Monday, September 27, 2021
„Laschet hing wie ein Mühlstein um den Hals der CDU/CSU“: So blickt die internationale Presse auf die Bundestagswahl
Tagesspiegel
„Laschet hing wie ein Mühlstein um den Hals der CDU/CSU“: So blickt die internationale Presse auf die Bundestagswahl
vor 1 Std.
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Olaf Scholz hat die Wahl gewonnen. Ob er auch Kanzler wird, hängt jetzt vor allem von Grünen und FDP ab. Wie bewertet das Ausland die Situation?
Armin Laschet kommt vorgefahren zu den Gremiensitzungen der Partei nach der Bundestagswahl.© Foto: Michael Kappeler/dpa Armin Laschet kommt vorgefahren zu den Gremiensitzungen der Partei nach der Bundestagswahl.
Auch im Ausland hat man die Bundestagswahl mit Spannung verfolgt. Wie geht es jetzt - nach der Ära Merkel - für Deutschland weiter? Lesen Sie hier, wie die internationale Presse das Wahlergebnis kommentiert.
Londoner „Times“: „Die Herausforderung für Olaf Scholz besteht darin, die wirtschaftsfreundliche FDP zu einem Pakt mit seiner SPD und den Grünen zu bewegen, die bereits signalisiert haben, dass sie gemeinsam regieren wollen. Dies würde zu einer „Ampel“-Koalition führen, benannt nach den roten, grünen und gelben Farben der drei Parteien.
Allerdings würde die FDP einen hohen Preis für diesen Deal verlangen. Es wird erwartet, dass ihr Vorsitzender Christian Lindner darauf bestehen wird, das Finanzministerium zu kontrollieren und einige der Steuererhöhungen zu blockieren, die im Mittelpunkt der Wahlwerbung von SPD und Grünen standen. (...)
Die Grünen werden jedoch zögern, einige ihrer politischen Markenzeichen aufzugeben, wie zum Beispiel ein Verkaufsverbot für neue Benzin- und Dieselfahrzeuge ab 2030. Ihre Positionen zu Steuern und Ausgaben, einschließlich eines durch öffentliche Anleihen finanzierten 500-Milliarden-Euro-Investitionsprogramms, stehen in krassem Gegensatz zu denen der CDU und der FDP, die den Haushalt ausgleichen und die Steuersätze für Unternehmen senken wollen, um die Wirtschaft anzukurbeln, während sie sich von der Pandemie erholt.“
Spanien:
„El País“: „Deutschland steht vor einer neuen Parteienlandschaft. Die Ära der Parteien, die 30 oder 35 Prozent der Stimmen erhielten und es sich leisten konnten, mit einem einzigen Partner zu regieren, ist vorbei. Die Auffächerung der Stimmen bei dieser Wahl hat eine ungewöhnliche Situation geschaffen, in der zwei Parteien bei 25 Prozent liegen und drei weitere sich zwischen 10 und 15 Prozent bewegen.
Lässt man die rechtsextreme AfD, mit der sich niemand einlassen will, aus der Gleichung heraus, dann sind zwei gar nicht mehr so kleine Parteien entscheidend für die Bildung der nächsten Regierung. Die Grünen und die Liberalen der FDP halten den Schlüssel bei der Entscheidung, ob der nächste Kanzler Olaf Scholz oder Armin Laschet heißt.“
„El Mundo“: „Die erste Regierung der Ära nach Angela Merkel wird von den Parteien bestimmt werden, die bei der gestrigen Parlamentswahl in Deutschland den dritten und vierten Platz belegt haben.
Das Recht auf Regierungsbildung kann niemand beanspruchen, aber es werden die Grünen und die Liberalen der FDP sein, die entscheiden, wer ins Kanzleramt einzieht: entweder die SPD mit ihrem knappen Sieg oder der konservative Block der Christlich-Demokratischen Union. Die Zeiten der großen Koalition sind vorbei, jetzt wird der Tango zu dritt getanzt.“
„La Vanguardia“: „Die Wahlen haben eine komplizierte politische Landschaft geschaffen und es ist unklar, wer und mit welchen Partnern das Land regieren wird, obwohl die SPD am besten aufgestellt ist. Die Koalitionsverhandlungen könnten langwierig und kompliziert werden. Die SPD hat den Sieg erzielt, den ihr die Umfragen vorhersagten, wenn auch knapper als erwartet.
Ihr Kandidat Olaf Scholz betonte, er sei der Sieger und die Wähler wollten ihn als Kanzler. Die Union hat es gerade noch geschafft, die befürchteten Stimmenverluste weniger traumatisch zu machen, aber sie ist zweifellos der große Verlierer.
Auch ihr Kandidat Armin Laschet will Kanzler werden. Auch das geht nur mit den Grünen und den Liberalen. Von der Zusammensetzung einer künftigen Dreierkoalition wird abhängen, ob Deutschland weiter auf eine Politik der Mitte setzt oder sich nach links bewegt.“
Italien:
„Corriere della Sera“: „Mehr noch als eine Wahl war das eine Revolution. Deutschland hat gewählt und die Ära Merkel mit dem außergewöhnlichsten und problematischsten Wahlergebnis seiner demokratischen Geschichte hinter sich gelassen.
Heraus kam nämlich eine politische Landschaft, die von der Zerstückelung dominiert wird und wegen der es lange dauern und kompliziert werden wird, eine Regierungsmehrheit zu finden. Wie auch immer das aber ausgehen wird, die deutschen Wahlen haben einen Sieger und einen Verlierer: Olaf Scholz ersteres, Armin Laschet zweiteres. (...)
Laschet hing wie ein Mühlstein um den Hals der CDU/CSU, die auf das schlechteste Resultat ihrer Geschichte abstürzt. Das war nicht nur seine Schuld, er war auch Opfer von Eigenbeschuss, aber seine Fehler und Patzer im Wahlkampf werden in der Partei von Adenauer und Kohl, die Deutschland 50 von 70 Jahren lang regiert hat, noch in Erinnerung bleiben.“
Schweiz:
Zürcher „Tages-Anzeiger“ : „Viele Deutsche wissen, dass das Land vor großen Herausforderungen steht. Scholz stellte einen Wandel in Aussicht, der den Menschen so wenig wie möglich abverlangt - wie bei Angela Merkel eben.
Seine Chancen sind nun intakt, als vierter Sozialdemokrat nach Willy Brandt, Helmut Schmidt und Gerhard Schröder Kanzler zu werden. Einfach wird es nicht, aber dem exzellenten Verhandler Scholz ist es zuzutrauen, FDP und Grüne von einer neuartigen Mitte-Koalition zu überzeugen. (...)
Deutschland nähert sich der parlamentarischen Realität in anderen europäischen Demokratien an: Siege mit 25 Prozent der Stimmen, dahinter mehrere mittelgroße Parteien, die immer buntere Koalitionen bilden. Deutschland muss sich an diese Unübersichtlichkeit erst gewöhnen.“
„Neue Zürcher Zeitung“: „Aus liberaler Perspektive könnte man versucht sein, das Jamaika-Modell der SPD-geführten Ampel vorzuziehen. Union und FDP wollen schließlich beide einen effizienteren Staat und weniger Bürokratie für die Wirtschaft, und beide haben Steuererhöhungen ausgeschlossen. Bei der Ampel könnten zwei linke Parteien, die für das Gegenteil stehen, die Liberalen in die Zange nehmen. (...)
Wer weiß, vielleicht kommt Olaf Scholz der FDP am Ende so weit entgegen, dass die Kompromisse in der Summe mehr überzeugen als das, was Armin Laschet mit den Grünen aushandeln könnte.
Denn so viel steht fest: Annalena Baerbocks Traum vom Kanzleramt mag implodiert sein, aber das Ergebnis ihrer Partei ist laut den bisherigen Hochrechnungen so stark wie nie. Ihre Parteibasis wird entsprechende Erwartungen an sie und Robert Habeck haben, einen Koalitionsvertrag auszuhandeln, der so grün ist wie keiner zuvor. Und wenn einer in einer schwachen Verhandlungsposition ist, dann Armin Laschet, der seiner Partei voraussichtlich das schlechteste Wahlergebnis der Geschichte eingebrockt hat.“
USA:
„Wall Street Journal“: „Die deutschen Wähler haben am Sonntag gesprochen, und nun müssen sie wochenlang warten, bis ihnen jemand sagt, was sie gesagt haben. Die Ergebnisse sind ein Kuddelmuddel, und eine komplexe Koalitionspolitik wird darüber entscheiden, welchen Weg das Land nach der Ära Angela Merkels einschlägt. (...)
Wer immer auch am Ende das Sagen hat, Berlin steht vor ernsthaften Herausforderungen, wenn es darum geht, produktive Investitionen und Innovationen im eigenen Land anzukurbeln, große Migrantenströme zu bewältigen, auf die zunehmenden strategischen Bedrohungen aus China und Russland zu reagieren und gute Beziehungen zu den Nachbarn sowie den USA zu pflegen.
Während Deutschland sich auf langwieriges Koalitionsgerangel einstellt, kann man kaum den Schluss vermeiden, dass Parteien und Wähler einen statischen Status quo einer klaren Neuausrichtung vorziehen.“
Dänemark:
„Politiken“ (Kopenhagen) : „Wer nächster Kanzler wird, ist noch ungewiss. Alles deutet darauf hin, dass es Wochen oder gar Monate dauert wird, bis die künftige Regierungskoalition steht. Aber unabhängig davon ist nach der historischen Wahl vom Sonntag eine Sache klar: Die mit Abstand größte Aufgabe der nächsten Regierung ist es, Deutschland viel weiter in den Klimakampf hineinzubringen, als es jetzt ist. Das ist nicht nur für Deutschland entscheidend, sondern für die ganze EU.
Als größtes Land und dominierende Wirtschaft der Union ist Deutschland entscheidend dafür, dass die EU bei ihrer grünen Umstellung in den kommenden Jahren ins Ziel kommt - nicht nur direkt durch seine eigenen Emissionen, sondern großteils auch als tonabgebendes politisches Machtzentrum. Die Grünen haben nicht die Wahl bekommen, von der sie geträumt haben. Aber die Wahl ist zu einer Klimawahl geworden.“
Belgien:
„De Tijd“: „Nach der letzten Bundestagswahl dauerte es fast sechs Monate, ehe in Deutschland eine neue Regierung auf die Beine gestellt wurde. Ein solches Szenario würden die Parteien diesmal gern vermeiden, doch die Karten sind ebenso schwierig verteilt wie damals. (...)
Da Angela Merkel jetzt nicht mehr dabei ist, gerät auch Deutschland in eine instabile Phase. Es wird ein Neustart gebraucht, der eine neue Stabilität ermöglicht. Das ist eine schwierige Aufgabe, denn die Wähler in Deutschland scheinen ebenso launenhaft geworden zu sein wie jene im Rest Europas.
Eine baldige Koalitionsbildung in Deutschland - mit welchen Farben auch immer - wäre für Europa das beste Zeichen für Sicherheit. Doch für die angestrebte Stabilität gibt es keine Garantie. Auch in Deutschland scheint der Konsens verloren gegangen zu sein. Und das ist keine gute Nachricht - weder für Deutschland, noch für den Rest Europas.“ (dpa)