Sunday, December 10, 2023

„Das ist das Gegenteil einer Asylwende“

WELT „Das ist das Gegenteil einer Asylwende“ Artikel von Kristian Frigelj • 15 Std. Die SPD will den Familiennachzug für Migrantengruppen wie Syrer ausweiten – und löst damit einen neuen Konflikt in der Koalition aus. Die FDP widerspricht scharf und nennt den Beschluss der Kanzlerpartei „realitätsfern“. Die Union befürchtet neue Anreize für die Flucht nach Deutschland. Die migrationspolitischen Beschlüsse des SPD-Bundesparteitages in Berlin erhöhen die Spannungen im Ampel-Regierungsbündnis – und setzen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) unter Druck, der sich zuletzt für einen schärferen Kurs ausgesprochen hatte. Vor allem das Votum der Sozialdemokraten für einen erleichterten Familiennachzug von subsidiär Schutzbedürftigen sorgt für Konflikte in der Koalition. Bei dieser Gruppe handelt es sich um Migranten, die zwar kein Anrecht auf Asyl haben, jedoch stichhaltige Gründe dafür vorbringen können, dass ihnen bei einer Rückkehr ins Herkunftsland ernsthafter Schaden droht. Das betrifft nach Statistiken des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge aktuell vor allem Menschen aus Syrien: Bei 97.183 Asylanträgen von Syrern zwischen Januar und November dieses Jahres wurde in 61.640 Fällen subsidiärer Schutz gewährt. Katrin Göring-Eckardt, zuständige Abgeordnete für das Thema Familiennachzug in der Grünen-Bundestagsfraktion, reagierte positiv auf das Signal aus der SPD: „Das begrüßen wir sehr, und es entspricht dem Koalitionsvertrag. Viele Familien, insbesondere Kinder, warten darauf, wieder zusammen zu sein. Familien gehören zusammen“, erklärte Göring-Eckardt auf WELT-Anfrage. Scharfer Widerspruch kam hingegen aus der FDP. „Angesichts der hohen Asylbewerberzahlen und der überlasteten Kommunen ist der SPD-Antrag zur Migrationspolitik realitätsfern und sendet das völlig falsche Signal“, so der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Stephan Thomae. „Wir müssen unser Asylsystem entlasten und eine neue Realpolitik in der Migration vorantreiben. Einen erleichterten Familiennachzug wird es daher mit uns nicht geben.“ Vielmehr müssten Rückführungen konsequent durchgeführt werden, wenn die Ausreise nicht freiwillig stattfinde. „Denn der Rechtsstaat muss beweisen, dass er seine Entscheidungen auch durchsetzt“, so Thomae. Zudem dürfe die private Seenotrettung nicht staatlich finanziert werden, „denn das würde den Schleusern direkt in die Hände spielen. Frontex sollte daher perspektivisch die Seenotrettung im Mittelmeer übernehmen“. Thomae erinnerte an die Beschlüsse der vergangenen Ministerpräsidentenkonferenz. Sie seien „ein wichtiger Schritt in Richtung einer neuen Realpolitik in der Migration, die wir jetzt dringend brauchen“. Ein Punkt, auf den sich die Ministerpräsidenten mit dem Kanzler geeinigt hatten, lautet: „Der Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten wird nicht ausgeweitet.“ Freidemokrat Thomae nannte als wichtige Maßnahmen die Reduzierung von Anreizen für irreguläre Migration, die Prüfung von Asylverfahren außerhalb der EU und einen besseren Grenzschutz: „Das ist der Kurs, auf den wir uns als Ampel-Koalition verständigt haben und den wir jetzt entschieden weiterverfolgen müssen.“ „Es braucht endlich eine echte Begrenzung“ Eine ähnlich kritische Haltung vertritt die Union. „Die SPD leidet unter rasantem Realitätsverlust. Wer in einer der größten Migrationskrisen eine Ausweitung des Familiennachzugs fordert, hat jegliche Regierungsfähigkeit verloren“, beklagte CDU-Innenpolitiker Alexander Throm. Nach dem Bundesparteitag vom Wochenende sei klar: „Die SPD möchte, dass noch mehr Asylbewerber in unser Land kommen sollen. Das ist das Gegenteil einer Asylwende“, so Throm zu WELT. Nach seiner Ansicht müsse man „alle Möglichkeiten zur Begrenzung und zur Reduzierung von Anreizen, nach Deutschland zu fliehen, nutzen“. Je größer die Community etwa von Syrern und Afghanen in Deutschland werde, desto mehr Anziehungskraft entfalte sie. „Es braucht endlich eine echte Begrenzung an all den Stellschrauben, wo dies möglich ist, wie etwa dem Aussetzen des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten.“ In anderen EU-Ländern sei der Familiennachzug bereits ausgesetzt. In Deutschland sei er durch die Union in der vergangenen Wahlperiode auf 1000 Menschen pro Monat begrenzt worden. „Anstatt Fluchtzuwanderung zu begrenzen, will die SPD diese sogar noch fördern. Lässt Deutschland mehr Familiennachzug zu, ist doch klar, wo junge Männer hinziehen werden, um ihre Familien nachzuholen“, warnte Throm. Die Ampel verschärfe so die Lage in den Kommunen, in den Kitas und am Wohnungsmarkt. „Durch das maßlose Türöffnen für Migration stärkt die Ampel die politischen Extremisten am rechten Rand. Solche Beschlüsse wie auf dem SPD-Parteitag sind das reinste Konjunkturprogramm für die AfD“, warnte Throm. Aus Sicht der AfD-Fraktion würde die SPD mit einem erleichterten Familiennachzug „einen weiteren, speziell deutschen Pull-Faktor“ schaffen, so der Innenpolitiker Gottfried Curio. Als Konsequenzen nannte er: fehlenden Wohnraum, einen „weiteren Absturz des Bildungssystems“, Milliarden-Kosten und die „immer weiter ausgehöhlte innere Sicherheit“.