Saturday, January 4, 2025

Walzerschritt ins Chaos: In Wien platzen die Koalitionsverhandlungen, was der FPÖ den Weg ins Kanzleramt öffnet

Neue Zürcher Zeitung Walzerschritt ins Chaos: In Wien platzen die Koalitionsverhandlungen, was der FPÖ den Weg ins Kanzleramt öffnet Wolfgang Rössler, Markus Bernath • 4 Std. • 2 Minuten Lesezeit Bald am Ziel? ;Herbert Kickl, der Vorsitzende der FPÖ, hatte mit seiner Partei die Wahlen im vergangenen September gewonnen und den Anspruch angemeldet, «Volkskanzler» in Österreich zu werden. Langsam-schnell-schnell, so lautet die Schrittfolge beim Walzer. So lernt man das in den Tanzschulen in Wien, so läuft auch die schwungvolle Drehung ins Chaos ab, die Österreichs Politiker innerhalb von 36 Stunden vorgeführt haben. Freitagvormittag die erste Überraschung: Beate Meinl-Reisinger, die Chefin der jungen, liberalen Neos-Partei, verkündet den Ausstieg aus den wochenlangen Koalitionsverhandlungen mit den Konservativ-Bürgerlichen der ÖVP und den Sozialdemokraten der SPÖ. «Zuckerl-Koalition» hat man das schon genannt in froher Erwartung und mit Bezug auf die bunte Mischung der Parteifarben Türkis, Pink, Rot. Es wird nichts. Beim Erreichten fehle ihr die liberale Handschrift, erklärt Meinl-Reisinger, echte Reformen seien mit den beiden arg gerupften einstigen Grossparteien nicht möglich. Sehr gut – und was nun? Die Chefs von ÖVP und SPÖ, Kanzler Karl Nehammer und Andreas Babler, zeigen sich überrascht. Schnell verständigt man sich darauf, die Verhandlungen – sie gehen nun doch schon in den vierten Monat, die Nationalratswahlen waren Ende September 2024 – ruhig und überlegt fortzuführen. Doch die beiden Herren sind angeschlagen, keine Frage. Weil die in Teilen rechtsextreme FPÖ von Herbert Kickl aus den Wahlen zwar als stärkste Kraft hervorgegangen war, aber niemand mit ihr ein Bündnis eingehen wollte, schien die Zeit reif für ein neues Experiment: eben die «Zuckerl-Koalition». Nun würde wieder alles auf die sattsam bekannte grosse Koalition zwischen Bürgerlichen und Sozialdemokraten hinauslaufen, die aber längst nicht mehr gross ist, sondern nur eine Stimme mehr hätte im Parlament. Und erhebliche Probleme: Rezession, 18 Milliarden Euro Defizit der vergangenen konservativ-grünen Regierung, die Weigerung der Sozialdemokraten, Nullrunden bei den Pensionen und Lohneinbussen bei Lehrkräften hinzunehmen. Deshalb nächster Schritt am Samstagabend: Auch die Verhandlungen zwischen ÖVP und SPÖ platzen. Der Kanzler zieht die Reissleine. Ein bleicher SPÖ-Chef tritt vor die Kameras und verkündet: «Das ist keine gute Nachricht für unser Land.» Man schiebt sich gegenseitig die Verantwortung zu. In der ÖVP hätten sich andere Kräfte durchgesetzt, erklärt die SPÖ. Leute, die lieber ein Bündnis mit Kickl und der FPÖ ansteuern wollten. Da ist der dritte Schritt schon getan: Der Kanzler erklärt seinen Rückzug. Nehammer hatte sich immer strikt gegen eine Koalition mit den Freiheitlichen ausgesprochen. Kommt sie jetzt doch? 28,9 Prozent hatte die FPÖ bei den Nationalratswahlen erhalten. Ihr bestes Ergebnis überhaupt. Kickl meldete seinen Anspruch auf das Regierungsamt an. «Volkskanzler» wolle er werden, hatte er im Wahlkampf schon angekündigt – ein Begriff, den die Nationalsozialisten für Hitler verwendet hatten. In fünf Bundesländern regiert seine Partei bereits mit. Lässt er sich nun noch aufhalten? Die ÖVP sucht nach Rettung: Die frühere Ministerin Karoline Edtstadler wird als mögliche Parteichefin gehandelt, aber auch Sebastian Kurz, der Ex-Kanzler. Wenn die Führungsfrage bei den Konservativen geklärt ist, wird sich zeigen, ob diese als Juniorpartner Kickl zum Kanzler machen werden. Oder ob es auf Neuwahlen hinausläuft.