Thursday, January 2, 2025

Der unglückliche Kapitän auf dem britischen Staatsschiff

FR Der unglückliche Kapitän auf dem britischen Staatsschiff Sebastian Borger • 12 Std. • 3 Minuten Lesezeit Ein halbes Jahr nach dem Wahlsieg seiner Labour-Party kämpft Großbritanniens Premier Starmer weiterhin an gegen sein mangelndes Charisma, die Resignation im Volk und den brutalen Populismus. Die Wirtschaft stagniert, seine Labour-Party wird in Umfragen als „inkompetent und unehrlich“ denunziert, die Regierung macht Anfängerfehler – ein halbes Jahr nach seinem triumphalen Wahlsieg hat der britische Premier Keir Starmer wenig Grund zum Optimismus. Vieles habe er bereits angeschoben, sagte der 62-Jährige in seiner Neujahrsansprache. Dennoch würden viele Landsleute nicht gern an die Zukunft denken, „weil sie darum kämpfen, durch die nächste Woche zu kommen“. Und so verspricht Starmer für 2025 „unermüdliche Arbeit für weiteren Wandel“. In welcher Stimmung geht Starmer selbst ins neue Jahr? Hoffentlich ein wenig erholt: Mit seiner Familie hat er über das Jahresende ein wenig Sonne auf der portugiesischen Insel Madeira im Atlantik getankt. Die Pause kommt nach privat schwierigen Wochen: Am zweiten Weihnachtsfeiertag starb Starmers geliebter Bruder Nick nach langer Krankheit. „Er hat sich tapfer allen Herausforderungen des Lebens gestellt“, ehrte ihn der trauernde Bruder. Welche Herausforderungen hat die Regierung in den vergangenen sechs Monaten angepackt? Starmer weist da auf vier bereits beackerte Themenfelder hin: die deutliche Anhebung des Mindestlohns sowie den Anstieg der Reallöhne; mehr Abschiebungen ausländischer Krimineller; die avisierten Investitionen in erneuerbare Energiequellen; schließlich die bereitgestellten Milliarden für den von den Torys totgesparten und deshalb dauerhaft kriselnden Gesundheitsdienst NHS (ganz abgesehen vom Personalmangel dank Brexit). Ungenannt ließ Starmer in seiner Ansprache neue Gesetze zur endgültigen Entfernung Erb-Adeliger aus dem Oberhaus, zum Zigarettenkauf-Verbot für die zukünftige Generation und zur Überführung sämtlicher noch privater Eisenbahnen in eine Regierungsholding. Labour hat auch nicht davor zurückgescheut, sich unbeliebt zu machen. Freilich beging vor allem Finanzministerin Rachel Reeves dabei schwerwiegende PR-Fehler. So strich sie allen Rentner:innen den bisher unabhängig vom Einkommen gezahlten Heizkostenzuschuss, ohne darauf hinzuweisen, dass den Ärmeren auch weiterhin geholfen wird – davon abgesehen, dass die Renten ohnehin schneller steigen als die Reallöhne. Auch die überfällige Reform der Erbschaftssteuer für landwirtschaftlich genutztes Land wurde schlecht kommuniziert. Nun demonstriert die Bauernschaft dauernd vorm Parlament, obwohl die neue Regelung nur die Allerreichsten betrifft. Wie äußern sich die Britinnen und Briten? Wie in vielen westlichen Demokratien ungeduldig und genervt. Zwei Drittel sind unzufrieden mit der Regierung, eine große Mehrheit auch mit Starmer selbst. Dazu haben Enthüllungen über Gratistickets sowie Maßanzüge und Designer-Brillen beigetragen, mit denen sich der damalige Oppositionsführer beschenken ließ. Auch eine inhaltliche Dummheit aus Oppositionszeiten hängt Labour nach. Einem bereits 1995 beschlossenen Gesetz zufolge wurde das Rentenalter für Frauen von 60 auf 65 Jahre angehoben und damit den Männern angeglichen. Darüber sei nicht genug informiert worden, behauptete eine Lobbygruppe, auf deren Argumente Labour hereinfiel. Dabei war die Information ausreichend und beendete eine eklatante Benachteiligung von Männern im gleichen Alter. Das Geld für die geforderte Entschädigung sei nicht vorhanden, teilte Rentenministerin Liz Kendall jetzt mit – prompt war von Verrat die Rede. Unter Fachleuten bestehen wenig Zweifel, dass Labour Subventionen streichen und Steuern erhöhen muss, statt Staatsmittel zu verteilen – populär aber ist dies natürlich nicht. Wie positionieren sich die Medien? Die Labour-Regierung sah sich buchstäblich vom ersten Tag an im Kreuzfeuer der dominanten rechtsgerichteten Presse auf der Insel. Das reaktionäre Boulevardblatt „Daily Mail“ sowie der „Daily Telegraph“ lassen seither kein gutes Haar an Starmer und seinem Team. Zum Jahreswechsel erregten sich die Blätter über den Ritterschlag für den seit 2016 zweimal wiedergewählten Londoner Bürgermeister Sadiq Khan, eine besondere Reizfigur für viele im rechten Lager. Dass sein konservativer Kollege in Birmingham, Andy Street, der die zweite Wiederwahl im Frühjahr knapp verpasste und sich künftig ebenfalls Sir nennen darf, fiel dabei ebenso unter den Tisch wie die zahlreichen Titel für obskure Tory-Hinterbänkler während der vergangenen Jahre. Schwerer aus Labours Sicht wiegt die zunehmende Skepsis im linksliberalen Lager. „Diese Regierung darf nicht scheitern“, begann kürzlich eine „Guardian“-Kolumne – schon dies ein bemerkenswerter Satz angesichts Labours überwältigender Parlamentsmehrheit bis 2029. Anschließend ohrfeigte der normalerweise loyale „Guardian“-Kolumnist Jonathan Freedland – verbal – die Verantwortlichen in der Downing Street für ihre „alarmierend schlechte“ Informationspolitik. Dauernd neue „Aufgaben“, „erste Schritte“ oder „Meilensteine“ zu verkünden, stelle noch lang keine zusammenhängende Strategie dar.