Thursday, September 28, 2023
Asylpolitik: Scholz und Baerbock – ein zerrüttetes Verhältnis
STERN
Asylpolitik: Scholz und Baerbock – ein zerrüttetes Verhältnis
Artikel von Nico Fried •
3 Std.
Der Kanzler grinst, die Ministerin schmollt – das Verhältnis von Außenministerin Annalena Baerbock und Bundeskanzler Olaf Scholz scheint nach dessen Machtwort beim Thema Asyl deutlich abgekühlt
Nach dem Machtwort des Kanzlers: Fünf Erkenntnisse, die für die Koalition nichts Gutes erwarten lassen.
Annalena Baerbock versteht etwas von Bildern. Ein nicht unbeträchtlicher Teil ihrer Popularität baut darauf auf, dass die Außenministerin sich in Szene zu setzen weiß. Baerbock und ihr Umfeld überlassen da nichts dem Zufall. Doch am Mittwoch im Kabinett ist der Ministerin offenkundig die Kontrolle entglitten. Mit finsterer Miene ruckelte sie an ihrem Ledersessel herum, setzte sich wortlos auf ihren Platz, gab dem Bundeskanzler zwei Stühle weiter nicht die Hand, gönnte ihm kein freundliches Lächeln – kurz: Baerbock schmollte vor zahlreichen laufenden Kameras. In diesen Sekunden wusste die Außenministerin schon, was der Kanzler alsbald auch unter den Journalisten in Berlin verbreiten ließ.
Olaf Scholz hat entschieden: Deutschland wird die Reform der Asylpolitik in Europa nicht aufhalten. Baerbocks beleidigtes Gesicht widerlegte von vornherein alle nachgeschobenen Beschwichtigungen der Grünen, es habe sich nicht um ein Machtwort des Kanzlers gehandelt.
Deutschland stimmt dem EU-Kompromiss zu – so oder so.
Die Außenministerin kann noch versuchen, ein paar Punkte, die den Grünen wichtig sind, in die gemeinsame Position der EU-Staaten hineinzuverhandeln. Doch Baerbock ist dabei auf das Entgegenkommen anderer Regierungen, der spanischen EU-Ratspräsidentschaft und nicht zuletzt der eigenen Kollegin Nancy Faeser angewiesen. Und am Ende stimmt Deutschland zu, so oder so. Ohne Rücksicht auf Baerbock.
Es ist nicht ganz klar, das wievielte Machtwort Scholz nun schon gesprochen hat. Dafür, dass er dieses Instrument eigentlich meiden wollte, sind es jedenfalls schon ziemlich viele. Scholz weiß, dass ein Machtwort eher Ausdruck von Führungsschwäche als von Führungsstärke ist, weil seine Notwendigkeit vorangegangenes Scheitern erst so richtig dokumentiert.
Diesmal wird sich in besonderem Ausmaß zeigen, warum der Kanzler eigentlich zu Recht lieber vermeiden würde, auf den Tisch zu hauen. Denn jeder Streit, den er damit beendet, kommt alsbald mit neuer Wucht zurück. Immer und immer wieder. Und die Folgen werden diesmal nicht nur auf Baerbock zurückfallen, sondern auf Scholz‘ ganze Regierung.
Es hat nie wirklich Gemeinsamkeiten zwischen Baerbock und Scholz gegeben
Es gibt nach dem Asyl-Streit mehrere Erkenntnisse, die für die Zukunft der Koalition von Bedeutung sind: Erstens, das Verhältnis zwischen Kanzler und Außenministerin ist unrettbar zerrüttet. Es hat auf den wichtigsten Feldern der Außenpolitik nie eine gemeinsame Linie von Scholz und Baerbock gegeben. Schlimmer noch: Kanzler und mehr noch die Ministerin haben sich nie wirklich darum bemüht. Das begann bei den Waffenlieferungen für die Ukraine, setzte sich fort im Umgang mit China und gipfelt nun in der Asyl-Politik. Das ist für das Ansehen Deutschlands ein Problem.
Zweitens: In der Asyl-Politik hat Olaf Scholz sein Machtwort zum ersten Mal nicht als Vermittler zwischen den Koalitionspartnern geltend gemacht, sondern letztlich in eigener Sache. FDP und Grüne mögen sich in den letzten Tagen besonders laut gestritten haben (FDP: "Grüne sind ein Sicherheitsrisiko"; Grüne: "Untergrenze des politischen Anstands verletzt"). Doch anders als 2022 im Streit um die Verlängerung der Laufzeiten für Atomkraftwerke, gab der Kanzler diesmal nicht den Streitschlichter, der einen Kompromiss zwischen Robert Habeck und Christian Lindner befahl. Diesmal entschied er glasklar gegen einen Koalitionspartner, nämlich gegen die Grünen. Und er entschied für eine andere Partei der Regierung: nein, nicht die FDP, sondern seine eigene Partei, die SPD.
Scheitert der Kompromiss an Deutschland, ist die Ampel erledigt
Drittens: Scholz hatte als Kanzler erwartbare, ja offensichtliche Gründe so zu entscheiden, wie er es getan hat (und es ist erstaunlich, dass die Grünen diese Zwänge nicht kommen sehen wollten oder konnten): Würde der Asyl-Kompromiss an Deutschland scheitern, wäre die Bundesregierung angesichts des objektiven Drucks durch die steigende Zahl an Migranten wie auch durch den politischen Druck durch das Erstarken der AfD erledigt. Der Kanzler musste Handlungsfähigkeit beweisen, koste es, was es wolle. Scholz ist zudem kein besonders gefühlsgetriebener Migrationspolitiker. Das individuelle Asylrecht betrachtet er aus historischen Gründen als sakrosankt – alles darunter aber als Verhandlungssache. Das bürgerliche Sicherheitsempfinden ist ihm wichtiger als moralisches Wohlbefinden.
Viertens: Mit der Entscheidung gegen Baerbock meldet sich auch der SPD-Politiker in Scholz zurück. Wenige Tage vor der Landtagswahl in Hessen ebnet er seiner Spitzenkandidatin Nancy Faeser den Weg zu einem Erfolgserlebnis, wohl auch in der Hoffnung, für die SPD in Hessen, um die es schlimm steht, noch Schlimmeres zu verhindern. Und damit auch für sich als Förderer Faesers und als Kanzler sowieso.
Der Wahlkampf 2025 hat begonnen – auch innerhalb der Grünen
Fünftens: Mit seiner Entscheidung gibt Scholz somit auch ein klares Signal. Von jetzt an ist sich jeder in der Koalition auch selbst der nächste. Der Kanzler selbst hat es vorgemacht. Der Wahlkampf für 2025 hat begonnen. Zwischen den Parteien der Koalition, aber auch innerhalb der Grünen. Denn auch der Asylstreit hat den Gegensatz zwischen Annalena Baerbock und Robert Habeck wieder offengelegt. Während die Außenministerin noch gegen die in der EU geplante Krisenverordnung ankämpfte, bereitete der Vizekanzler seine Partei bereits auf "moralisch schwierige Entscheidungen" vor.
Die könnten auf die Grünen übrigens bald auch jenseits der Asylpolitik zukommen.