Saturday, September 25, 2021
Späte Genugtuung für Armin Laschet
WELT
Späte Genugtuung für Armin Laschet
Kristian Frigelj vor 2 Std.
|
Ein Vergleich mit Alemannia Aachen ist heikel. Das müsste Armin Laschet als Fußballkenner und FC-Bayern-Fan eigentlich wissen. Die Alemannia spielt längst nicht mehr in der Bundesliga, sondern viel weiter unten, in der Regionalliga West, und steht aktuell auf Platz 16. Trotzdem sagt Laschet am Samstagmittag laut ins Mikrofon: „Wir wollen immer gewinnen, ist ja klar, so wie Alemannia Aachen.“
Ihren letzten Wahlkampfauftritt einen Tag vor der Bundestagswahl absolvieren Bundeskanzlerin Angela Merkel und Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet in Aachen.
Der Unionskanzlerkandidat steht auf dem Burtscheider Platz im Stadtteil Aachen-Burtscheid, südlich vom Hauptbahnhof. Sein Reihenhaus liegt ganz in der Nähe. Laschet ist hier groß geworden, Kindergarten, Schule, Kirche, Gemeindehaus, Kneipen, Schnellimbiss, die früheren Fixpunkte seines Lebens liegen nur wenige Hundert Meter von diesem Platz entfernt.
Einige Dutzend CDU-Mitglieder sitzen unter Bäumen, geschützt von Sperrgittern, dahinter drängen sich mehrere Hundert Schaulustige, auch Kritiker. Laschet ist einen Tag vor der Wahl nach Hause gekommen und hat Angela Merkel mitgebracht. Sie soll dem rumpelnden Wahlkampf von Laschet den letzten entscheidenden Schub für ihre Partei geben.
„Armin, Armin!“
Seit Wochen liegt die Union in Umfragen zurück, zuletzt hat sich der Abstand auf die SPD wieder verringert, doch Laschets Beliebtheitswerte sind miserabel. In der Union gibt es die Hoffnung, dass sich die Demoskopen irren, wenigstens um ein paar Prozentpunkte.
„Armin, Armin“, rufen die Christdemokraten auf dem Platz. Es klingt fast wie Begeisterung. Auf einem großen Lebkuchenherz steht in Zuckergussschrift „Kanzler aus Aachen“. Das Herz wird kleinen Kindern in die Hände gedrückt, die es Pressefotografen zeigen.
Ein Mädchen übergibt Armin Laschet ein vielsagendes Lebkuchenherz.
Laschet hat in seinem politischen Leben schon häufig schlechte Ausgangslagen erlebt. Oftmals wurde er unterschätzt. Aber noch nie war es so dramatisch. Bei einer deutlichen Wahlniederlage wäre er als CDU-Parteichef nicht zu halten. Es geht nicht nur um sein politisches Überleben im Bund, sondern um die Regierungsmacht der Union.
Deshalb ist Merkel doch noch einmal gekommen. Eigentlich hatte sie sich strikt zurückhalten wollen. Sie mischte sich nach dem Rücktritt von CDU-Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer nicht in die Nachfolge ein, weder beim Vorsitz noch bei der Kür des Kanzlerkandidaten. Laschet musste sich mit anderen Unterstützern durchbeißen.
Merkel argumentierte immer mit ihrer Neutralitätspflicht als Kanzlerin, doch es gibt auch begründete Vermutungen in der Union, dass sie tief enttäuscht ist von der Partei. Laschet wiederum arrangierte sich zwischenzeitlich damit, dass Merkel kaum helfen würde, und betonte immer wieder, dass man sich das Kanzleramt allein „erkämpfen“ müsse.
SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz hat die auffällige Distanz zwischen Merkel und Laschet ausgenutzt. Er hat eine rote Reconquista begonnen, eine Rückeroberung sozialdemokratischer Themen, nachdem die SPD in den vergangenen Jahren häufig beklagt hatte, dass wichtige Entscheidungen immer mit der Kanzlerin nach Hause gegangen seien und nur der Union Auftrieb verschafft hätten.
Scholz imitierte Merkels unauffälligen, pragmatischen Weiter-so-Stil. Er stellte sich sogar vor die Kanzlerin, wenn es aus der Union Kritik an Entscheidungen in ihrer Regierungszeit gab. Damit hat er die CDU vollkommen überrascht. Die Regierungschefin ebenfalls.
Der Absturz in den Umfragen hat für die Union alles verändert. Es hat sich als strategischer Trugschluss herausgestellt, dass Kanzlerin und Kandidat derselben Partei komplett isoliert nebeneinander agieren könnten.
Angela Merkel ließ Laschet zum Abschluss des Wahlkampfes in Aachen im besten Licht erscheinen Quelle: dpa© dpa Angela Merkel ließ Laschet zum Abschluss des Wahlkampfes in Aachen im besten Licht erscheinen Quelle: dpa
Seit Anfang September engagiert sich Merkel nun plötzlich sehr intensiv. Es geht auch darum, das Erbe, ja die Deutungshoheit ihrer 16-jährigen Regierungszeit zu wahren. Im Bundestag hat Merkel überraschend Wahlkampf gemacht, sie warnte dort vor einer rot-rot-grünen Regierung.
Auf dem Burtscheider Platz in Aachen betont sie, es gehe darum, „dass Deutschland stabil bleibt“. Die Kanzlerin hält eine große Lobrede auf Laschet. Er führe als Ministerpräsident von NRW ein „sehr erfolgreiches Bundesland“, er habe sich stets für die europäische Einigung eingesetzt, sein politisches Leben sei vom Bemühen um Zusammenhalt bestimmt.
„Armin Laschet ist geprägt davon, Brücken zu bauen“, sagt Merkel. Sie gibt ihm recht, dass ein „Modernisierungsjahrzehnt“ notwendig sei.
Es ist keine zündende Rede, aber zumindest eine große, späte Genugtuung für Laschet. Der Kanzlerkandidat bedankt sich bei der Kanzlerin mit ähnlich ungelenken Komplimenten. Er erinnert an ihren politischen Weg aus der DDR und nach der Wiedervereinigung: „Dass jemand von da kommt und 16 Jahre Deutschland durch solche Krisen führt, war ein Glücksfall der Geschichte.“
Einmal noch bemüht er seine Warnung vor einem Linksbündnis. Es werde eine andere Republik geben. Man müsse die EU bewahren. „Glaubt irgendjemand, Rot-Rot-Grün würde das können?“, fragt Laschet. „Ja“, rufen einige Zuschauer.
„Das waren 23 Leute, die das glauben, der Rest der Deutschen glaubt das nicht“, entgegnet Laschet und erntet lauten Applaus. Die mögliche Bündnisvariante mit der Linkspartei mobilisiert die CDU-Anhänger, die anderen aber auch.
Laschet erinnert auch daran, dass Merkel schon einmal in Burtscheid war, 2017, einen Tag vor der NRW-Landtagswahl. Laschet war damals der Herausforderer von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD), und ein Machtwechsel war wenige Tage zuvor nach Umfragen realistisch geworden.
Bei der Wahl lag die CDU knapp vorn. Der Jubel war strahlender als der Sieg. Immerhin gelang ein Machtwechsel. CDU und FDP gründeten eine schwarz-gelbe Koalition, die mit einer Ein-Stimmen-Mehrheit im Parlament bislang stabil arbeitet.
Deshalb sieht Laschet die Anwesenheit Merkels als ein gutes Omen. „Weil sie heute wieder da ist, wird es auch morgen gelingen. Die CDU wird stärkste politische Kraft“, verspricht Laschet. Allein auf den Siegeswillen von Alemannia Aachen möchte er sich doch nicht verlassen.