Saturday, December 9, 2023

Warme Worte, keine Lösungen: Scholz nutzt SPD-Bundesparteitag für Schönwetter-Rede

Berliner Zeitung Warme Worte, keine Lösungen: Scholz nutzt SPD-Bundesparteitag für Schönwetter-Rede Artikel von Anne-Kattrin Palmer • 8 Std. Bundeskanzler Olaf Scholz auf dem Bundesparteitag der SPD am Sonnabend. Es ist die mit Spannung erwartete Rede beim Bundesparteitag der SPD in Berlin: Um 10 Uhr tritt Bundeskanzler Olaf Scholz am Samstag im City Cube der Messe ans Mikro und der Applaus will gar nicht enden. Seine Ehefrau Britta Ernst, bis vor Kurzem brandenburgische Ministerin für Bildung, Jugend und Sport, sitzt ernst blickend in der ersten Reihe, neben ihr weitere SPD-Spitzen wie Verteidigungsminister Boris Pistorius. Die Haushaltskrise und schlechte Umfragewerte trüben die Stimmung im City Cube der Berliner Messe, auch dass der Kanzler nicht mehr gut da steht und massiv an Popularität eingebüßt hat. Wer erwartete, dass ein erschöpfter Scholz endlich auf den Tisch haut und verkündet, dass er sich in den Sparrunden durchgesetzt hat, bekommt keine klare Antwort, wenn nur Bekenntnisse. Dafür gibt es genug Balsam für die geschundene Parteiseele. Scholz zeigt sich an jenem Vormittag aufgeschlossen: Er trägt keine Krawatte, ein offenes, weißes Hemd, dazu ein schwarzes Sakko und appelliert erst einmal an die sozialdemokratische Seele. „Ich danke euch für das Zeichen der Solidarität und die gute Zusammenarbeit“, lobt der Kanzler beinahe väterlich und erinnert an schlimme Zeiten, und daran, dass die Partei dann doch bei der letzten Bundestagswahl stärkste Kraft geworden sei. „Der Erfolg ist die Geschlossenheit der Partei“, sagt Scholz, und fügt hinzu: „Niemand hat damit gerechnet, dass wir das so lange durchhalten.“ Manche Delegierten lächeln stolz. Die nächsten 50 Minuten streift der Kanzler alle innen- und außenpolitischen Baustellen. Der Krieg in der Ukraine – er sei so schnell nicht vorbei, ist der Kanzler sicher. Doch die SPD habe auch das mit der Ampel-Regierung gemeistert, angesichts steigender Energiekosten richtig reagiert. „Wir haben das Land durch den Winter gebracht.“ Das bliebe auch unverändert eine Aufgabe, die zu bewältigen sei. „Das ist eine große Herausforderung für eine Volkswirtschaft wie unsere“, sagt Scholz. Doch man werde weiterhin solidarisch der Ukraine gegenüber sein. Wurde für zwei weitere Jahre als SPD-Generalsekretär wiedergewählt: Kevin Kühnert. Und auch zur Migration sagt er, dass Deutschland weiterhin ein Einwanderungsland bleibe. Wieder brandet Applaus auf, auch weil sich Scholz rauslaviert, nicht von rigoroser Abschiebung illegaler Einwanderer spricht. Das hatte er in einem Interview im Spiegel von wenigen Wochen angekündigt und viele in der Partei verschreckt. Auch auf dem Bundesparteitag werben die Delegierten unentwegt darum, den harten Tonfall, was Geflüchtete angeht, abzumildern. Deutlich wird Scholz dann aber doch: Der wachsende Antisemitismus im Land sei nicht zu dulden und zu tolerieren. Es sei strafbar, antisemitische Parolen auf den Straßen zu rufen oder Israel-Flaggen zu verbrennen. Wieder brandet Applaus auf. Balsam für die sozialdemokratische Seele ist dann auch die Absage des Kanzlers, an das Bürgergeld ran zu gehen. Die Union wollte die Erhöhung um 61 Euro von 502 auf 563 Euro zum ersten Januar stoppen, auch die FDP stellte dies in Frage. Scholz verurteilt in der Messe die Debatte, „der Sozialstaat sei zu üppig“. Einen Abbau des Sozialstaats werde es nicht geben, verspricht der Kanzler. Daran werde die SPD nicht rütteln. Auch der von den Genossen angehobene Mindestlohn bleibe. „Wir geben nicht auf, wir kümmern uns um diejenigen, die wenig Geld haben“, verspricht Scholz. Doch man müsse angesichts der globalen Entwicklungen auch reagieren, so der Kanzler, der erneut auf eine Energiewende mit Tempo pocht und glückliche Gesichter in der Messe erntet. Auch als er ruft: „Wir haben Wachstumspotenziale in Deutschland, wir müssen sie entfesseln.“ Die Delegierten sind ebenfalls zufrieden, sagen nach der Rede, ihr Kanzler habe sich sehr gut geschlagen. Viele hatten befürchtet, dass Scholz eine müde, erschöpfte Verteidigungsrede halten könnte – so wie bei seiner jüngsten Regierungserklärung im Bundestag, die nachher vor allem von der Opposition zerfetzt worden war, weil der Kanzler viel, aber nichts sagte. Doch auch dieses Mal gibt es die wirklich konkreten Angaben nicht, wie denn nun gespart werden soll, in welchen Bereichen die Regierung das 17-Milliarden-Loch stopfen möchte. Doch immerhin gibt der Kanzler seinen Genossen das mit auf den Weg: ein Klares Bekenntnis zum Sozialstaat, Mindestlohn und Bürgergeld. Die demonstrative Geschlossenheit auf dem Bundesparteitag wirkt mitunter aber auch wie eine Regieanweisung. Denn Fakt ist: Nach der Klatsche des Bundesverfassungsgerichts wegen der Haushaltsführung der Bundesregierung ist der Kanzler angeschlagen. In einer aktuellen YouGov-Umfrage attestieren ihm 74 Prozent, sehr schlechte oder eher schlechte Arbeit zu leisten. Nur 20 Prozent finden dagegen überwiegend gut, was er macht. Das ist der schlechteste Wert in der monatlich erhobenen Umfrage seit seinem Amtsantritt vor zwei Jahren. Auch in dem am Donnerstag veröffentlichte ARD-„Deutschlandtrend“ hatte sich nur noch jeder Fünfte mit der Arbeit des Regierungschefs zufrieden gezeigt. Nach Angaben des Senders war das der schlechteste Wert für einen Bundeskanzler oder eine -Kanzlerin seit Beginn der Erhebung im Jahr 1997. Und auch für die Partei sieht es nicht gut aus: Die SPD war bei der Bundestagswahl 2021 mit 25,7 Prozent zur stärksten Partei geworden. Derzeit liegt sie in den Umfragen nur noch zwischen 14 und 17 Prozent. Die gefühlte wankelmütige Haltung von Scholz, dieses nicht eingehaltene Versprechen von Scholz, als er sagte „Wer Führung bestellt, bekommt auch Führung“ – davon wollen die Delegierten am Sonnabend allerdings nichts wissen. Sie brauchen stattdessen Streicheleinheiten. Die Delegierten umarmen sich, geben Küsschen und trotzen mit diesem Gekuschel der Wirklichkeit. Die Krisen vor der Tür sind daher beim Bundesparteitag der Genossen in der Messe Berlins kaum zu spüren. Auch bei der Wahl der Parteispitze verzichten die Delegierten darauf, das Führungstrio aus den Parteivorsitzenden Lars Klingbeil und Saskia Esken sowie Generalsekretär Kevin Kühnert abzustrafen, wie vorab im Willy-Brandt-Haus befürchtet worden war. Im Gegenteil: Esken und Kühnert verbessern ihre Ergebnisse der letzten Wahl vor zwei Jahren deutlich. Klingbeil wird für seine kämpferische Rede gefeiert, erhält starken Applaus, als er ruft: „Die Regierung muss weitergehen, es darf kein Wackeln geben.“ Saskia Esken greift die CDU scharf an. „CDU und CSU hetzen im Chor mit der AfD gegen die Ampel. Mit dieser Merz-CDU haben wir wahrhaftig die populistischste Opposition aller Zeiten“, sagte sie auf dem Bundesparteitag. Merz und seine Partei arbeiteten nicht nur gegen die Regierung, sondern auch „gegen den Zusammenhalt und gegen das Land“. Auch ein öffentlicher Zoff über die Schuldenbremse bleibt beim Parteitag aus, selbst die vorher wütenden Jusos sind milde gestimmt. Nur der Vorsitzende Philipp Türmer sagt, das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Haushaltspolitik der Ampel habe gezeigt, dass die Schuldenbremse der Handlungsfähigkeit des Staats im Wege stehe. „Nichts bedroht die Zukunft unsrer Generation mehr als diese vermaledeite Schuldenbremse, lasst sie uns endlich abschaffen“, ruft Türmer in den Saal. Die Jusos lehnen „abstrakte Kreditbegrenzungen“ grundsätzlich ab. Doch letztendlich bleibt der vom Parteivorstand vorgeschlagene Text neben der Ergänzung unverändert. „Kurzfristig werden wir die Schuldenbremse modernisieren, stärker auf Investitionen ausrichten und gerechter für künftige Generationen machen“, heißt es in dem Leitantrag der SPD-Führung mit dem Titel „Zusammen für ein starkes Deutschland“. Dieser wird dann insgesamt einstimmig angenommen. Wenn es drauf ankommt, stehe man zusammen, sagt Lars Klingbeil am Sonnabend. Zur Ampelkrise sagt der SD-Chef auf dem Bundesparteitag: Alle müssten sich zusammenreißen, es dürfe keine politischen Spiele geben. Enttäuscht sind die Delegierten allerdings schon, dass Scholz keine Lösung zur Haushaltskrise im City Cube präsentiert. Die Beratungen des Kanzlers mit Grünen-Minister Habeck und Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) waren vergangene Woche mal wieder ergebnislos vertagt worden. Vor allem Lindner blockiere seit Tagen eine Einigung, heißt es in der SPD. Er wolle die Ampel in Gefahr bringen. Das Signal ist klar: Die Liberalen sind schuld, nicht die Genossen. Am Sonntag sollen die Ampel-Sparverhandlungen im Kanzleramt weitergehen.