Friday, September 1, 2023
"Wir besprechen keine strukturellen Probleme, es bringt einfach nichts"
Business Insider Deutschland
"Wir besprechen keine strukturellen Probleme, es bringt einfach nichts"
Artikel von Kim Torster •
2 Tag(e)
Victoria Arnhold und Claire Siegert haben einen Startup-Inkubator speziell für Frauen gegründet
Es ist 2015. Victoria Arnhold und ihre Freundinnen fahren mit dem Auto quer durch England. Als sie eine Panne zum Stoppen bringt und die Frauen stundenlang auf Hilfe warten müssen, haben sie Zeit, über alles zu sprechen, was ihnen in den Sinn kommt. Dabei erfährt Victoria Arnhold, dass offenbar jede ihrer Freundinnen eine gute Geschäftsidee hat – aber keine sie umsetzen will.
It's a man's world
Das ist die offizielle Gründungsgeschichte von Businettes – einem Startup-Inkubator, der sich speziell an Frauen richtet. Erzählt wird sie Gründerszene von Claire Siegert, Victoria Arnholds Co-Gründerin. Die Geschäftspartnerinnen sind damals noch nur Freundinnen – und schockiert darüber, dass sich Arnholds Reisegefährtinnen das Gründen offenbar alle nicht zutrauen. "Wir haben beide in Berlin studiert und waren es gewohnt, dass viele Studenten nach dem Studium direkt gründen", sagt Siegert. "Dann ist uns aufgefallen: Das waren nur die Jungs."
Tatsächlich gibt es immer noch deutlich weniger weibliche als männliche Gründer in Deutschland: Laut Female Founders Monitor betrug der Anteil der Gründerinnen an deutschen Startups im Jahr 2022 etwa 20 Prozent – und wuchs zuletzt um rund vier Prozentpunkte.
Als Siegert und Arnhold 2019 Businettes gründeten, sei ihnen klar gewesen, dass sich ihr Hub direkt an Frauen richten sollte. "Wir haben das auch nie hinterfragt", sagt Siegert.
Wozu braucht es einen Inkubator speziell für Frauen?
Für Siegert ist klar: Die Voraussetzungen, die Frauen brauchen, um ein Unternehmen aufzubauen, unterscheiden sich in aller Regel von den Gegebenheiten, die Männer benötigen – und häufig auch vorfinden. Vor allem zu Beginn einer Gründung falle es vielen Frauen deshalb schwer, Fuß zu fassen. "Frauen haben ganz oft leider weniger Vertrauen in sich selbst", sagt Siegert. So komme es, dass Gründerinnen sich in einem Raum voller Männer häufig zurückhalten. Aber gerade in der Startup-Szene sei das fatal. "Frauen müssen gerade am Anfang in einer bestärkenden Umgebung sein", sagt Siegert. "Sonst lassen sie es einfach."
Businettes kreiert deshalb eine Art Safe Space für Frauen. Nach und nach hat sich so das Angebot des Inkubators erweitert. "Ganz am Anfang haben wir mit einer Art Pitch-Training gestartet, mussten dann aber feststellen, dass der Aufbau eines Pitch-Decks schon eine Herausforderung an sich ist, bei der Unterstützung benötigt wird", sagt Siegert. Also setzt das Businettes-Programm inzwischen – für alle, die es brauchen – schon deutlich früher an.
Unterstützen statt Entmutigen
Dabei lege Businettes Wert darauf, konstruktiv zu bleiben und sich auf Lösungen zu konzentrieren. Siegert sagt, sie wisse um die Benachteiligungen von Frauen in der Startup-Szene – etwa dass Frauen durchschnittlich weniger Geld bei Finanzierungen bekommen und von Investoren häufiger nach dem Risiko gefragt werden, während es bei Männern eher ums Wachstumspotenzial geht. Trotzdem sei das kein Bestandteil des Businettes-Programms. "Es geht eher um generelles Empowern", sagt Siegert. "Wir besprechen keine strukturellen Probleme – es bringt einfach nichts. Wir können am System per se nichts ändern und setzen deshalb da an, wo wir auch wirklich einen Unterschied machen können."
Bei dem Inkubator herrsche deshalb stattdessen eine "Hands-On-Mentalität". "Wir sind die absoluten Cheerleader", sagt Siegert. Einer der wichtigsten Tipps von ihr an Gründerinnen lautet: "Sprecht andere Gründerinnen und Gründer an!" Wer nicht fragt, bekomme schließlich auch keine Antwort. Auch sie selbst habe erst lernen müssen, dass es nichts zu verlieren gäbe. Stattdessen wisse sie heute, dass andere Menschen in der Regel gerne behilflich sein möchten. Sie sagt: "Hole dir im schlimmsten Fall ein Nein ab, es gibt nichts zu verlieren."
Was besonders Frauen antreibt
Um Frauen zu motivieren, am Ball zu bleiben, haben sich die beiden Gründerinnen unter anderem einen erfahrenen Psychologen ins Boot geholt. "Wir wollten herausfinden, was Frauen antreibt", sagt Siegert. Dafür habe sich das Team auch Studien und Statistiken angeschaut. Das Ergebnis: Männer und Frauen werden im Schnitt von unterschiedlichen Dingen motiviert. "Männer wollen immer die ersten sein, viele werden vom Wettbewerb und Kampf angetrieben", sagt Siegert. Für Frauen sei das aber ganz untypisch – oder sogar kontraproduktiv. "Frauen legen häufig Wert auf eine Community, mit der sie sich austauschen können", sagt Siegert. Dabei gelte auch der Grundsatz: "You can't be, what you can't see." – Frauen bräuchten Vorbilder, die sie darin bestärken: Das kann ich auch!
Ermutigen könne man Frauen außerdem, indem man ihnen ihren Fortschritt stetig aufzeige. Businettes habe deshalb unter anderem ein Dashboard in ihr Online-Programm integriert, das die Gründerinnen nach jedem geschafften Kapitel lobt. "Es ist ein bisschen wie in der Schule mit den Fleißaufklebern", sagt Siegert. "Aber es funktioniert."
"In einem Raum voller Frauen werden ganz andere Fragen gestellt"
Mittlerweile umfasst das Angebot des Gründerinnen-Hubs neben einem Schritt-für-Schritt-Guide zum Gründen und einer mehr als 800 Frauen starken Community auch eine Akademie, in der es um Fragen rund ums Unternehmertum geht – darunter administrative Themen, Personal Branding oder Finanzierung. Siegert sagt, natürlich könne man diese Workshops auch genau so Männern anbieten. "Thematisch unterscheidet sich das nicht". Aber aus Erfahrung wisse sie, dass das Female-Only-Konzept gerade am Anfang wichtig sei, um Gründerinnen gezielt zu unterstützen. "In einem Raum voller Frauen wird sich getraut, Fragen zu stellen und es werden auch ganz andere Fragen gestellt", sagt Siegert. So sollten die Gründerinnen auch lernen, dass ihre Beiträge berechtigt sind. "Es geht einfach darum, dass Frauen bei uns üben können, im Mittelpunkt zu stehen." – Bis sie es irgendwann verinnerlicht hätten.
So wie Victoria Arnholds Freundinnen. Tatsächlich hat zumindest eine von ihnen ihre Geschäftsidee tatsächlich noch verwirklicht. Die Litauerin hat in ihrer Heimat eine Plattform gegründet, auf der Menschen Geschenkideen finden und direkt kaufen können. Zumindest diese Geschichte hat also ein Happy End.