Tuesday, January 28, 2025

SPD-Oberbürgermeister von Fürth: „Bürger haben Angst, in den Park zu gehen“

Tagesspiegel SPD-Oberbürgermeister von Fürth: „Bürger haben Angst, in den Park zu gehen“ Daniel Friedrich Sturm • 18 Std. • 4 Minuten Lesezeit Der Fürther Oberbürgermeister Thomas Jung (SPD) fordert eine stärkere Kontrolle des Zuzugs. Außerdem müsse der Familiennachzug an Wohnraum und Einkommensnachweise geknüpft werden, meint er. Herr Oberbürgermeister, was brennt Ihnen und Ihrer Stadt in der Migrationspolitik unter den Nägeln? Wir brauchen dringend Arbeitskräfte, denken Sie etwa an die Pflege oder den Einzelhandel. Wir sind auf Zuzug von tüchtigen, fleißigen Arbeitskräften aus dem Ausland angewiesen. Da gibt es weit überwiegend großartige Erfolgsgeschichten. Daneben müssen wir die Sorge vieler Menschen um die Sicherheit in Deutschland ernst nehmen und dafür etwas tun. Meine Heimatstadt Fürth ist seit 20 Jahren die sicherste Großstadt Deutschlands. Aber auch bei uns haben viele Menschen Angst vor Gewalt, wie ich es noch nie erlebt habe. Ist diese Angst begründet? In Fürth gab es bisher keine Messerattacke, wie andere Städte sie erleben mussten. Aber die beispiellose Serie brutaler Straftaten im ganzen Land, von Solingen über Mannheim und Magdeburg bis hin zu Aschaffenburg, haben sich den Menschen in ganz Deutschland ins Bewusstsein eingebrannt. Diese schreckliche Serie hat das subjektive Bewusstsein verändert. Bei uns in der Stadt hatten Menschen nie Angst, den Weihnachtsmarkt zu besuchen. Bürger schildern mir, sie hätten Angst, jetzt in den Park oder auf die Kirchweih zu gehen. Das ist neu. Der Staat entscheidet über Zuwanderung, nicht irgendwelche Schlepperbanden. Thomas Jung, SPD, OB von Fürth Was sind Ihre Wünsche an die Bundespolitik? Die starken Parteien der Mitte, also SPD und Union, müssen sich zusammensetzen und so schnell wie möglich gemeinsame Maßnahmen beschließen und danach umsetzen. Wir brauchen eine Willkommenskultur, mit der gute, fleißige und arbeitswillige Menschen nach Deutschland ziehen. Daneben müssen wir kontrollieren, wer nach Deutschland kommen und bleiben darf. Das ist eine Kernaufgabe des Staates. Der Staat entscheidet über Zuwanderung, nicht irgendwelche Schlepperbanden. Aus Ihrer SPD heißt es immer wieder, eine systematische Kontrolle der deutschen Grenze sei nicht grundgesetz- und europarechtskonform. Stimmt das? Wenn wir uns hinter Europa verschanzen, schüren wir Europafeindlichkeit. Gesetze kann man verändern, ja, das ist die Aufgabe der Politik. Mehrfach, etwa 1993, haben wir das Grundgesetz verändert. Wer ehrlich ist, gibt zu: Die Drittstaatenregelung und das Dublin-Abkommen funktionieren nicht. Das ist nicht europarechtskonform! Nach europäischem Recht darf eigentlich faktisch kein Asylbewerber in Deutschland seinen Asylantrag stellen. Sollten Asylbewerber arbeiten? Arbeit schadet niemandem, weder demjenigen, der arbeitet, noch der Gesellschaft. Es ist sehr viel Arbeit zu tun. Deswegen bin ich dafür, dass Asylbewerber arbeiten dürfen und müssen. Sie hadern mit dem Familiennachzug. Warum? Familiennachzug ist erst einmal positiv, er stabilisiert, ist christlich und human. Aber Familiennachzug sollte voraussetzen, dass der Unterhalt der Familie gesichert und Wohnraum vorhanden ist. Im Moment ist es so: Ein Mensch, meistens ein Mann, lebt in Deutschland in einem kleinen Zimmer in einer WG. Dann kommen viele Familienangehörige nach. Für sie gibt es keinen Wohnraum und kein Einkommen. Sie landen in der Obdachlosigkeit. Familiennachzug ja, aber gekoppelt an den Nachweis von Wohnraum und Erwerbseinkommen. Thomas Jung, SPD, OB von Fürth Und dann? Bei uns kommen sie dann in ein Obdachlosenheim, wo im schlimmsten Falle Kinder auch neben Drogenabhängigen oder Alkoholikern aufwachsen. Das ist zutiefst inhuman. Wir haben in Fürth fast jeden Monat einen solchen Fall von Familiennachzug. Meine Sozialamtsleiterin sagt mir: Unser neues Obdachlosenheim – 100 Plätze und Baukosten von zehn Millionen Euro – wird zum Jahresende voll sein. Das ist die systematische Überforderung einer Kommune. Deswegen: Familiennachzug ja, aber gekoppelt an den Nachweis von Wohnraum und Erwerbseinkommen. Beziehen die ukrainischen Geflüchteten zu Recht Bürgergeld? Nein. Das ist eine schwierige Frage. Aber oft haben wir Frauen mit Kindern ohne gute Sprachkenntnisse. In Fürth arbeitet aktuell nur jeder zehnte Ukrainer. Das ist eindeutig zu wenig. Wir haben in Fürth etwa 1000 arbeitsfähige Ukrainerinnen und Ukrainer, die nicht arbeiten, und etwa 1000 offene Stellen. Das passt natürlich nicht eins zu eins zusammen. Aber dass 1000 Stellen offen sind und 1000 arbeitsfähige Ukrainer nicht arbeiten in einer Stadt, geht auf Dauer nicht. Wer soll das verstehen? Kanzler Olaf Scholz (SPD) versprach 2023, er wolle „endlich im großen Stil abschieben“. Die Zahlen steigen, lagen aber schon weit höher. Was erwarten Sie? Die Zahlen gehen ja erfreulicherweise nach oben. 70 Prozent Steigerung in der Ampel-Zeit ist schon ein Erfolg. Bund und Länder müssen hier aber dringend weiter handeln. Wer ausreisepflichtig ist, muss ausreisen oder abgeschoben werden. Ausreisepflichtige Straftäter gehören inhaftiert, dann abgeschoben. Alles andere ist inakzeptabel. Sollten SPD und Grüne einen Teil der Forderungen von Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz im Bundestag unterstützen? Ich bin über die Polarisierung zwischen den Parteien in der Mitte unglücklich. Ich hoffe, dass wir in vier Wochen eine Regierung der Mitte in unserem Land bekommen werden. Friedrich Merz hat einen Konsens vor der Wahl durch seine Inszenierung erschwert. Sie setzen darauf, dass eine große Koalition aus Union und SPD nach der Wahl gemeinsam handelt? Ja, mit einer möglichst starken SPD. Die 20 Prozent für die SPD sind in jedem Fall möglich, auch wenn es nicht einfach wird. Danach müssen SPD und Union sich rasch verständigen.