Saturday, March 18, 2023

Dieter Hallervorden: "Man muss den Mut haben, Flagge zu zeigen"

SZ - Sächsische Zeitung Dieter Hallervorden: "Man muss den Mut haben, Flagge zu zeigen" Vor 4 Std. Mit 87 Jahren ist der Schauspieler, Sänger und Theaterintendant Dieter Hallervorden schwer beschäftigt. Bewusst setzt er auf den Unruhestand und meldet sich zu Wort, wo es Not tut. Er ist einer, an dem im Moment keiner vorbeikommt. Film und Fernsehen, erfolgreiche Aufführungen in seinen eigenen Spielstätten Berlin und Dessau. Spätestens nach der Moderation des MDR-Talkshowklassikers „Riverboat“ Anfang November musste wohl auch dem letzten Zuschauer gedämmert sein, weshalb Rentner eigentlich nie Zeit haben. Zumindest solche umtriebigen wie Dieter Hallervorden. Herr Hallervorden, bevor Sie kürzlich im ausverkauften Kulturschloss Großenhain gastierten, standen Sie bis mittags in Ihrem eigenen Theater in Berlin auf der Bühne - ein Mammutprogramm. Woher nehmen Sie diese Energie? Erstens: Aus großer Liebe zu meinem Beruf. Zweitens: Weil es mir Spaß macht, andere Menschen zu unterhalten und sie den manchmal grauen Alltag vergessen zu lassen. Und drittens: Weil ich mir bei Überlastung Prioritäten setze und dann offene Fragen in der von mir gesetzten Reihenfolge nacheinander abarbeite. Durchaus gern auch mal nach der Devise, Eile mit Weile! Hinzu kommt, dass ich mich unter angenehmer Aufsicht meiner Frau Christiane der Gesunderhaltung meines Körpers widme. Bewegung – das muss ich widerwillig zugeben – ist neben einer einigermaßen gesunden Ernährung das A und O. Drei zu führende Theater, im Teufelsrad inmitten der „Stars in der Manege“ und darüber hinaus auch neue Filmprojekte. Weshalb das alles jetzt und gefühlt alles auf einmal? Wer mich näher kennt weiß, dass ich zuweilen nicht unbedingt mit Geduld gesegnet bin. Wenn ich also einen Einfall, eine Idee, habe, möchte ich die so schnell wie möglich in die Tat umsetzen! Ich hatte es immer schon gern, ein Ziel zu haben und es hat mich glücklicherweise auch nie eine Form von Sehnsucht nach Bequemlichkeit ereilt. Vielmehr bin ich unendlich dankbar, dass all diese Projekte und Vorhaben zu mir gekommen sind beziehungsweise ich wieder stets aufs Neue etwas finde, von dem ich meine, es lohnt sich, es anzupacken. Dabei ist mir gerade in meinem Alter bewusst: Untätigkeit macht alt! Deshalb liebe ich auch nicht den Ruhestand, ich bevorzuge den Unruhestand! Ein Millionenpublikum hat Sie als „Didi“ in allerbester Erinnerung. Wie lang war der Weg vom liebenswerten Vollchaoten zum Schauspieler und Intendanten Dieter Hallervorden? Oh, er war ziemlich lang! Und ehrlich gesagt sehr steinig und außerordentlich steil obendrein. Aber es hat mich trotzdem nicht abgehalten und am Ende hat sich unterm Strich alles gut gefügt. So wurde ich damals zwar für eine Rolle beim Kabaretttheater die „Stachelschweine“ abgelehnt, bewies aber mit der Entscheidung, dann eben 1960 gemeinsam mit Kollegen meine eigene Spielstätte zu gründen, einen guten Riecher. Was allerdings nicht heißen soll, dass es nicht auch mal ein paar wirtschaftliche Wackelpartien gegeben hat! Deshalb entstand bei mir auch der Wunsch, etwas zu tun, was fernsehtauglich und vor allem einträglich ist. Genau aus diesem Grund erfand ich letztlich die Figur des Didi, der dann mit „Nonstop-Nonsens“ in die Wohnzimmer einzog, mir selbst zum endgültigen Durchbruch verhalf und die Finanzierung des Theaters erträglicher machte. Wenn Sie also so wollen, gab es den Schauspieler und Intendanten, welcher für sein Ensemble verantwortlich zeichnet, schon lange vor Didi. Einen, den die Zuschauer geliebt haben, für den es aber nach fünf Jahren der richtige Moment gewesen ist, sich zu verabschieden. Die Figur war ausgespielt und es ist in unserer Branche die Kunst zu erkennen, wann das so weit ist. Ihre Liebe zum Beruf scheint in all den Jahrzehnten keinen Schaden genommen zu haben. Woher rührt die spürbare Inbrunst für Theater und Film? Vielleicht, weil mein Beruf gewissermaßen aus einem Hobby heraus entstanden ist. Und Hobbys gibt man freiwillig nicht auf! Ursprünglich hatte ich ja Romanistik und Publizistik studiert. Während dieser Zeit bin ich manchmal vier- fünfmal in der Woche ins Theater gegangen und war total begeistert. Zunächst ausschließlich von mir selbst im Sinne meines scheinbar ausgeprägten Bewusstseins für Kultur und Kunst. Aber irgendwann dämmerte mir dann, dass ich eigentlich gern selbst auf die Bühne möchte. Was ich auch niemals bereut habe! Denn ganz ehrlich, etwas anderes als schauspielern und Theater leiten kann ich ja nicht! Vielleicht noch Theaterstücke aus dem Französischen ins Deutsche zu übersetzen. Aber das war’s dann auch schon. Vor zehn Jahren liefen Sie mit dem Film „Sein letztes Rennen“ geradezu im Sprint ins Charakterfach davon. Sie spielen darin den ehemaligen Marathonläufer Paul Averhoff. Erfüllte sich mit dem Kinoerfolg auch ein inniger Wunsch von Dieter Hallervorden? Ja, ganz unbedingt sogar. Denn das ich ernste Rollen spielen wollte und auch kann, wusste ich schon auf der Schauspielschule. Doch wer lässt einen schon? Als ich dann das Drehbuch „Sein letztes Rennen“ in den Händen gehalten habe, war ich gleich sofort begeistert. Denn der Rentner Paul Averhoff ist von seiner Lebensphilosophie her wie ich selbst: „Niemals aufgeben! Wer stehen bleibt, hat schon verloren! Immer mindestens einmal mehr aufstehen als hinfallen!“ Das alles ist hundert Prozent Dieter Hallervorden. Bereits ein Jahr später katapultierten Sie sich ohne Kitsch, aber mit viel Herzenswärme als an Alzheimer erkrankter Rentner in den Quotenhimmel. Bescherte der Millionenerfolg von „Honig im Kopf“ eine Art späte Genugtuung? Die empfindet wohl jeder Mensch, wenn er eine schwierige Aufgabe gut gemeistert hat. Und der Film „Honig im Kopf“ war auf jeden Fall keine Leichte! Als ich das Drehbuch gelesen hatte, war mir sofort klar, das da etwas Großartiges vor mir auf dem Tisch liegt. Aber mir war auch bewusst, es könnte schwierig werden. Immerhin sollte ich ja mit einem Kind, der Tochter von Till Schweiger, spielen. Glücklicherweise hat das auf Anhieb gepasst. Schwierig war hingegen, dass wir wegen der Kleinen nur zeitlich begrenzt drehen konnten. Die Arbeit am Film dauerte über zwei Monate und ich musste darauf achten, seelisch in guter Verfassung zu bleiben. Denn wie Sie sich vorstellen können, trägt das tiefe Hineinfühlen in einen Demenzerkrankten nicht dazu bei, guter Dinge zu sein. Im September vergangenen Jahres eröffneten Sie in Ihrer Geburtsstadt Dessau das Mitteldeutsche Theater. Ein echtes Herzensprojekt, oder? Richtig! Denn ich bin jemand, der weiß, wo seine Wurzeln sind. In Dessau habe ich eine behütete Kindheit gehabt, machte 1953 am Philanthropinum Abitur, hier erwachte meine Liebe zur Bühne. Die Stadt hat mich nie ganz losgelassen. Und unser Spielplan kann sich sehen lassen! Das Komische hat in unserem Theater neben ernsthaften Stücken ebenso Platz wie politische Satire. Der Vorteil dabei ist, ich kann für die Qualität aller Stücke garantieren, weil ich sie entweder selbst produziert habe oder sie nach intensiven Studium für wert befunden habe, in Dessau aufgeführt zu werden. Am 18. März werden Sie nun in Berlin am Schlosspark Theater mit „Biedermann und die Brandstifter“ von Max Frisch Premiere feiern. Ein kluges Stück zur richtigen Zeit? In Zeiten, in denen ein gewisser Putin sein Unwesen treibt, besitzt es auf jeden Fall ungeahnte Aktualität. Auch wenn der geniale Autor Max Frisch die Fabel vom Haarwasserfabrikanten Biedermann vor mittlerweile 65 Jahren schrieb, ist sein „Lehrstück ohne Lehre“ – so der Untertitel – brandaktuell und heutig wie selten zuvor! Sie selbst sind nie um klare Worte verlegen. Bereitet Ihnen der Mix aus Ukraine-Krieg, wachsender Unzufriedenheit in der Bevölkerung und steigender Inflation als Überlebender eines Weltkrieges zunehmend Unbehagen? Unbehagen wäre für das, was mich momentan umtreibt, reichlich untertrieben! Ich finde darüber hinaus, Meinungsfreiheit muss gelebt werden. Man muss den Mut haben, Flagge zu zeigen! Und zwar auch dann, wenn man mit starkem Gegenwind zu rechnen hat. Herr Hallervorden, wie kommen wir dennoch einigermaßen unbeschadet durch die Krise? Indem wir sie als Chance begreifen, zeigen zu können, wie viel Ideenreichtum, Energie und Optimismus in uns steckt! Getreu meinem lebenslangen Motto: Wenn einem das Wasser bis zum Halse steht, sollte man tunlichst nicht den Kopf hängen lassen!