Thursday, December 14, 2023

Österreich: Ein "Ventil für seine Aggressionen"

SZ.de Österreich: Ein "Ventil für seine Aggressionen" Artikel von Von Cathrin Kahlweit • 8 Std. Polizisten im Sommer 2023 am Tatort, an dem ein erstochener obdachloser Mann auf einer Parkbank an der Donau in Wien-Brigittenau gefunden wurde. Ein 17-Jähriger hat nun die Tötung von zwei Obdachlosen diesen Sommer in Wien gestanden. Der 17-Jährige, der Anfang der Woche überraschend die Morde und den Angriff auf Obdachlose in Wien gestanden hat, steht nun vor Gericht, weil er seine Mutter verprügelt haben soll. Die Befragung des jungen Mannes offenbart Verstörendes. Ein "Ventil für seine Aggressionen" Am Mittwochmorgen fand im Wiener Landesgericht für Strafsachen ein Prozess statt, der wohl recht wenig öffentliche Aufmerksamkeit bekommen hätte, wenn der Angeklagte nicht wenige Tage zuvor in anderer Sache Schlagzeilen gemacht hätte. Ein 17-Jähriger musste sich vor einem Schöffengericht dafür verantworten, dass er seine Mutter vor drei Monaten zusammengeschlagen und ihr, laut einer schluchzenden Zeugin, mehrmals gegen den Kopf getreten hatte. Die Anklage sprach von einem "Gewaltexzess". Der schmale, groß gewachsene Teenager, der - in Jogginghose, Hoody und Badelatschen - vor Gericht auf seinem Stuhl herumlümmelte und mehrmals laut gähnte, hatte laut Staatsanwältin bei einer ersten Vernehmung gesagt, er sei "von seiner Mutter tyrannisiert worden und stolz darauf, es so lange ausgehalten zu haben". Das Gericht kündigte an, nun erst einmal ein jugendpsychiatrisches Gutachten einholen zu wollen und, da der Angeklagte offenbar regelmäßig Drogen, darunter Ecstasy, Kokain und Ketamin, genommen hatte, die Frage der Schuldfähigkeit klären zu lassen. Dann wurde der junge, desinteressiert wirkende Mann wieder in seine Zelle geführt; ob er auf freien Fuß komme oder seine Untersuchungshaft verlängert werde, müsse noch entschieden werden, hieß es. Den überraschten Polizisten sagte er: Er sei der Obdachlosenmörder Es dürfte wohl, das lässt sich unschwer voraussagen, auf Zweiteres hinauslaufen. Denn derselbe Mann war am Montag auf einem Polizeirevier im Wiener Stadtbezirk Penzing erschienen und hatte den überraschten Beamten mitgeteilt, er sei "der gesuchte Obdachlosenmörder". Im Sommer hatten zwei Morde und ein Mordversuch an Wiener Obdachlosen die Polizei in Atem gehalten. Sie hatten an öffentlichen Plätzen, in Parks und unter Büschen geschlafen; zwei waren erstochen worden, eine Frau überlebte mit schweren Verletzungen. Städtische und karitative Einrichtungen weiteten daraufhin ihre Übernachtungsangebote für Wohnungslose in Wien aus, denn die Polizei ging von einem Serienmörder aus. Der 17-Jährige, der sich nun stellte, sagte noch am Montag beim Landeskriminalamt umfassend aus; eine Durchsuchung der väterlichen Wohnung im Weinviertel brachte, gut versteckt in einem Sofa, auch die Tatwaffe zutage, ein blutverkrustetes Messer. Nach Aussagen des jungen Mannes hatte er seine Taten jeweils akribisch geplant: Er hatte nachts, wenn er unbeobachtet war, geeignete Tatorte ausgekundschaftet und herauszufinden versucht, wie er möglichen Überwachungskameras entgehen könne. Er besuchte die avisierten Tatorte mehrmals, immer getarnt mit einer schwarzen Kappe und einem schwarzen Schal, den er vor das Gesicht hielt, seine Opfer mussten unbeobachtet und wehrlos sein. Alle drei Angriffe erfolgten daher, als die zwei obdachlosen Männer und die überlebende Frau schliefen. Warum tötet jemand Obdachlose? Den Ermittlern fällt es schwer, ein Motiv zu finden Bei der Motivsuche tut sich die Polizei fürs Erste schwer; ein expliziter Hass auf Wohnungslose sei aus den Aussagen des geständigen Täters nicht herauszuhören gewesen. Der Wahlverteidiger berichtete, sein Mandant habe viele Probleme gehabt, darunter geschiedene Eltern, Drogenkonsum, Schulabbruch, ständiger Streit mit der Mutter. Er habe ein "Ventil für seine Aggressionen" gesucht. Im Herbst habe er aber eine Lehre begonnen und eine Freundin gefunden, die ihn letztlich überzeugt habe, sich zu stellen. Auf eine psychiatrische Erkrankung scheint laut den Ermittlern fürs Erste nichts hinzuweisen; Medienberichte, laut denen der geständige Täter Stimmen gehört haben soll, haben sich offenbar nicht bestätigt. Was ihn erwartet, wie es weitergeht, ob er die Schwere der Vorwürfe und die Folgen versteht, ist unklar. "Wissen Sie, was sich hier abspielt?", hatte die Vorsitzende Richterin den Angeklagten am Mittwoch im Verlauf des Prozesses wegen schwerer Körperverletzung gefragt, weil dieser zeitweilig offenbar den Eindruck machte, als gehe ihn das alles nichts an. "Was sich hier abspielt, weiß ich", antwortete der 17-Jährige.