nach, ob Wagenknecht womöglich gar nicht gefragt worden sei?
Sie stutzt, versteht die Ironie in der Frage nicht. »Ich glaube, dass schon relativ klar ist, dass ich – beim Bündnis Sahra Wagenknecht – vielleicht diejenige bin, die fragt«, sagt sie.
Vielleicht? Sie sagt tatsächlich »vielleicht«. Nur um gleich hinterherzuschieben, dass über den Parteivorsitz noch nicht entschieden sei. Amira Mohamed Ali, die bisherige, von Wagenknecht selbst ins Spiel gebrachte Favoritin, soll es offenbar nicht werden. So könnte die Äußerung zu verstehen sein.
Die anderen Fraktionen im Bundestag wollen die Entscheidung, das BSW als Gruppe anzuerkennen, nicht überstürzen. Sie verweisen auf offene Fragen.
Auch in den Ampelfraktionen gibt es Zurückhaltung. Die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion sagte dem SPIEGEL, zu den Anträgen zur Gruppenbildung im Deutschen Bundestag würden zeitnah interfraktionelle Gespräche geführt, damit Anfang nächsten Jahres der Bundestag einen Beschluss hierzu fassen könne: »Zum Gruppenstatus sind viele Detailfragen zu besprechen und zu klären.«
Wagenknecht, die zuletzt im Parlament oft fehlte, hatte einen guten Vorsatz fürs neue Jahr. Schon lange hat sie nicht mehr im Plenarsaal geredet. Der Rückhalt in ihrer Fraktion habe gefehlt, blickt sie zurück: »Das wird sich jetzt selbstverständlich ändern.«