Wednesday, December 13, 2023

„Fauler Kompromiss“, „Wortbruch“, „Katastrophe“ – und auch Lob

WELT „Fauler Kompromiss“, „Wortbruch“, „Katastrophe“ – und auch Lob 11 Std. Eine höhere CO₂-Steuer, weniger Geld für den Klima- und Transformationsfonds, ein Jein zur Schuldenbremse: Nach wochenlangen Verhandlungen haben sich die Spitzen der Ampel-Koalition auf den Haushalt 2024 geeinigt. Teils heftige Kritik kommt von Experten und Politikern. Oppositionsführer Friedrich Merz findet deutliche Worte für die Einigung der Ampel-Regierung. Das Paket sei ein reiner „Formelkompromiss“, sagt der Unions-Fraktionsvorsitzende und CDU-Chef. Scholz versuche nach wie vor die Quadratur des Kreises, um den Bedürfnissen von SPD, Grünen und FDP gleichermaßen gerecht zu werden. „Sie wissen, dass Sie nicht einhalten können, was Sie heute hier gesagt zu haben“, richtet der Oppositionsführer an den Kanzler. Es handle sich um die „übliche Trickserei“ des Bundeskanzlers. CDU-Fraktionsvize Jens Spahn wirft der Bundesregierung vor, mit der Einigung im Haushaltsstreit die Menschen zu stark zu belasten. „Dass die Ampel den CO₂-Preis nun nochmals erhöht, ohne durch das versprochene Klimageld zu entlasten, ist ein Wortbruch“, sagt Spahn im Gespräch mit der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. „Statt wirklich zu sparen, will sich die Ampel zuallererst im Portemonnaie der Bürger bedienen. Dabei stehen die Menschen angesichts der Rekordinflation finanziell schon lange mit dem Rücken an der Wand.“ Die Verunsicherung im Land werde mit dieser Einigung „nicht kleiner“, so der Politiker. Dafür seien zu viele Fragen noch offen. Auch sei weiter unklar, wann genau der Haushalt wirklich beschlossen werde. „Eine Regierung, die für so ein Paketchen 200 Stunden lang mit sich selbst verhandeln muss, ist selbst das Problem“, heißt es. Alexander Dobrindt sieht im Kompromiss „keinen großen Wurf“. „Dieser Haushalt soll Deutschland nicht stärker machen, er soll ausschließlich die Ampel an der Macht halten, das war Ihre Motivation bei Ihrer Einigung“, sagt der Chef der CSU-Abgeordneten im Bundestag. „Sie sind nicht die Lösung des Haushaltsproblems, Sie sind das Haushaltschaos per se“, hielt er der Ampel-Koalition vor Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger sagt: „Die angekündigten Beschlüsse zum Haushalt sind ein Weiterwursteln, kein Durchbruch. Die Hauptursache des Haushaltsproblems, die Kosten der fehlgeleiteten Migrationspolitik, wird nicht beseitigt oder wenigstens glaubhaft reduziert.“ Die Bürgergelderhöhung auch für Arbeitsfähige laufe weiter, Ukrainer bekämen sofort das Bürgergeld. Andererseits werde Energie weiter verteuert. Verkehrsminister Christian Bernreiter wertet die Pläne zu höheren Preisen beim Tanken und Heizen als „Angriff auf den ländlichen Raum“. AfD-Chef Tino Chrupalla wirft der Koalition ein Komplettversagen in der Wirtschaftspolitik vor. „Wie dieses Land kaputtgewirtschaftet wird, das gab es seit dem Zweiten Weltkrieg noch nie.“ Die nun vereinbarten Etatmaßnahmen wie etwa die Erhöhung des CO₂-Preises machten Deutschland als Wirtschaftsstandort „noch unattraktiver“. Die Budgeteinigung vollziehe nicht die nötige Wende in der Haushaltspolitik: „Sie lassen sich nicht beirren, Sie machen immer so weiter.“ Wagenknecht sieht „beschämenden Kompromiss“ Sahra Wagenknecht sieht einen „beschämenden Kompromiss auf Kosten der Bürger“. „Die Einigung lautet unterm Strich: Alles wird noch teurer“, sagte sie dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Die armen Menschen würden noch ärmer. „Die Ampel lässt Otto Normalverbraucher die Haushaltslöcher stopfen und die Freiräume dafür schaffen, noch mehr Waffen an die Ukraine zu liefern“, sagt Wagenknecht. Das sei völlig inakzeptabel. Dietmar Bartsch beklagt weitere Unsicherheiten nach der Haushaltseinigung. „Nichts Genaues weiß man nicht“, moniert der Linken-Politiker in Berlin. „Das war wahrhaftig kein politischer und kommunikativer Befreiungsschlag, sondern viele halb gare Ankündigungen.“ Etwas positiver äußert sich Ifo-Präsident Clemens Fuest. „Die Haushaltseinigung ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber Fragen bleiben offen“, findet Fuest. „Es ist zu begrüßen, dass die Bundesregierung nicht den bequemen Weg der Ausrufung einer Haushaltsnotlage gewählt hat, sondern Ausgaben kürzt, vor allem Subventionen, und Umweltabgaben wie etwa den CO₂-Preis etwas stärker erhöht. Dadurch bleiben Anreize für Klimaschutz erhalten.“ Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer nennt die Einigung „gut und wichtig“. „Dies gibt Planungssicherheit auch für die Bürgerinnen und Bürger in Rheinland-Pfalz“, sagt die SPD-Politikerin. Die Signale von Bundeskanzler Scholz zu den Fluthilfen im Ahrtal für 2024 seien „ein starkes Zeichen“, so Dreyer. „Er hat deutlich gemacht, dass sich die betroffenen Bürgerinnen und Bürger auf die gemachten Zusagen der Regierung verlassen können.“ „Bürgerinnen und Bürger gehören zu den Verlierern“ „Die Einigung der Bundesregierung zum Haushalt 2024 ist ein fauler Kompromiss, mit dem die Bundesregierung die Probleme lediglich in die Zukunft verschiebt. Der Kompromiss ist unzureichend, um Deutschland zukunftsfähig zu machen. Die Einigung bedeutet, dass dem Staat dauerhaft 60 Milliarden Euro für Klimaschutz und Transformation fehlen werden“, sagt DIW-Präsident Marcel Fratzscher. Weiter: „Bürgerinnen und Bürger gehören zu den Verlierern dieser Einigung. Die Bundesregierung will 1,5 Milliarden Euro beim Bürgergeld und anderen Sozialleistungen einsparen, was vor allem die schwächsten und verletzlichen Menschen treffen wird.“ Die Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Bundestag, Katharina Dröge und Britta Haßelmann, begrüßen die Einigung, werben aber weiter für eine Reform der Schuldenbremse. Es sei „extrem wichtig für die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Deutschland, dass die zentralen Programme des Klima- und Transformationsfonds unverändert abgesichert werden konnten“. Gleichzeitig blieben Sozialleistungen im Wesentlichen unangetastet. „Mittelfristig werden aber andere Summen notwendig sein, um die Modernisierung des Landes voranzutreiben, die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu sichern und das Klima zu schützen“, erklären Dröge und Haßelmann. „Wir werben daher weiterhin für eine Reform der Schuldenbremse.“ Grüne Jugend sieht gesellschaftlichen Zusammenhalt in Gefahr Auch die Grüne Jugend äußert sich kritisch. Bundessprecherin Svenja Appuhn: „Das Ergebnis der Haushaltsverhandlungen ist eine Katastrophe. Statt die Schuldenbremse auszusetzen, um dringend notwendige Investitionen zu tätigen, setzt die Regierung mit diesem Vorschlag den gesellschaftlichen Zusammenhalt und Klimaschutz aufs Spiel. Aus einem ohnehin schon demokratiegefährdenden Kürzungshaushalt wird ein Ultra-Kürzungshaushalt.“ „Gut, dass sich die Bundesregierung auf einen Haushalt 2024 geeinigt hat“, sagt Ramona Pop vom Bundesverband der Verbraucherzentrale. „Jedoch sehen wir eine Schieflage zulasten der Verbraucher:innen.“ Nach dem Aus für die Energiepreisbremsen kämen weitere Belastungen auf sie zu. Während die Industrie weiterhin von einer Stromsteuersenkung profitieren solle, würden Verbraucher durch die steigende CO₂-Bepreisung stärker belastet werden, so die Vorständin. „Die Menschen erwarten hier zu Recht einen Ausgleich über das Klimageld.“ Scholz nennt Kritik „vertretbar“ Bundeskanzler Olaf Scholz bezeichnet die zusätzlichen Belastungen durch die Haushaltseinigung der Ampel-Regierung als vertretbar. Es gebe weder Sozialkürzungen noch Einkommensteuererhöhungen, sagt Scholz in der ARD-Sondersendung „Farbe bekennen“. Bei den Benzinpreisen gebe es durch die höhere CO2-Steuer nur „sehr geringe Belastungen“. Zudem baue die Ampel-Koalition umweltschädliche Subventionen ab. Dies sei „sehr vertretbar und sehr verantwortbar auch im Hinblick auf die Belastung für die Bürger“.