Thursday, March 23, 2023
Medienskandal um Claas Relotius: „Es hat sich angefühlt, als würde der ‚Spiegel‘ diesen Film blockieren wollen“
Wirtschaftswoche
Medienskandal um Claas Relotius: „Es hat sich angefühlt, als würde der ‚Spiegel‘ diesen Film blockieren wollen“
Artikel von Gürtler, Tobias • Gestern um 21:22
Claas Relotius hat Dutzende Reportagen, die im „Spiegel“ erschienen, teils frei erfunden. Daniel Sager hat eine Dokumentation über den Fall gedreht. Hilfe aus Hamburg erhielt er dabei nicht – ganz im Gegenteil.
Im Gegensatz zum Rest seiner Redaktion räumte „Spiegel“-Chefredakteur Steffen Klusmann dem Filmemacher Gesprächszeit ein. Allerdings: Er war zum Zeitpunkt des Skandals noch gar nicht im Haus.
Es war der wohl größte Medienskandal der deutschen Nachkriegsgeschichte: Ende 2018 enttarnte Juan Moreno seinen „Spiegel"-Kollegen Claas Relotius als Fälscher. Morenos Vorwürfe stießen beim „Spiegel“ trotz zahlreicher Indizien auf Widerstand. Bis Relotius zugab: Er hatte viele seiner Geschichten frei erfunden, andere schöngedichtet.
Daniel Andreas Sager hat aus dem Fall Relotius einen Dokumentarfilm gemacht, der neue Fragen aufwirft – vor allem zur vermeintlich transparenten Aufarbeitung der Affäre durch den „Spiegel". „Erfundene Wahrheit – Die Relotius Affäre“ läuft ab Freitag, 24. März, auf Sky.
WirtschaftsWoche: Herr Sager, „Erfundene Wahrheit“ ist innerhalb von drei Jahren bereits Ihr zweiter Dokumentarfilm über Journalismus. Was macht die Branche so interessant für Sie?
Daniel Andreas Sager: In einer Zeit, in der bestimmte politische Kräfte immer mehr mit Fake News arbeiten, ist unabhängiger Journalismus wichtiger denn je. Journalisten sind die vierte Gewalt, bilden das Rückgrat einer Demokratie. Was konkret meinen neuesten Film betrifft: Dadurch, dass der Fall Relotius die Glaubwürdigkeit der Presse in Gefahr gebracht hat, ist im Umkehrschluss nicht weniger als die Demokratie in Gefahr geraten. Deswegen war es mir ein wichtiges Anliegen, den Fall noch einmal für ein breites Publikum filmisch aufzuarbeiten – und ihn noch einmal neu aufzurollen.
Ihr Film versucht gar nicht erst, sich dem Menschen Claas Relotius anzunähern. War das eine bewusste Entscheidung?
Ich stand für den Film in losem Kontakt zu Claas Relotius, habe ihn immer wieder kontaktiert. Natürlich wollte ich ihm die Möglichkeit geben, seine Version der Geschichte zu erzählen. Das wollte er aber nie. Deswegen ist es der Film geworden, der es jetzt ist.
Claas Relotius war offenbar nicht der Einzige, der nicht mit Ihnen sprechen wollte. Der Abspann listet eine ganze Reihe abgelehnter Interviewanfragen aus dem Hause des „Spiegel“ auf. Es drängt sich der Eindruck auf, dass die Kooperationsbereitschaft dort nicht gerade groß war.
Dem war auch so. Wir haben über 20 Menschen angefragt, die beim „Spiegel“ arbeiten und mit dem Skandal Berührungspunkte hatten. Die meisten haben abgelehnt, viele andere gar nicht reagiert. Da sie selbst journalistisch arbeiten, ist all diesen Leuten sicherlich bewusst, dass man darauf angewiesen ist, dass Beteiligte mit einem reden und zu bestimmten Sachen Stellung beziehen. Aber es war niemand bereit, mit einem zu reden. Es hat sich für mich so angefühlt, als würde der „Spiegel“ diesen Film blockieren wollen.
Die vermeintlich transparente Aufarbeitung des Skandals wurde seinerzeit viel gelobt – nicht zuletzt auch durch den „Spiegel“ selbst. Wie kann es sein, dass Leuten wie Ihnen, die sich von extern damit beschäftigen wollen, solche Steine in den Weg gelegt werden?
Natürlich ist es dem „Spiegel“ am liebsten, dass möglichst wenig über Claas Relotius gesprochen wird und dieser Skandal schnell wieder von der Bildfläche verschwindet. Viele Fragen aber bleiben nun mal nach wie vor offen. Und es gibt kaum Bereitschaft des „Spiegel“, sie zu beantworten. Transparenz seitens des „Spiegel“ haben wir während den Dreharbeiten nicht gerade miterlebt.
Was ich spannend finde: Es gab eine beteiligte Person, die ein Interview erst zugesagt und dann wieder abgesagt hat.
Ich möchte da ungern über interne Vorgänge beim „Spiegel“ mutmaßen. Aber ja: Wir hatten uns schon sehr konkret zu einem Interview verabredet, standen mit dem betreffenden Journalisten bereits länger in Kontakt und er hatte auch schon auf viele Fragen im Vorgespräch geantwortet. Dann war er in Hamburg, hat dort noch einmal Rücksprache mit dem „Spiegel“ gehalten. Und nach dem Termin in der „Spiegel“-Zentrale hat er dann doch lieber abgesagt.
Immerhin: Der aktuelle Chefredakteur des „Spiegel“, Steffen Klusmann, hat mit Ihnen gesprochen. Im Film wirkt er allerdings eher wie ein Pressesprecher als jemand, der wirklich Erhellung bringt.
Klusmann hat erst nach dem Skandal beim „Spiegel“ angefangen. Neben zwei Mitarbeitern der Dokumentationsabteilung war er aber der Einzige, der mit uns darüber sprechen wollte. Das hat es für den Film nicht gerade einfach gemacht. Es gibt ja noch immer viele Mitarbeiter beim „Spiegel“, die Kollegen von Claas Relotius waren, die Texte von ihm betreut haben. Natürlich hätten wir gern aus erster Hand erfahren, wie damals die Atmosphäre in der Redaktion war. Es geht schließlich nicht nur um Claas Relotius, sondern es geht um das gesamte Gesellschaftsressort, in dem er tätig war. Darum, wie dort Arbeitsaufträge verteilt wurden, was der Anspruch war, wie mit Konkurrenz umgegangen wurde. Letztlich hat Herr Klusmann all die Fragen, die ich hatte, beantwortet, obwohl er damals noch gar nicht beim „Spiegel“ gearbeitet hat.
In Ihrem Film kommt auch der Compliance-Experte Paul Milata zu Wort. Sein Urteil über die Aufarbeitung des Skandals fällt vernichtend aus. Wie sehen Sie das?
Was zumindest ganz normal ist für einen Skandal mit solch einer Dimension: Dass dieser extern aufgearbeitet wird. Das ist beim „Spiegel“ nicht passiert. Das Magazin hat den Fall nicht etwa an eine Kanzlei gegeben, so wie es etwa der RBB bei seinem Medienskandal gemacht hat, sondern versucht, ihn intern aufzuarbeiten. Alle Mitglieder dieser Untersuchungskommission haben währenddessen vom „Spiegel“ Gehalt bekommen, ein Kommissionsmitglied ist während dieser Zeit sogar befördert worden. Das alles zeichnet ein sehr problematisches Bild.
Immerhin: Der Abschlussbericht, den die hausinterne Relotius-Kommission Mitte 2019 veröffentlicht hat, ging hart mit dem eigenen Haus ins Gericht.
Ja, der Untersuchungsbericht, den diese Kommission vorgestellt hat, war kritisch. Aber es bleibt unklar, ob es wirklich alles in diesen Untersuchungsbericht geschafft hat. Oder ob nicht doch bestimmte Teile weggelassen wurden. In jedem Fall war diese Aufarbeitung einfach nicht unabhängig genug – das ist die Einschätzung der Experten, mit denen ich gesprochen habe. Ich nehme in dem Film ganz bewusst den „Spiegel“ mit in die Verantwortung.
In Ihrem Film rechtfertigt „Spiegel“-Chefredakteur Steffen Klusmann sich auch damit, es habe ja nie Hinweise von außen gegeben, bevor Reporterkollege Juan Moreno Ende 2018 Fälschungsvorwürfe gegen Relotius erhoben habe. Diese Aussage aber wird in Ihrem Film klar widerlegt.
Absolut, ja. Nach den Aussagen der Menschen, mit denen ich für den Film gesprochen habe, hat es definitiv schon deutlich früher Hinweise an den „Spiegel“ gegeben, dass Claas Relotius sich Geschichten ausdenken könnte. Das eindrücklichste Beispiel: Der kurdische Kameramann Syara Kareb, der auch im Film auftaucht, war für „Spiegel TV“ in ein irakisches Gefängnis gereist, aus dem Relotius angeblich einmal berichtet hatte. Er erfuhr dort, dass nie ein westlicher Journalist da gewesen war.
Womit eindeutig die Vermutung im Raum stand, dass mindestens Teile der preisgekrönten Relotius-Reportage „Löwenkinder“ erfunden sein könnten. Darin gibt Relotius vor, mit einem Jungen im besagten Gefängnis gesprochen zu haben.
Richtig. Es gab klare Hinweise darauf, dass Claas Relotius niemals da gewesen sein konnte. Kareb hat den „Spiegel“ darüber informiert und ihm wurde mitgeteilt, dass diese Informationen auch nach oben weitergegeben wurden. Aber dem ist niemand weiter nachgegangen. All das war mehr als eineinhalb Jahre, bevor Juan Moreno erstmals mit seinem Verdacht auf den „Spiegel“ zuging.
Vermutlich erschien den Beteiligten der Gedanke zu absurd, dass sich jemand all das wirklich ausdenken könnte. Dabei schreit vieles, das Relotius im „Spiegel“ veröffentlicht hat, regelrecht nach Erfindung. Etwa seine Geschichte über den Footballer Colin Kaepernick. Ausgerechnet ein Reporter des deutschen „Spiegel“ sollte näher an diesen rangekommen sein als jedes US-Medium, das es davor versucht hatte. Ausgerechnet diese Figur, die damals so präsent war, in Teilen zu erfinden – wie bitte ist Relotius damit durchgekommen?
In den Gesprächen, die ich für die „Spiegel“-Dokumentation führen konnte, war auch immer von Zeitmangel die Rede. Demnach waren seinerzeit nur eineinhalb Personen damit betraut, die Texte aus dem Gesellschaftsressort zu überprüfen. Aber ja, es gibt schon einiges, das einen aus heutiger Sicht sprachlos macht. Manches wäre schon durch eine einfache Google-Recherche zu widerlegen gewesen. In anderen Fällen hätte es einen einzigen Anruf, eine einzige E-Mail gebraucht, und die Fälschung wäre eindeutig gewesen.
Diese E-Mail gab es dann auch – allerdings erst viel später, als Relotius längst aufgeflogen war. „There’s no basis“, erwiderte Colin Kaepernicks Anwalt auf eine Nachfrage des „Spiegel“ zu Relotius‘ Berichterstattung über seinen Mandanten.
In diesem Zusammenhang: Es ist immer noch unbegreiflich für mich, wie der „Spiegel“ auf Morenos Verdacht reagiert hat. Dass man ihn in eine Bringschuld gebracht hat, statt zu sagen: Wir rufen da jetzt einfach mal irgendwo an. Ob beim Bürgerwehrler Tim Foley, den Relotius angeblich bei einer Streife begleitet hatte, oder eben bei Colin Kaepernicks Anwalt. Dass ausgerechnet dieser deutsche Reporter ein emotionales Interview mit Kaepernicks Eltern bekommen haben wollte, erscheint doch einigermaßen unglaubwürdig. Aber man hat einfach nur gesagt: Glauben wir nicht. Man wollte beim „Spiegel“ einfach nichts davon wissen.