Saturday, January 4, 2025
Was war 2024 für ein Politikjahr in der Schweiz!
watson
Die Bürgenstock-Konferenz war 2024 ein Höhepunkt für Viola Amherd und Ignazio Cassis. Wie lange machen sie noch weiter?
Ein Doppelrücktritt im Bundesrat? Das bringt das Politikjahr 2025
Nach einem bewegten 2024 dürfte es in der Schweizer Politik etwas ruhiger werden. Doch der Streit in der Europafrage und vor allem um die Bundesfinanzen wird sich fortsetzen.
01.01.2025,
Gläubige beten für den Frieden und produzieren Illusionen
Was war 2024 für ein Politikjahr in der Schweiz! Es gab vier befrachtete Abstimmungssonntage mit emotionalen Vorlagen und unerwarteten Ergebnissen. Das drohende Finanzloch beim Bund mit Mehrausgaben für AHV und Armee hielt das Parlament auf Trab. Zur Ukraine-Konferenz auf dem Bürgenstock reiste so viel politische Prominenz wie nie zuvor in die Schweiz.
Als «Schlussfeuerwerk» wurden schliesslich am selben Tag – welch ein planerisches «Meisterstück» – der Bericht der Parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK) zum Untergang der Credit Suisse und das Ergebnis der Verhandlungen über ein Vertragspaket mit der EU veröffentlicht. Zur Abrundung fehlte eigentlich nur ein Bundesrats-Rücktritt.
Ein Laptop zeigt eine Praesentation mit dem Slogan "Nein zur Preisexplosion" an, vor Beginn einer Medienkonferenz des ueberparteilichen Komitees "Nein zur Verarmungsinitiative", am ...
Das Komitee gegen die Umweltverantwortungsinitiative dürfte am 9. Februar leichtes Spiel haben.
Bild: keystone
Eine derartige Häufung an schlagzeilenträchtigen Ereignissen, die ungewöhnlich ist für unser vermeintlich langweiliges Land, ist im neuen Jahr nicht absehbar. Manches spricht für ein unspektakuläres 2025. Doch einige der erwähnten Themen bleiben auf der Traktandenliste und werden für intensiven Gesprächsstoff sorgen. Ein Überblick:
Abstimmungen
2024 war ein denkwürdiges Jahr. National wurde über zwölf Vorlagen abgestimmt. Verantwortlich war ein «Nachholeffekt»: In der zweiten Hälfte des Wahljahres 2023 fanden keine Sachabstimmungen statt. Am Ende musste der Bundesrat die hohe Zahl von fünf Niederlagen verbuchen, während die Linke bei neun der zwölf Vorlagen auf der Siegerseite stand.
In fünf Fällen setzten SP und Grüne sich gegen SVP, FDP und Mitte durch, eine einmalige Bilanz. Doch schon beim ersten Termin 2025 am 9. Februar ist eine Rückkehr zur «Normalität» absehbar. Die Umweltverantwortungsinitiative der Jungen Grünen steuert gemäss den ersten Umfragen von SRG und Tamedia auf ein klares Nein zu.
Daneben ist derzeit nur eine Vorlage abstimmungsreif: die im Dezember beschlossene Objektsteuer auf Zweitliegenschaften, mit der die Bergregionen für die Ausfälle durch die ebenfalls beschlossene Abschaffung des Eigenmietwerts entschädigt werden sollen. Sie untersteht dem obligatorischen Referendum, braucht also das Volks- und das Ständemehr.
Das bedeutet der überraschende Entscheid zum Eigenmietwert
Die Abstimmung dürfte im Mai oder September stattfinden. Die Objektsteuer wird es schwer haben, und bei einem Nein wäre auch das Aus für den Eigenmietwert vom Tisch. Ansonsten sind weder Initiativen noch Referenden spruchreif. Bei der E-ID scheint dem Parlament im zweiten Anlauf ein Kompromiss gelungen zu sein, mit dem alle leben können.
Es dürfte ein ruhiges Abstimmungsjahr geben. Das wird sich 2026 ändern. Dann könnten drei Vorlagen mit SVP-Bezug vors Volk kommen: die Neutralitätsinitiative, die Initiative zur Halbierung der SRG-Gebühren und die Volksinitiative gegen die 10-Millionen-Schweiz. Auch über die Aufhebung des AKW-Bauverbots könnte bis Anfang 2027 abgestimmt werden.
Europa
Der kurz vor Weihnachten verkündete Abschluss der Verhandlungen mit der EU war ein «Paukenschlag», der prompt für heftige Reaktionen von verschiedenen Seiten sorgte. Nun wird der erst auf Englisch vorliegende Vertragstext in die drei Amtssprachen übersetzt. Die finale Version soll danach von den Chefunterhändlern «abgesegnet» werden.
Vor der Sommerpause könnte der Bundesrat das Vertragspaket in die Vernehmlassung schicken und es Anfang 2026 an das Parlament weiterleiten. Eine Volksabstimmung wird es gemäss den aktuellen Planspielen erst 2028, also nach den nächsten Wahlen, geben. Dabei spielen die Gespräche der Sozialpartner zum Lohnschutz eine wichtige Rolle.
Die Exponenten des Gewerkschaftsbunds wettern gegen dessen angebliche Schwächung. Ende Januar sollen an einer Delegiertenversammlung konkrete Forderungen beschlossen werden. Und die FDP will gemäss Präsident Thierry Burkart ihre Basis vermutlich schon im Juni zum Vertragspaket befragen. Für Zoff in der Europafrage ist auch 2025 gesorgt.
Aussenpolitik
Mit dem Abschluss der EU-Verhandlungen dürfte es aussenpolitisch ruhiger werden, zumal auch das zweijährige Mandat der Schweiz im UNO-Sicherheitsrat zu Ende ist. Unklar ist, wie es nach der organisatorisch erfolgreichen, aber inhaltlich dürftigen Bürgenstock-Konferenz in der Ukraine-Frage weitergeht. Die Schweiz könnte dabei keine zentrale Rolle mehr spielen.
Einen Bezug zur Aussenpolitik gibt es auch beim Dauer-Reizthema Asyl. Hier gab es zuletzt eine gewisse Entspannung, die Zahl der Gesuche ist rückläufig. Im November 2024 war sie 26 Prozent tiefer als im Vorjahresmonat. Es wäre eine willkommene Verschnaufpause für Asylminister Beat Jans, dessen bisherige Bilanz als durchzogen bewertet wird.
Bundesrat
Als Bundespräsidentin 2025 nimmt Karin Keller-Sutter (FDP) die Zügel in die Hand. Man traut ihr eine Konsolidierung der in letzter Zeit durch Turbulenzen (etwa den plötzlichen Tod von Vizekanzler und Bundesratssprecher André Simonazzi) erschütterten Landesregierung zu. Keller-Sutter und Albert Rösti gelten als «starkes Duo» im Bundesrat.
Warum es frostig wird: Wem Keller-Sutter als Bundespräsidentin in die Quere kommen könnte
Dafür könnte es zu Rücktritten kommen. Über den Abgang von Viola Amherd (Mitte) wird schon länger spekuliert. Auch der 63-jährige Ignazio Cassis (FDP) könnte aufhören und den EU-Showdown einer Nachfolgerin oder einem Nachfolger überlassen. Der amtsälteste Bundesrat Guy Parmelin (SVP) hingegen dürfte 2026 sein zweites Präsidialjahr absolvieren, sofern die Gesundheit mitspielt.
Gegen einen Cassis-Rücktritt spricht, dass die Schweiz 2026 den Vorsitz der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) übernehmen wird. Ein Doppelrücktritt mit Viola Amherd wäre trotzdem reizvoll: Es käme vermutlich zu einem «Waffenstillstand» von FDP und Mitte. Die Freisinnigen könnten vorerst ihren wackeligen zweiten Sitz sichern.
Altersvorsorge
Elisabeth Baume-Schneider (SP) wird ein guter Start im Innendepartement attestiert, nicht zuletzt angesichts eines für sie anforderungsreichen Abstimmungsjahres. Nun aber folgt die Bewährungsprobe. Der Bundesrat will die 13. AHV-Rente mit einer höheren Mehrwertsteuer finanzieren, doch die Bürgerlichen wollen diese Frage in der nächsten AHV-Reform regeln.
Das Parlament hat sie für 2026 «bestellt». Baume-Schneider kündigte in der SRF-«Rundschau» an, im ersten Halbjahr 2025 dem Bundesrat die Eckwerte zu präsentieren. Bei der beruflichen Vorsorge (BVG) hingegen wird nach dem klaren Scheitern der Reformvorlage im September auf absehbare Zeit nichts gehen. Damit dürften die Pensionskassenrenten weiter sinken.
Budget
Josef Dittli, FDP-UR, spricht zur Finanzierung der Armee, an der Sommersession der Eidgenoessischen Raete, am Montag, 3. Juni 2024 im Staenderat in Bern. (KEYSTONE/Alessandro della Valle)
Der Urner FDP-Ständerat Josef Dittli sprach in der Budgetdebatte Klartext.
Entgegen manchen Befürchtungen beginnt 2025 beim Bund nicht mit einem «Notbudget». Die bürgerliche Mehrheit im Parlament konnte im Dezember einen mit der Schuldenbremse konformen Voranschlag verabschieden. Demnächst will Finanzministerin Karin Keller-Sutter ein Entlastungspaket vorlegen, basierend auf den Vorschlägen der Expertengruppe Gaillard.
Dessen Erfolgschancen sind ungewiss. Dabei dürften sich die Verteilkämpfe verschärfen, denn die Armee soll nach dem Willen der Bürgerlichen noch mehr Geld erhalten. Auch bei der AHV wird der Anteil des Bundes zunehmen, nicht nur wegen der 13. Rente. Dies mit Kürzungen etwa bei der Entwicklungshilfe zu kompensieren, dürfte schwierig werden.
Der Urner FDP-Ständerat Josef Dittli sprach am Ende der Wintersession Klartext: «Was aber sicher nicht geht, ist, gleichzeitig die Schuldenbremse einzuhalten, den Ausbau der Armee rasch voranzutreiben und auf höhere Steuern zu verzichten. Da streuen wir uns nur Sand in die Augen.» Mehreinnahmen sind somit auch für Bürgerliche kein Tabu mehr.
Der Streit ums Geld hat 2024 geprägt und wird sich im Politikjahr 2025 fortsetzen. Hinter vorgehaltener Hand zeigen sich selbst Armeefreunde verärgert darüber, dass es dem Verteidigungsdepartement von Viola Amherd bislang nicht gelungen sei, ein klares Konzept für die Aufrüstung des Militärs vorzulegen. Sie geben in diesem Punkt sogar der SP recht.
Wie drei bürgerliche Politiker dem Budget in der Schweiz zum Durchbruch verhalfen
Es dürfte 2025 in der Schweizer Politik etwas ruhiger werden, aber nicht ruhig. Auch in Albert Röstis UVEK gibt es Konfliktpotenzial, von der Umsetzung des im Juni 2024 angenommenen Stromgesetzes über die Abschüsse des Wolfs bis zum Ausbau von Strasse und Schiene. Bei Letzterem zeichneten sich zuletzt happige Mehrkosten ab.
Der PUK-Bericht zum CS-Debakel wird die Politik ebenfalls weiter beschäftigen. Er soll in der Frühjahrssession 2025 im Parlament behandelt werden. Der Bundesrat hatte ihn in einer ersten Stellungnahme nach der Veröffentlichung eher ungnädig aufgenommen. Doch wie im Text erwähnt: So richtig zur Sache dürfte es erst 2026 wieder gehen.