Tuesday, January 28, 2025
Der Einfluss der Tech-Milliardäre: Die Broligarchen lassen ihre Muskeln spielen
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Der Einfluss der Tech-Milliardäre: Die Broligarchen lassen ihre Muskeln spielen
Jan-Werner Müller • 3 Std. • 6 Minuten Lesezeit
Sie fühlen sich sicher: Die Tech-Milliardäre Mark Zuckerberg, Lauren Sanchez, Jeff Bezos, Sundar Pichai und Elon Musk bei der Inauguration von Präsident Trump in Washington
Bernie Sanders führt das Wort seit Jahrzehnten im Mund, aber salonfähig schien in den USA der Ausdruck „Oligarch“ nur für wenige bekennende Sozialisten und vermeintlich unamerikanische Sozialneider. Nun warnte Joe Biden in seiner Abschiedsrede vor dem Entstehen einer Oligarchie, verbunden mit einem „technologisch-industriellen Komplex“. Worauf er anspielte, war Tage später in der Rotunda des Kapitols bei Trumps Amtseinführung zu bestaunen: Da saßen die Männer, die bei Meta, Amazon und Microsoft das Sagen haben, ganz vorne; erst hinter ihnen lugten ab und zu die Gesichter von Trumps Kabinettsmitgliedern hervor (deren Vermögen insgesamt nur klägliche sieben Milliarden Dollar beträgt). Doch muss man fragen: Taugt ein Begriff aus dem alten Griechenland sozialwissenschaftlich etwas, um Realitäten im 21. Jahrhundert zu fassen? Und gibt er normativ was her?
Oligarch ist nicht einfach ein Schimpfwort für Schwerreiche, anders als oft behauptet kennzeichnet es auch nicht einfach Herrschaft der wenigen. Strukturell haben in jeder repräsentativen Demokratie gewählte, keinem imperativen Mandat verpflichtete Politiker mehr Macht als wir einfachen Bürger – ein Problem, das sich auch nicht durch die derzeit so populäre Idee der Bürgerräte umgehen lässt. Oligarchie ist auch keine Kurzformel für die Tatsache, dass sich in jeder Organisation Eliten herausbilden, frei nach dem viel zitierten „Ehernen Gesetz der Oligarchie“, das Robert Michels Anfang des 20. Jahrhunderts formulierte (Michels wollte nicht zuletzt darauf hinweisen, dass auch in Parteien, die sich Gleichheit auf die Fahnen schreiben, Eliten bestimmen).
Oligarch ist nicht einfach ein Schimpfwort für Schwerreiche. Anders als oft behauptet kennzeichnet es auch nicht einfach eine Herrschaft der wenigen.
Oligarchie ist nicht gleich Elite. Oligarchie heißt – so schon bei Aristoteles – Herrschaft der Wohlhabenden (andersherum galt Demokratie als Herrschaft der Armen). Der Begriff ist also tief im westlichen politischen Denken verankert – aber er zählt wohl nicht zu den von Reinhart Koselleck analysierten geschichtlichen Grundbegriffen: Man kann die Moderne verstehen, ohne auf ihn zurückzugreifen; er war auch lange nicht Teil der politischen Alltagssprache, bevor er als Beschreibung von mächtigen Männern in Russland beliebt wurde.
Oligarchen, so der amerikanische Sozialwissenschaftler Jeffrey Winters – der die bedeutendsten Studien dazu vorgelegt hat – können ganz unterschiedliche politische Ansichten haben; manche sind konservativ, manche verfechten sehr progressive Ideen. Allen aber ist an der Erhaltung ihres Vermögens gelegen. Dieses Ziel kann mit unterschiedlichen Mitteln verfolgt werden. In der Vormoderne waren viele Oligarchen im Grunde Warlords – sie hatten ihre privaten Armeen. Andere waren, frei nach Max Weber, Patrimonialherren, die private und staatliche Macht vermischten. Heute verlassen sich Oligarchen jedoch auf Recht und einen unpersönlichen Staatsapparat, die Eigentum schützen; sie streben nicht nach Ämtern.
Macht kann man auch ohne Amt ausüben
Der Clou ist natürlich, dass man auch ohne Amt Macht ausüben kann. In den USA hatten Wohlhabende schon immer enormen Einfluss auf Politik; eine wahre Geldschwemme löste aber erst der Oberste Gerichtshof mit der Citizens-United-Entscheidung 2010 aus. Im Namen von Redefreiheit dürfen seitdem auch Unternehmen spenden – sie gelten als Personen, denen der Staat, getreu dem ersten Verfassungszusatz über free speech, nicht das Wort verbieten darf. Beim Wahlkampf 2024 stammten denn auch fünfzig Prozent der Zuwendungen bei den Republikanern von gerade einmal hundert sogenannten „Mega-Spendern“ (ein Verschleierungswort sondergleichen, suggeriert „Spender“ doch irgendetwas Wohltätiges). Zum Vergleich: Bei den Demokraten waren die hundert großzügigsten Geldgeber für weniger als zwanzig Prozent des Gesamtvolumens verantwortlich.
Damit ist nicht gesagt, dass Geld sich eins zu eins in gewünschte Gesetze oder Wahlerfolge umsetzt: Harris hatte mehr Mittel als Trump; Milliardäre wie Steve Forbes sind trotz unbegrenzter Mittel in der Politik grandios gescheitert (einer der amüsantesten Titel eines sozialwissenschaftlichen Aufsatzes lautet denn auch: „Warum gibt es so wenig Geld in der amerikanischen Politik?“ – denn wenn sich Gesetze verlässlich kaufen ließen, müsste eigentlich noch viel mehr Cash sprudeln).
Kann man eine Trennlinie zwischen Oligarchen und schlicht Wohlhabenden ziehen? Laut Winters wird zum Oligarchen, wer sich die Dienste der sogenannten „Einkommens-Verteidigungs-Industrie“ leisten kann. Auch sehr gut Verdienende können nicht ohne Weiteres hoch spezialisierte Anwälte und Buchhalter bezahlen, die Vermögen sicher (und anonym) in Steueroasen unterbringen; es braucht, so seine Schätzung, mindestens vier Millionen Dollar Jahreseinkommen. Oligarchen sind nicht die viel beschworenen oberen ein Prozent, sondern das oberste Zehntel des einen Prozents. Diese schaffen es dann auch mit legalen Tricks, weniger Steuern als die bei ihnen angestellten Sekretärinnen zu entrichten.
Elon Musk zahlte im Zeitraum von 2014 bis 2018 happige 3,4 Prozent Einkommensteuer; Trump zahlte viele Jahre gar keine. Mit einem cleveren „materiellen Machtindex“ zeigt Winters, dass die one percent ungefähr hundertmal so mächtig sind wie der typische Bürger innerhalb der unteren neunzig Prozent – die 400 reichsten Amerikaner jedoch sind gleich 22.000-mal so mächtig – mehr, als es ein römischer Senator im Vergleich zu einem Sklaven war.
Geld zum Schutz des eigenen Geldes
Wer enorm viel Geld zum Schutz seines Geldes lockermachen kann, wird dies tun. Wer es zudem vermag, die öffentliche Meinung zu beeinflussen, wird dies häufig auch tun: Berlusconi und der französische Unternehmer Vincent Bolloré sind zwei unrühmliche europäische Beispiele für den Umtausch von wirtschaftlicher Macht in Medienmacht – und letztlich politischen Einfluss. Berlusconi ging in die Politik, um sich die Justiz vom Leibe zu halten; Bolloré gelang es mithilfe seiner Zeitungen und Fernsehkanäle, den Rechts-außen-Kommentator Éric Zemmour zum Präsidentschaftskandidaten aufzubauen.
Der Philosoph Michael Walzer hat schon vor Jahren darauf hingewiesen, dass eine Umwandlung von einer Machtform in eine andere etwas zutiefst Ungerechtes hat: Man sollte sich beispielsweise Bewunderung als Künstler nicht kaufen können. Machtkonzentration lässt sich theoretisch mit Gesetzen verhindern; das neue, nicht unproblematische Anti-Oligarchen-Gesetz in der Ukraine verbietet es Tycoons, ein Medienimperium zu errichten. Die alten Griechen gingen so weit, durch das berüchtigte Scherbengericht jeden, der zu mächtig wurde, demokratieinkompatibel zu deklarieren und in die Verbannung zu schicken (entgegen dem modernen Vorurteil, das Ganze sei eine Sozialneid-Orgie und Volksaufhetzung gewesen, darf man daran erinnern, dass vom Ostrazismus Betroffene nicht moralisch verurteilt wurden, sie ihren Besitz behalten und nach der Rückkehr aus der Verbannung wieder politische Ämter übernehmen konnten).
Sichtbare Macht ist auch vulnerable Macht. Musk kauft sich nicht nur Twitter; er lässt auch die Verbindung zwischen Plattform-Macht, permanentem Rechts-außen-Messaging und Durchsetzung seiner Geschäftsinteressen deutlich werden. Dies markiert eine historische Zäsur: Oligarchen mussten in Demokratien immer eine gewisse Diskretion walten lassen; laut der Soziologin Brooke Harrington kann man Spezialisten dafür bezahlen, dass der eigene Name nicht auf der berühmten Forbes-Liste der reichsten Milliardäre auftaucht. Die neuere Rechtsprechung in den USA erlaubt zudem dark money, also Spenden, die niemandem zuzuordnen sind.
Heute lassen sich Oligarchen wie auf dem Silbertablett präsentierten. Einerseits kann Trump damit zur Schau stellen, wie er sich die Tech-Chefs gefügig macht – darin Putin vergleichbar. Andererseits wollen diese „Broligarchen“ – eine Verballhornung von „Tech-Bros“, also der sehr maskulinen Silicon-Valley-Kultur – offenbar auch bewundert, wenn nicht gar geliebt werden. Das ist keine soziologisch hilflose Psychologisierung: Oligarchen verbreiten sich heute mit Manifesten und Meinungsartikeln – so zuletzt Peter Thiel in einem Text in der „Financial Times“, der so prätentiös war, dass Beobachter davon ausgehen, der Milliardär mit philosophischen Ambitionen habe ihn tatsächlich selbst geschrieben.
Musks Stiftung gibt praktisch kein Geld aus
Die selbst gebastelten politischen Theorien der Silicon-Valley-Titanen passen ganz zufällig immer perfekt zum jüngsten Geschäftsmodell. Durchweg ist die Forderung: weniger Regulierung, mehr Freiheit nicht für die vielen, sondern für die wenigen, welche vermeintlich allein fähig sind, Technologien zur Rettung der Menschheit zu produzieren. Statt wie die Carnegies und Rockefellers – die robber barons der vorherigen Jahrhundertwende – sich mit Kultureinrichtungen Akzeptanz zu verschaffen, fühlen sich die heutigen Oligarchen offenbar so sicher, dass sie auf Philanthropie verzichten: Musks Stiftung gibt so gut wie kein Geld aus; Marsmissionen sollen offenbar reichen, um den Ruf als Wohltäter zu sichern.
Die Wette auf Trump ist bisher aufgegangen: Der neu-alte Präsident ist zum Krypto- und KI-Enthusiasten konvertiert, der rücksichtslos Regulierungen lockern möchte; ganz nebenbei wurde in der ersten Amtswoche auch die amerikanische Verwaltung durch Kürzungen im Kampf gegen Steuervermeidung geschwächt (obwohl Schätzungen zufolge 21 Prozent des Einkommens der Wohlhabendsten nicht versteuert wird); zudem stieg die Regierung aus dem OECD-Abkommen zur globalen Mindestbesteuerung aus.
Dass die neue ostentative Oligarchie einen backlash provoziert, ist unwahrscheinlich. Winters konstatiert, dass allein nach Kriegen und Wirtschaftskatastrophen wie der Großen Depression Oligarchen Vermögens- und Machtverluste erlitten. Eigentlich teilten die Wohlhabenden, die nicht wohlhabend genug sind, um sich einen Platz im Steuerparadies zu leisten, und untere Schichten ein Interesse daran, Oligarchen zumindest zur Kasse zu bitten: Nichtoligarchen zahlen durchschnittlich 15 Prozent mehr Steuern, weil Oligarchen dem Fiskus so wenig geben. Politisch hat jedoch bisher niemand eine derartige Allianz zu schmieden vermocht.