Wednesday, January 22, 2025
Gastkommentar von Gabor Steingart - Habecks Spar-Angriff entlarvt den Grünen als populistischen Sankt Martin
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Gastkommentar von Gabor Steingart - Habecks Spar-Angriff entlarvt den Grünen als populistischen Sankt Martin
Gastautor Gabor Steingart (Berlin) • 1 Std. • 3 Minuten Lesezeit
Robert Habeck und der Goldesel: So einfach ist es in der Realität nicht.
Habecks Spar-Angriff auf Aktionäre als Unsinn abzutun, greift zu kurz. Es gibt fünf realpolitische Argumente, die für die Debatte wichtig sind. Dann zeigt sich: Der grüne Kanzlerkandidat ist ein linkspopulistischer Sankt Martin.
Friedrich Merz hat Robert Habecks Vorschlag, Aktionäre sollten Sozialbeiträge zahlen, „Unsinn“ genannt. Das ist knapp unterhalb der Schwelle zum Argument. So überzeugt man nur die Überzeugten.
Habeck hat sich ja nicht verplappert. Er bedient in seinem neuen Buch („… es ist nicht so, dass der Staat alle Einnahmemöglichkeiten ausgeschöpft hat …“) bewusst das von vielen Menschen geteilte Gefühl, dass Vermögende vom Staat begünstigt und Arbeitnehmer benachteiligt würden. Dahinter steckt der populäre Gedanke, es gebe eine geheimnisvolle Umverteilung von unten nach oben.
Diese Debatte gehört vom ideologischen Kopf auf die realpolitischen Füße gestellt. Hier die fünf Argumente, die Merz sich erspart hat, die zur Erwiderung aber wichtig sind.
#1 Reiche zahlen reichlich
In Deutschland tragen die einkommensstärksten Steuerpflichtigen überproportional zum Steueraufkommen bei. Betrachtet man spezifisch die Einkommensteuer, so zeigen die Zahlen des Finanzministeriums von 2024, dass das reichste Zehntel der Bevölkerung rund 57 Prozent des gesamten Einkommensteueraufkommens trägt. Die oberen ein Prozent zahlen knapp 24 Prozent.
Alle Vielverdiener werden, sobald sie Aktionäre sind, nochmal besteuert. Erst nach Abzug der Einkommensteuer (42 Prozent ab einem Einkommen von 66.000 Euro und 45 Prozent ab einem Einkommen von über 278.000 Euro bei Ledigen) kann das Nettoeinkommen (oder Teile davon) am Aktienmarkt angelegt werden.
Alle Gewinne oberhalb von 1.000 Euro, obwohl sie bereits aus versteuertem Einkommen erzielt werden, unterliegen einer pauschalen Abgeltungssteuer in Höhe von 25 Prozent des Gewinns. Wer also eine Million an der Börse verdient, führt 250.000 Euro ab. Damit der Aktionär das auch nicht vergisst, führt die Bank die Überweisung ans Finanzamt automatisch aus.
Werden diese bereits zweifach steuerlich behandelten Gelder nun dem Häuserkauf zugeführt, muss zusätzlich die Grunderwerbsteuer entrichtet werden. Das bedeutet, der Vielverdiener kommt mehrfach an der Staatskasse vorbei, um seine Tribute zu entrichten. Er wird nicht geschont, er wird gemolken.
#2 Geringverdiener werden alimentiert
Im Gegenzug sind mehr als 20 Millionen Menschen von der Einkommensteuer befreit, da ihr zu versteuerndes Einkommen unterhalb des Grundfreibetrags liegt. Diese Gruppe umfasst etwa 30 Prozent der erwachsenen Bevölkerung und setzt sich zusammen aus Geringverdienern, Rentnern und Auszubildenden.
Diese Menschen werden von der Gesellschaft teilweise oder lebenslang alimentiert. Sie tragen nicht die Kosten, die der Staat durch seinen Straßenbau, das Bildungswesen, die Polizei und die Armee für sie aufbringt. Dasselbe gilt im Rentensystem (100 Milliarden Staatszuschuss) und im Gesundheitssystem, wo ihre Beiträge die verursachten Kosten für Pflege und medizinische Versorgung nicht decken und mit 14,5 Milliarden aus der Steuerkasse subventioniert werden müssen.
#3 Aktionäre müssen doppelt ran
Kapitalbesitzer könnte man sicherlich höher besteuern, aber nicht mit dem Argument, sie würden bislang kaum rangenommen. Das Gegenteil ist richtig: Sie werden härter rangenommen.
Kapitalerträge müssen in Deutschland grundsätzlich zweimal versteuert werden, einmal im Unternehmen und einmal beim Aktionär. Die Unternehmensbesteuerung beträgt im Unternehmen circa 30 Prozent des erwirtschafteten Gewinns. Dieser Betrag wird direkt vom Finanzvorstand an das Finanzamt abgeführt. Aus dem, was übrig bleibt, werden Dividenden bezahlt, die dann wiederum um 25 Prozent Abgeltungssteuer verkürzt werden.
Das bedeutet: Arbeitseinkommen werden gegenüber Kapitalerträgen nicht benachteiligt. Es gibt hier keine Gerechtigkeitslücke.
#4 Aktienkultur kann sich so nicht entwickeln
Die aktuelle Diskussion tut der Aktienkultur in Deutschland nicht gut. Denn die Aktionäre und solche, die es erst noch werden wollen, gewinnen den Eindruck, sie seien die Reservekasse des Staates.
Für alle Bemühungen, mehr Menschen zur privaten Vorsorge zu bewegen, ist dieser Eindruck kontraproduktiv. Schon heute ist die Aktionärsquote in Deutschland (unter 20 Prozent) gegenüber der von Ländern wie Frankreich, der Schweiz und den USA gering. Die Dividende ist ja nicht nur der ausgeschüttete Unternehmensgewinn, sondern auch die Risikoprämie des Aktionärs, die ihn für Verlustjahre entschädigt. Denn spätestens beim Verlust, zum Beispiel im Falle eines Börsencrashs, steht der Anleger oft alleine da. Gewinne des einen Jahres können nur eingeschränkt mit Verlusten des anderen Jahres verrechnet werden.
#5 Der Systembruch und seine Folgen
Krankenkassenbeiträge auf Aktiengewinne sind keine Steuern, sondern begründen das Anrecht auf Gesundheitsleistungen. Damit wären alle Aktienbesitzer automatisch Mitglieder der gesetzlichen Krankenkasse und die privaten Krankenversicherungen de facto tot.
Hinzu kommt: Die Privatversicherten mit ihren deutlich höheren Beiträgen stellen eine wichtige Säule bei der Finanzierung des deutschen Gesundheitssystems dar. Deshalb mussten nach einer (laut Verfassung nicht zulässigen) Liquidierung der Privatversicherung die Krankenkassenbeiträge für alle erhöht oder die Gesundheitsleistungen für alle gekürzt werden. Der sozial gemeinte Vorschlag von Habeck verkehrt sich damit ins Unsoziale.
Fazit: Es gibt einen Populismus von rechts und einen von links. Robert Habeck hat im Wahlkampf als Sankt Martin seinen Auftritt. Der einzige Unterschied zum historischen Vorbild: Sankt Martin teilte den eigenen Mantel.