Monday, December 4, 2023
Ökonom warnt - „Der deutsche Wohlfahrtsstaat ist nicht mehr bezahlbar“
FOCUS online
Ökonom warnt - „Der deutsche Wohlfahrtsstaat ist nicht mehr bezahlbar“
Artikel von Von Gastautor Christian A. Conrad •
10 Std.
Im Pausenhof einer Grundschule vergewaltigte Pascal D. eine 20-jährige Frau.
Die Bundesregierung muss sparen. Gleichzeitig leisten wir uns einen riesigen Wohlfahrtsstaat, der den Bürgern beinahe jedes Jahr mehr Geld verspricht. Nur müssen wir bald schmerzlich einsehen, dass wir uns uns unser eigenes Sozialsystem eigentlich nicht mehr leisten können.
Die Ampel-Regierung hat jetzt ihren Schröder-Moment als ihm bewusst wurde, dass sich der Sozialstaat nicht mehr finanzieren lässt und sich Reformen nicht vermeiden lassen. Die deutsche Wirtschaft schrumpft dieses Jahr voraussichtlich um 0,4 Prozent, die Steuereinnahmen sinken und der Bundesrechnungshof-Chef Scheller warnte schon vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, dass die Ampel 60 Milliarden Euro Corona-Mittel nicht für den Klimaschutz umwidmen darf. Er sagte, es entstehe durch die verschiedenen Krisen, den hohen Nachholbedarf etwa bei Infrastruktur, Verteidigung, Digitalisierung und Klimawandel sowie den demografischen Wandel und die hohe Inflation „eine toxische Mischung“: „Die Tragfähigkeit der Staatsfinanzen ist in Gefahr.“ Der deutsche Wohlfahrtstaat ist nicht mehr bezahlbar.
Rund 45 Prozent des Haushalts fließen in die Ressorts Arbeit und Soziales und Gesundheit. Rund 121 Milliarden kostet der Rentenzuschuss, inklusive Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung; rund 16,5 Milliarden kostet der Zuschuss zu den Krankenkassen. Der Anteil öffentlicher Sozialausgaben am BIP liegt 2022 in Deutschland mit 26,7 Prozent über dem OECD-Durchschnitt von 21,1 Prozent.
Hieraus ergeben sich hohe Belastungen. Ein Single mit Durchschnittsverdienst führte 2022 47,8 Prozent seines Gehalts in Form von Steuern und Sozialbeiträgen an den Fiskus ab. Deutschland hat damit nach Belgien die zweithöchste Steuer- und Abgabenquote in der OECD. Mit indirekten Steuern schätzt der Steuerzahlerbund die Steuer- und Abgabenbelastung auf 53 Prozent. Wir sind damit bereits in einem Belastungsbereich, der sich negativ auf die Leistungsbereitschaft auswirkt. Steuererhöhungen können weniger Wachstum, Kapitalflucht und Abwanderung von Humankapital zur Folge haben.
Wachstumsschmälernd ist auch die demographische Entwicklung, die zu weniger Erwerbsfähigen führt, die die immer mehr und immer älter werdenden Rentner finanzieren müssen. Grob geschätzt müssen in Deutschland 46 Millionen Erwerbstätige 21 Millionen Rentner und 5,5 Millionen Bürgergeldempfänger miternähren, wobei auch Rentner Sozialhilfe bekommen können. Hinzu kommt, dass die teilweise Rückabwicklung der Globalisierung zu weniger Wohlstand und höheren Preisen führen wird. Hingegen hat die Verschuldung bereits das Konvergenzkriterium bei der Euro-Einführung überschritten.
Die Generationengerechtigkeit steht auf der Kippe
Die Finanzierungsquellen sind ausgereizt und eine weitere Verschuldung würde die Generationengerechtigkeit weiter verschlechtern. Der Staat kommt an seine Grenzen. So gesehen ist gerade Deutschland in der Zukunft auf eine funktionierende Soziale Marktwirtschaft angewiesen, deren Stärke es ist, die Marktkräfte mit einem sozialen Ausgleich zu kombinieren. Wir werden mit weniger Geld mehr helfen müssen. Wenn das Geld knapp wird, wird es umso wichtiger, das Geld effizient einzusetzen und die Anreize ordnungspolitisch so zu gestalten, dass Leistung gefördert wird.
Damit wir denen helfen können, die auf unsere Hilfe existenziell angewiesen sind, müssen wir denjenigen die Hilfe verweigern, die sich selbst helfen können. Das gilt sowohl für das Sozialsystem aber auch für das Asylsystem. Asyl lässt sich angesichts der Millionen Schutzsuchenden nur als Schutz auf Zeit bezahlen. Entweder die Menschen integrieren sich über den Arbeitsmarkt oder sie müssen wieder zurück nach Hause, wenn der Asylgrund weggefallen ist. Die Frage der Zumutbarkeit muss auch vor dem Hintergrund der Bezahlbarkeit diskutiert werden.
Der Unterschied von Christentum zum Sozialismus liegt gerade in der Hilfe zur Selbsthilfe, die der barmherzige Samariter gewährte, als er das Opfer zur Genesung in eine Herberge brachte und hierfür bezahlte. Grenzenlose Umverteilung fordert der Sozialismus und dort wissen wir angesichts der Erfahrung in der DDR, dass dies in einer Gleichheit in Armut endet.
Wir brauchen also mehr Hilfe zur Selbsthilfe und andererseits die Stärken der Marktwirtschaft, die in den Leistungsanreizen liegt. Dass sich das Eigeninteresse im Rahmen des Wettbewerbs in gesamtwirtschaftliches Interesse umsetzt, ist die Stärke von Markt und Wettbewerb. Ein Bürgergeld als leistungsloses Grundeinkommen ist so gesehen kontraproduktiv. Gefragt sind vielmehr Anreize, sich in die Gesellschaft einzubringen. Ein Lohnabstandsgebot ist nicht nur durch einen höheren Unterschied zwischen Sozialhilfe und Nettolohn einzuhalten. Auch die Arbeit muss sich netto lohnen.
Es droht die Altersarmut
Der Sachverständigenrat prognostizierte in seinem letzten Jahresgutachten ausgehend von den jetzigen Regelungen steigende Rentenbeiträge bei einem sinkenden Sicherungsniveau und unterbreitete Vorschläge zur Sicherung der Rente. Langfristige Wirkungen erhofft er sich durch die Koppelung des Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung. Hierzu muss man anmerken, dass dies kaum politisch vermittelbar sein wird, solange Franzosen und anderen EU Bürger mit 64 in Rente gehen. Der Ausbau einer kapitalgedeckten Altersvorsorge ist ein weiterer Vorschlag, allerdings muss man sich bei der aktuellen Haushaltslage fragen, wo das hierfür notwendige Kapital herkommen soll.
Der Sachverständigenrat schlägt auch vor, die Beamten in die Gesetzliche Rentenversicherung einzubeziehen. Er gibt aber selbst zu, dass dies die Finanzierungsprobleme nicht lösen kann. Dies ändert auch nichts daran, dass der Staat für die Versorgung der Beamten aufkommen muss und er falls die Beamten in die Rentenkasse einzahlen, die Beamtengehälter um den Betrag aufstocken müsste, um keine Nachteile auf dem Arbeitsmarkt zu haben. Mittelfristig bleibt vor allem die Zuwanderung in den Arbeitsmarkt durch die Anwerbung qualifizierter Facharbeiter im Ausland.
Die Regierung möchte die GRV durch eine kaptalgedeckte Altersvorsorge ergänzen, allerdings muss man sich bei der aktuellen Haushaltslage fragen, wo das hierfür notwendige Kapital herkommen soll. Der Sachverständigenrat schlägt darüber hinaus eine private kapitalgeckte Altersvorsorge als öffentlich verwalteter, stark aktienbasierter Fonds außerhalb der GRV vor, der die Riester-Rente kostengünstiger, transparenter und renditestärker ersetzen soll. Alle sollen automatisch einzahlen, aber dies auch ablehnen können. Dies ist ein guter Ansatz, sofern die Steuervorteile der Riester-Rente erhalten und die staatlichen Zuschüsse finanzierbar bleiben. Dies wird aber die drohende Altersarmut für Einkommensschwache nicht verhindern.
Private Vorsorge stärken
Als kurzfristig wirksame Lösungen schlägt der Sachverständigenrat vor, die Frühverrentungen zu reduzieren und Rentenerhöhungen auf einen Inflationsausgleich zu begrenzen, die Verstärkung des Nachhaltigkeitsfaktors (der die demografische Alterung in der Rentenanpassungsformel berücksichtigt) und eine nach Einkommen gestaffelte Rentenberechnung, die Einkommensunterschiede sozial ausgleicht. Dies sind Ansätze, die unausweichlich sind. Auch eine Umverteilung von Rentenansprüchen zugunsten geringer Renten wird sich kaum vermeiden lassen. Umso mehr muss man den Beziehern höherer Einkommen ermöglichen, vor dem Renteneintritt privat vorzusorgen.
Leider hat der Staat gerade die private Altersvorsorge außerhalb von Riester sehr erschwert, wenn nicht sogar unmöglich gemacht, da die Steuerfreiheit von Lebensversicherungen und Aktienkursgewinnen nach einer Haltedauer abgeschafft wurde. Grob geschätzt 70 Mrd. Euro pro Jahr fehlen den Sparern zur Altersvorsorge als Folge der jahrelangen Nullzinspolitik der EZB. Jetzt gibt es zwar wieder Zinsen, aber auch eine Nominalzinsbesteuerung bei einem negativen Realzins. Der Sparer zahlt auf Zinsen, die unter der Inflationsrate liegen auch noch Steuern. Das Ersparte verliert immer mehr an Kaufkraft. Anstatt fürs Alter vorzusorgen, wird der Sparer immer ärmer.
Eine Stärkung der individuellen privaten Altersvorsorge durch Steuervorteile wie die Steuerfreiheit von Lebensversicherungen, Fonds und Aktienkursgewinnen nach einer langen Haltedauer findet sich nicht unter den Vorschlägen, dabei ist dies die einzige Option, zumindest indirekt Altersarmut bei leeren Kassen zu vermeiden. Wenn sich der Staat um immer mehr Bedürftige kümmern muss, müssen sich diejenigen, die über ausreichend Einkommen verfügen im Alter stärker selbst versorgen.
Aufgrund der steigenden Lebenserwartung und besseren Gesundheitsversorgung wird sich die Art des Ruhestands verändern. Dies sollte man als Chance sehen, das Alter interessanter und sinnvoller zu gestalten und als Chance für die Arbeitgeber, qualifizierte Mitarbeiter zu halten oder neue zu gewinnen. Dies sollte aber möglichst frei von Zwängen sein. Bei jedem ist die Situation im Alter anders.
Deutschland wird allein das Klima nicht retten können, da es sich um ein globales Problem handelt. Die Maßnahmen müssen also international koordiniert werden, sonst verpuffen sie und verschlechtern die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands. Insgesamt muss das Verhältnis zwischen Leistungsorientierung und sozialem Ausgleich wiederhergestellt werden. Wir brauchen mehr Eigenverantwortung, die sich lohnt, den Staat entlastet und Wachstum erzeugt. Eine Vollkaskomentalität ist nicht mehr bezahlbar und kostet Wohlstand und Zukunft. Alle Ausgaben müssen auf den Prüfstand und die Finanzkraft des Bürgers gestärkt werden, damit er sich selbst versorgen kann. Der ehemalige Bundespräsident Herzog hat es einmal auf den Punkt gebracht: „Durch Deutschland muss ein Ruck gehen“.