Tuesday, September 28, 2021
Diese Razzia könnte für Olaf Scholz tatsächlich unangenehm werden
WELT
Diese Razzia könnte für Olaf Scholz tatsächlich unangenehm werden
Ulrich Exner vor 4 Std.
|
Der unangemeldete Besuch der Kölner Cum-Ex-Ermittler bei der Hamburger Finanzbehörde und im Privathaus des ehemaligen SPD-Strippenziehers Johannes Kahrs war überfällig – und könnte den Sozialdemokraten und ihrem möglichen Bundeskanzler Olaf Scholz noch einigen Ärger bescheren.
Der Cum-Ex-Skandal sitzt Olaf Scholz im Nacken Quelle: dpa/Michael Kappeler© dpa/Michael Kappeler Der Cum-Ex-Skandal sitzt Olaf Scholz im Nacken Quelle: dpa/Michael Kappeler
Kurz vor der Bundestagswahl hatte sich die SPD noch mächtig aufgeregt über die Staatsanwaltschaft Osnabrück. Die Behörde aus Niedersachsen hatte im Zuge von Geldwäsche-Ermittlungen das Bundesfinanzministerium ihres Kanzlerkandidaten Olaf Scholz durchsucht – sowohl vom Zeitpunkt als auch von der Form her eine mindestens umstrittene Maßnahme. Zwei Tage nach der Wahl könnten sich die gleichen Sozialdemokraten bei einer anderen Staatsanwaltschaft dagegen herzlich bedanken.
Der Besuch, den die Kölner Cum-Ex-Ermittler an diesem Dienstag der Hamburger Finanzbehörde, dem ehemaligen SPD-Strippenzieher Johannes Kahrs, dem früheren SPD-Innensenator Alfons Pawelczyk sowie einer Steuerbeamtin abstatteten, ist alles andere als umstritten. Er war eher überfällig.
Falls Polizei und Staatsanwälte finden, was sie suchen, könnte es jedenfalls unangenehm werden – für Kahrs, bis zu seinem überstürzten Rückzug vor eineinhalb Jahren als Sprecher des „Seeheimer Kreises“ einer der einflussreichsten Sozialdemokraten bundesweit und für die Elb-SPD. Vielleicht auch für Olaf Scholz, den Wahlsieger, potenziellen Bundeskanzler und früheren Ersten Bürgermeister der Hansestadt.
Der Hamburger Cum-Ex-Skandal beschäftigt die Hansestadt seit mehr als eineinhalb Jahren. Mit Cum-Ex-Geschäften wird das Verschieben von Aktien rund um einen Dividenden-Stichtag bezeichnet – um sich vom Staat Kapitalertragsteuer erstatten zu lassen, die gar nicht gezahlt wurde. Bundesweit gingen dem Staat so Milliardenbeträge verloren. In Hamburg hatte die Finanzbehörde 2016 zunächst darauf verzichtet, 47 Millionen Euro von der Privatbank Warburg aus solchen Geschäften zurückzufordern. Erst später wurde der Verzicht zurückgenommen.
Tagebücher eines Bankers werfen Fragen auf
Im Februar 2020, kurz vor der Bürgerschaftswahl, hatten diverse Medien Auszüge aus den Tagebüchern des Warburg-Miteigentümers Christian Olearius veröffentlicht, in denen dieser ausführlich seine Bemühungen um den Rückzahlungsverzicht des Stadtstaates schildert. Unter anderem ging es dabei um persönliche Treffen mit dem damaligen Ersten Bürgermeister Olaf Scholz im Jahr 2016, die von dem pensionierten Ex-Innensenator vermittelt worden seien.
Auch Kahrs, so ging es aus Olearius‘ Aufzeichnungen hervor, habe sich für die Warburg-Bank eingesetzt. Der Warburg-Chef wiederum „gewährte“, wie er so schön schrieb, der Partei des damaligen SPD-Bundestagsabgeordneten auf dessen Bitte hin 2017 diverse Parteispenden.
Nach einem Bericht des WDR hat die Kölner Cum-Ex-Ermittlerin, Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker, schon im vergangenen Jahr wegen des Verdachts der Begünstigung Durchsuchungen bei der Hamburger Finanzbehörde, bei Kahrs, Pawelczyk sowie einer damals für die Warburg zuständigen Steuerbeamtin beantragt.
Brorhilker soll damals zunächst „vom eigenen Hause erstmal gestoppt“ worden sein, weil ihr Verdacht aus Sicht der Behördenleitung zu vage gewesen sei. Erst nach einer Intervention der Staatsanwältin bei dem – Achtung – CDU-geführten Justizministerium in Düsseldorf, so berichtet es die Deutsche Presseagentur, habe es in der vergangenen Woche grünes Licht für die Durchsuchung gegeben. Die Staatsanwaltschaft Köln ist bundesweit zentral zuständig für die inzwischen als Straftat gewerteten Cum-Ex-Steuerdeals, bei denen der Staat mehrfach Steuern erstattet hat.
An diesem Dienstag wurden die Ermittler aus der Domstadt dann also doch noch in der Hansestadt vorstellig. Eine angesichts der ziemlich eindeutigen, einen Anfangsverdacht mindestens nahelegenden Tagebuch-Schilderungen des Bänkers Olearius mindestens fragwürdige Verzögerung. Eine Cum-Ex-Razzia in Hamburg, davon darf man sicher ausgehen, hätte im beginnenden Bundestagswahlkampf mit hoher Wahrscheinlichkeit für deutlich mehr Schlagzeilen, Vorwürfe und Debatten gesorgt als die Last-Minute-Aktivität der Osnabrücker Staatsanwaltschaft in einem bis dahin eher unspektakulären, von der Öffentlichkeit kaum beachteten Verfahren.
Scholz‘ Gedächtnislücken
Zumal an offenen Fragen auch nach eineinhalb Jahren kein Mangel ist in der Hamburger Cum-Ex-Affäre, die den SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz während seiner Kampagne stets ein wenig im Nacken gesessen hat, ihm aber im Wahlkampf selbst nie richtig gefährlich geworden ist. Vor allem die Grundsatzfrage, wie es eigentlich dazu kommen konnte, dass das zuständige Hamburger Finanzamt die Warburg-Bank zunächst zur Rückzahlung der auf Grundlage von Cum-Ex-Geschäfte erstatteten Steuern aufforderte, diese Forderung später, und zwar nach einem Treffen von Scholz und Olearius, wieder zurücknahm, ist nach wie vor ungeklärt.
Scholz selbst hat stets bestritten, in seiner Zeit als Bürgermeister irgendeinen Einfluss auf die Entscheidung der Hamburger Steuerbehörden genommen zu haben. Bei einer Befragung durch einen im November 2020 eingesetzten Untersuchungsausschuss beteuerte der inzwischen zum Bundesfinanzminister und Kanzlerkandidaten aufgestiegene Sozialdemokrat, dass sich „die Hamburger Verwaltung, der Bürgermeister, der Finanzsenator völlig korrekt verhalten haben. Es ist keine Intervention in einem Steuerverfahren erfolgt“. Diese Darstellung wurden von Mitarbeitern der Behörde auch bestätigt. An Details der Gespräche mit Christian Olearius mochte sich Scholz im Untersuchungsausschuss nicht erinnern.
Es sind unter anderem diese, für den ansonsten stets bestens präparierten Scholz, tatsächlich überraschenden Gedächtnislücken, die den Verdacht der Opposition in der Hamburger Bürgerschaft nähren, dass damals eben doch nicht alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Sowohl die CDU als auch die Linkspartei gehen davon aus, dass Scholz und sein damaliger Finanzsenator und späterer Nachfolger im Amt des Bürgermeisters Peter Tschentscher zumindest indirekt Einfluss auf die Steuerbehörden genommen haben. Sie wollen in den kommenden Monaten noch zahlreiche Zeugen in dem Fall vernehmen.
Auch Olaf Scholz soll noch einmal vor dem Untersuchungsausschuss erscheinen. Die Razzia in der Finanzbehörde und bei jenen beiden Parteifreunden, die das Treffen zwischen Bürgermeister und Bank-Chef eingefädelt hatten, wird diesem Auftritt mit Sicherheit zusätzliche Brisanz verleihen.
„Das sozialdemokratische Mantra hat nun Risse bekommen“
Die Opposition im Hamburger Rathaus sieht sich jedenfalls ebenso bestätigt wie die im Berliner Reichstag. „Das sozialdemokratische Mantra, es habe keine politische Einflussnahme oder Verquickung im Cum-Ex-Steuergeldskandal zwischen Hamburger SPD-Politikern und Eignern der Warburg Bank gegeben, hat nun endgültig riesige Risse bekommen“, kommentierte der CDU-Obmann im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss der Bürgerschaft, Richard Seelmaecker.
Die Durchsuchungen untermauerten den Verdacht, dass aus der Politik Einfluss auf die damalige Entscheidung des Finanzamts genommen worden sei. Fabio De Masi, demnächst ausscheidender Finanzexperte der Linkspartei im Bundestag, konstatierte, dass die Razzia den Cum-Ex-Skandal endgültig an den „potenziellen Bundeskanzler“ heranrücke.
Bei den Durchsuchungen in Hamburg, so hieß es in einer Mitteilung der Kölner Staatsanwaltschaft, seien „beweisrelevante Unterlagen und beweiserhebliche Kommunikation“ sichergestellt worden. Anlass für die Maßnahme seien vorhergehende Ermittlungen gewesen, die „Anhaltspunkte für strafrechtlich relevantes Verhalten der Beschuldigten im Zusammenhang mit verfahrensgegenständlichen Cum-Ex-Geschäften eines in Hamburg ansässigen Kreditinstituts ergeben“ hätten. Als Beschuldigte gelten laut Deutscher Presseagentur Kahrs, Pawelczyk und die Steuerbeamtin.
Hamburgs amtierender Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) betonte, dass seine Behörde selbst nicht beschuldigt werde und versprach: „Wie der Untersuchungsausschuss können auch die Strafverfolgungsorgane selbstverständlich umfassend Einblick in die Akten und behördeninternen Abläufe nehmen.“ Ob und wem das am Ende hilft, wird sich allerdings vermutlich erst zeigen, wenn die anstehenden Koalitionsverhandlungen in Berlin längst beendet sind.