Saturday, September 25, 2021
Rainer Maria Woelki: Franziskus wagt es wieder nicht
Rainer Maria Woelki: Franziskus wagt es wieder nicht
Georg Löwisch vor 14 Std.
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In der Missbrauchsaufarbeitung hat Kardinal Woelki zusätzliches Vertrauen verspielt. Der Papst hält an ihm fest – und entfernt seine Kirche noch weiter von der Welt.
Franziskus lässt den Kölner Kardinal Woelki im Amt. © Filippo Monteforte/AFP/Getty Images Franziskus lässt den Kölner Kardinal Woelki im Amt.
Am Ende bleibt die Frage: Wo steht dieser Papst? Auf der Seite der Kinder, Jugendlichen und Eltern, die der Kirche vertraut haben? Oder aber: auf der Seite der Priester, die anderen Gewalt angetan haben? Auf der Seite der Bischöfe und Klerikalbürokraten, die Taten vertuschten? Auf der Seite eines Kardinals, der in der Missbrauchsaufarbeitung zusätzliches Vertrauen verspielt hat?
Franziskus lässt den Kardinal im Amt. Rainer Maria Woelki soll ab sofort eine Auszeit nehmen. Solange hat er nichts zu sagen. Bis dahin führt ein Weihbischof das Erzbistum Köln.
Es gebe keinen Hinweis darauf, dass Woelki im Umgang mit Fällen sexuellen Missbrauchs rechtswidrig handelte, notiert der Heilige Stuhl in einer Mitteilung. Er habe inzwischen etwas für die Prävention getan, arbeite daran, die Empfehlungen eines Gutachters umzusetzen. Dennoch habe der Kardinal in der Aufarbeitung große Fehler begangen. Und damit zu einer Vertrauenskrise beigetragen. Was Franziskus da formulieren ließ, ist keine Entlassung. Es ist aber auch keine Entlastung.
Jede Entlassung demontiert das Bild, das die Kirche von sich erzeugen will
Aus der Binnenlogik der römisch-katholischen Kirche mag der Schritt einleuchten. Der Klerus ist auf Angst vor dem Gesichtsverlust gebaut, aber auch auf der Sicherheit, dass die Institution die Ihren so lange schützt, wie es geht. Jede Entlassung eines Kirchenfürsten demontiert das Bild, das die Kirche von sich erzeugen will. Bischöfe werden als Prunkgestalten verstanden, die man nicht einfach absägt. Dazu braucht es ein kirchengerichtliches Verfahren. Oder der Betreffende bietet seinen Rücktritt an. So hat es kürzlich ein polnischer Bischof getan. Franziskus hat angenommen. Manche stürzt er also auch.
Aber Woelki will einfach nicht von selbst gehen. Und eine Absetzung rein aus seiner Macht heraus war dem Papst offenkundig zu brachial. Zumal das Erzbistum Köln eines der größten der Welt ist. Franziskus tat es lieber nicht.
Außerhalb der vatikanischen Welt wirkt das bizarr, für die Betroffenen muss es schockierend sein. Wie zynisch muss es für sie klingen, dass der Papst Woelki jetzt "seine Sorge um die Einheit der Kirche" zugutehält. Dabei hat der seine Diözese doch gespalten. Bizarr waren auch die anderen beiden jüngsten Entscheidungen des Papstes:
Reinhard Marx: Der Kardinal aus München stand wegen Fehlern im Umgang mit Missbrauchsfällen in früheren Jahren zwar unter Druck, aber nicht so sehr, dass er schon handeln musste. Er bot seinen Rücktritt nicht als Getriebener an. Das machte ihn souverän. Der Papst hat abgelehnt. Marx bleibt.
Stefan Heße: Dem Erzbischof von Hamburg wurden gleich in zwei Gutachten viele Pflichtverletzungen in seiner Zeit als Kölner Personalchef und Generalvikar nachgewiesen. Er stand unter starkem Druck, seine Verteidigungsversuche scheiterten, er bot Franziskus den Rücktritt an, es sah nach Aufgeben aus. Doch der Papst hat abgelehnt. Heße bleibt.
Und nun Woelki. Der Kardinal aus Köln startete mit einem großen Aufklärungsversprechen, beauftragte ein Gutachten, das er dann doch nicht wollte, verhedderte sich, wurde selbst beschuldigt, dann gutachterlich entlastet. Priester lehnten sich gegen ihn auf, Gläubige buhten ihn aus. Ein Rücktrittsgesuch wollte er nie stellen. Auch er bleibt.
Marx bleibt, Heße bleibt, Woelki bleibt. Wo bleibt das Vertrauen in die katholische Kirche? Franziskus wirkt wie einer, der am Herd vor einem Topf steht. Es brodelt, dampft und zischt. Der Mann am Herd legt einen Stahldeckel darauf, er schraubt ihn fest. Die Auszeit, die Woelki jetzt nehmen soll, ist das kleine Ventil, aus dem ein Teil der Hitze entweichen soll. Nur wenn der Kessel zu platzen droht, wird vielleicht noch mal neu darüber nachgedacht, ob der Kardinal aus der Auszeit wirklich zurückkehrt.
Und Woelki selbst? Er stellt es nach der Entscheidung des Papstes so dar, dass das mit der Auszeit seine Idee gewesen sei. Als sei er noch Herr über sein Schicksal. Er hat dem Papst von der Auszeit erzählt. Er hat den Papst darum gebeten. Er wolle sich zum Gebet zurückziehen. Der Papst habe ihm das gewährt.
Woelki hechelte dem Vertrauensverlust hinterher
Schon als Papst Franziskus zwei Ermittler nach Köln entsandte, deren Bericht jetzt seine Entscheidungsgrundlage war, verkündete Woelki das wie eine frohe Botschaft. Er wollte die Visitation nicht als Misstrauensvotum verstanden wissen.
Doch Woelki hätte die Visitation selbst anregen können. Selbst um die Auszeit bitten können. Das tat er nicht, aber es hätte ihn glaubwürdiger gemacht. Auch in der Missbrauchsaufarbeitung hat der Kardinal immer nur so viele Fehler eingeräumt wie nötig, und nur dann, wenn ihm nichts mehr anderes übrig blieb. Er hechelte dem Vertrauensverlust hinterher. Ein echtes Gespräch mit der Welt – er bringt es bis heute nicht zustande.
Wenn jemand sein Handeln nur andeutet, Gesten macht, Mimiken zeigt und dabei letztlich stumm bleibt, dann nennt man das Pantomime. Es ist der Abglanz eines Handelns. Die Aufführungen des Rainer Maria Woelki, sie nerven nur noch. Und dass der Papst an ihm festhält, zeigt, dass der Vatikan sich immer weiter entfernt von der Welt.