Thursday, September 28, 2023
Flüchtlingskrise: Schweigen hat nicht geholfen
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Flüchtlingskrise: Schweigen hat nicht geholfen
Artikel von Jacqueline Vogt •
21 Std.
Betten werden wieder aufgebaut: In der Messe Frankfurt wurden auch im vergangenem Jahr Flüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen.
Wovor man die Augen verschließt, das ist vorübergehend unsichtbar, verschwunden ist es nicht. Das erfahren nicht nur Kinder, sondern wir alle, dann zum Beispiel, wenn Unliebsames uns so nahe rückt, dass wir uns nicht anders zu helfen wissen als mit dem Versuch, es auszublenden. Probleme ignorieren oder leugnen zu wollen, macht sie aber nicht kleiner, im Gegenteil. Das zeigt jetzt, unmittelbar vor den Wahlen in Bayern und Hessen, auf eindrückliche Art und Weise der Fortgang der Flüchtlingskrise.
Das Thema, so sehr sich manche das kurz vor dem Wahltag auch wünschen mögen, ist nicht nur ein bundespolitisches. Mehr noch: Es rächt sich jetzt, dass Politiker in Wiesbaden versuchten wegzuhören und wegzuschauen, als Landräte und Bürgermeister, überfordert mit der Unterbringung der Schutzsuchenden, schon vor Monaten um Gehör und Hilfe riefen und darum, dass die Landesregierung in Berlin für sie sprechen solle, vernehmlich und laut. Nicht nur um Geld sollte es gehen, sondern darum, dass die Aufnahme-Kapazitäten erschöpft seien. Doch aus Sorge, dass eine Diskussion über die Folgen der anhaltenden Migration Ressentiments schüren oder auch erst wecken könne, haben die etablierten Parteien sich öffentlich vorwiegend zurückgehalten. Es wäre auch anders gegangen. Vielleicht stünde dann nicht, wie sie es in Umfragen derzeit tut, die AfD als zweitstärkste politische Kraft da.
Unterdessen steigen die Flüchtlingszahlen, und Hessen muss handeln. Sozialminister Kai Klose (Die Grünen) hat angekündigt, die Plätze in den Erstaufnahmeeinrichtungen aufzustocken, von derzeit gut 8.000 auf 13.000, wofür auch eine Halle der Messe Frankfurt genutzt werden soll. Die Erstaufnahmeeinrichtungen seien nicht für einen dauerhaften Aufenthalt geeignet, hob Klose hervor, sie stellten lediglich eine Art Puffer vor der späteren Unterbringung der Menschen dar. Wie und wo sie dann wohnen und leben können: das zu organisieren ist weiterhin die Sache der Kreise und Kommunen, die jetzt zudem mit einer wieder erhöhten Zuweisung konfrontiert sind.
Dass es so nicht weitergehen kann, liegt auf der Hand. Die Arbeitsaufträge sind offensichtlich und oft benannt. Die EU muss in der Asylpolitik einen gemeinsamen Kurs finden und Deutschland einen Weg, die auch im Koalitionsvertrag der Ampel in Berlin vereinbarten Rückführungen von Leuten ohne Anspruch auf Asyl auch umzusetzen. Die Liste sicherer Herkunftsländer gehört ergänzt, die Migration insgesamt geordnet. Wenn das nicht in absehbarer Zeit gelingt, wird bestimmt die bislang noch verhalten geführte Debatte um die Zukunft des Grundrechts auf Asyl Fahrt aufnehmen: zur Unzeit für die nächste Bundestagswahl.