Wednesday, January 22, 2025

Robert F. Kennedy Jr. und die Gesundheitsbehörden: Und was, wenn die nächste Pandemie kommt?

DER SPIEGEL Robert F. Kennedy Jr. und die Gesundheitsbehörden: Und was, wenn die nächste Pandemie kommt? Claus Hecking • 15 Std. • 5 Minuten Lesezeit Der Impfgegner Robert F. Kennedy Jr. soll die US-Gesundheitsbehörden entkernen und deren Mitarbeitende gefügig machen. Es könnte eine Blaupause für den Umgang mit anderen Beamtenapparaten werden. Und fatale Folgen haben. Die Wahllokale waren noch keine 24 Stunden geschlossen, Millionen Stimmen für die US-Präsidentschaftswahl wurden noch ausgezählt, da kündigte Robert F. Kennedy Jr., Gesundheitsminister in spe, schon an, wen er alles feuern wolle. Bei der US-Lebensmittel- und Arzneimittelbehörde FDA »werden ganze Abteilungen gehen müssen«, sagte Donald Trumps Verbündeter dem Fernsehsender NBC. »Sie schützen unsere Kinder nicht. Warum haben wir in diesem Land Froot Loops, die 18 oder 19 Zutaten haben, und in Kanada sind es nur zwei oder drei?« Tatsächlich stecken in den zuckersüßen, bunt gefärbten Frühstücksringen auch in Kanada mindestens 19 Zutaten aus den Arsenalen der Lebensmittelchemie. Kennedys Fans sehen über derlei Details hinweg, sie feiern ihr Idol, weil er gegen »Big Food« und »Big Pharma« kämpfen will, gegen die Lebensmittel- und die Pharmaindustrie. »Make America Healthy Again« (»MAHA«): Trumps designierter Gesundheitsminister hat den Slogan des US-Präsidenten »Make America Great Again« für sich abgewandelt. Unter diesem Motto will der 71-jährige Neffe von John F. Kennedy das US-Gesundheitswesen entkernen, sobald ihn der republikanisch dominierte Senat als Minister bestätigt hat. »RFK Jr.« soll sich am Gesundheitswesen austoben Viele Amerikanerinnen und Amerikaner sind für derlei Botschaften empfänglich. Die durchschnittliche Lebenserwartung in den USA war 2022 mit 77,5 Jahren deutlich niedriger als in vergleichbaren hoch entwickelten Staaten wie Australien (83,3 Jahre), Kanada (81,3) oder Deutschland (80,7). Fast drei Viertel der Erwachsenen sind übergewichtig (Body-Mass-Index von 25 oder mehr) oder fettleibig. Jeder oder jede sechste über Zwölfjährige hatte 2023 laut der United States National Survey on Drug Use and Health ein Problem mit dem Missbrauch von Alkohol oder einer anderen Substanz. Das Land wird seit Jahren von einer schweren Opioidkrise gebeutelt, die Familien, Communitys, ganze Landstriche zerreißt. Vor allem bei Letzterer hatte die FDA in ihrer Schutzfunktion versagt. »I’m going to let him go wild on health«, hat Trump angekündigt – Kennedy Jr. soll sich am Gesundheitswesen austoben. Trump hasst die mächtigen US-Gesundheitsbehörden; in der Coronapandemie nannte er sie einen »medical deep state«, einen Staat im Staate. Zu den Einrichtungen zählen: die FDA (Food and Drug Administration, US-Behörde für Lebens- und Arzneimittel); die Centers for Disease Control and Prevention (CDC), die unter anderem Seuchenschutz und -bekämpfung betreiben; die Centers for Medicare & Medicaid Services (CMS), zu denen die staatlichen Krankenversicherer Medicare und Medicaid gehören; die National Institutes of Health (NIH), die für biomedizinische Forschung zuständig sind. Sie alle sind dem US-Gesundheitsministerium unterstellt. »RFK Jr.«, wie sie den designierten Minister Kennedy nennen, und seine Gefolgsleute sollen diese Schaltzentralen in Trumps Sinne umkrempeln. Ähnliches plant der Präsident offenbar unter anderem auch für die Umweltbehörde EPA, den diplomatischen Dienst, den Justiz- und Geheimdienstapparat. »Drain the Swamp«, legt den Sumpf trocken, lautet schon seit Jahren eine von Trumps Lieblingsparolen. Er hat Elon Musk beauftragt, die Bürokratie auf ein Minimum zurechtzustutzen. Und gleich am ersten Tag nach seiner erneuten Machtübernahme kündigte der 78-Jährige an, mehr als 1000 ranghohe Mitarbeitende und Berater der Biden-Regierung hinauszuwerfen. »Donald Trump ist fest davon überzeugt, dass er in vielen Fachgebieten mehr weiß als die jeweiligen Experten – auch wenn er sich in Wahrheit kaum mit diesen Themen auskennt«, charakterisiert ihn ein langjähriger Washingtoner Politinsider, der in Trumps erster Amtszeit mit ihm eng zusammengearbeitet hat, gegenüber dem SPIEGEL. »Er liebt es, Chaos zu stiften, um Institutionen zu entmachten und ihm unterzuordnen. Er glaubt, dass aus Chaos etwas Besseres entstehen kann.« Trump-Kandidaten in Schaltzentralen Kennedy Jr. sieht es wohl ähnlich. »Niemand wird uns stoppen können«, sagte er bereits vor Wochen, »wenn er (Trump) mich ermächtigt, die Bundesbehörden und besonders unsere Gesundheitsbehörden von Korruption zu säubern.« Zu diesem Zwecke kann der 71-Jährige auf die Unterstützung mehrerer Trump-Kandidaten an den Spitzen dieser Behörden bauen: Die Oberaufsicht über Medicare und Medicaid soll künftig »Dr. Oz« führen. So wird der Fernseharzt Mehmet Cengiz Oz genannt, der in seiner TV-Show unter anderem Mittel wie Lavendelseife unter dem Bettlaken (gegen das Restless-Legs-Syndrom), rote Zwiebeln, Endivien und Wolfsbarsch (gegen Eierstockkrebs) oder das Malariamedikament Hydroxychloroquin gegen das Coronavirus anpries. Neuer NIH-Chef soll Jay Bhattacharya werden. Der Gesundheitsökonom aus Stanford forderte mitten in der Coronapandemie ein Ende der Lockdowns – und attackierte verbal immer wieder den Präsidentenberater Anthony Fauci sowie die NIH. Die FDA soll der Chirurg Marty Makary leiten. Er warf der Biden-Regierung in der Pandemie die Verbreitung von Falschinformationen über Masken und Impfungen vor; tatsächlich stellten sich Makarys Vorwürfe als falsch heraus. An die CDC-Spitze soll der frühere republikanische Kongressabgeordnete Dave Weldon rücken, der einst der CDC Zuständigkeiten für Impfforschung entziehen wollte – und wiederholt erklärt hat, Impfungen könnten Autismus bei Kindern auslösen. Diese in wissenschaftlichen Studien mehrfach widerlegte Falschbehauptung verbreitete auch Kennedy Jr. Er und die von ihm mitbegründete Anti-Impf-Organisation Children’s Health Defense setzten im Frühjahr 2021 eine Petition an die FDA auf, die Notgenehmigung der Coronaimpfungen zu widerrufen. »Was passiert, wenn die nächste Pandemie kommt und solche Leute dann unser Gesundheitssystem verantworten?«, fragt der langjährige Washingtoner Insider. Gemeinsam mit Weldon könnte Kennedy Jr. dafür sorgen, dass die Impfvorschriften für Kinder an US-Schulen und Kindergärten aufgeweicht werden: etwa indem die beiden Politiker Druck auf jene CDC-Expertengruppe ausüben, welche die US-Bundesstaaten berät, welche Impfungen obligatorisch oder empfohlen sein sollen. Kennedy Jr. dementiert bislang Gerüchte, er wolle Impfungen etwa gegen Polio verbieten. Volle Kontrolle über die Behörden? Sollte es zu solchen Anordnungen kommen: Würden die Expertinnen und Experten in den Behörden es wagen, dagegen aufzubegehren? Trump versucht, den Widerstand aus den Apparaten von vornherein kleinzuhalten. Laut Berichten von »New York Times« und »Washington Post« planen er und sein stellvertretender Stabschef Stephen Miller, eine Kategorie für Bundesangestellte namens »Schedule F« zu schaffen. Deren Beschäftigte hätten dann einen viel schwächeren Kündigungsschutz. Dies könnte Ministern wie Kennedy und Behördenchefs wie Oz, Bhattacharya, Makary und Weldon laut »New York Times« ermöglichen, Tausende Bundesangestellte in die »Schedule F«-Kategorie zu versetzen, um sie besser kontrollieren und Aufsässige feuern zu können. Werden diese Pläne umgesetzt? An RFK Jr. dürfte es wohl nicht scheitern, er sieht sich auf einer Mission. Die US-Amerikaner seien »durch Big Pharma und Big Food massenvergiftet« worden, und Gesundheitsbehörden wie die Food and Drug Administration hätten mitgespielt, behauptet er schon seit Langem. Kurz vor dem Wahltag legte er dann nach: »Wenn Sie für die FDA arbeiten und Teil dieses korrupten Systems sind, habe ich zwei Botschaften für Sie: 1. Bewahren Sie Ihre Unterlagen auf und 2. packen Sie Ihre Koffer.« Noch ist es nicht so weit. Noch muss der Senat Kennedy Jr. als Minister absegnen. Die Anhörung dürfte in den kommenden Tagen stattfinden. Seine Chancen stehen gut: Die Mehrheit im Senat haben die Republikaner, und die werden sich Donald Trumps Willen kaum widersetzen.